Stiller Has, heiliger Has

Stadtkeller, 03.12.2015: Auf dem Franziskanerplatz leuchten die Lichtlein und es dampft der Glühwein. Vor dem Rebstock blingblingt die Migros-Tanne, in den Strassen klingbimmen Weihnachtsmelodien. So alljährlich wie dieses Prozedere ist auch das Stelldichein mit Stiller Has im Stadtkeller. Immer wieder mega.

(Bild: Michael Schär)

Der Hut und der Scat sitzen. Frontmann Endo Anaconda (60) lässt lautmalerische Phrasen über die ersten Takte des Openers «Nachtzug» scheppern. Dann setzt er ein: «Bi scho so lang underwägs, weiss nümm / ob i flüge oder gheie». Das hört man. Anaconda hat fängs eine Stimme wie der Dylan. Zumindest im ersten Set wirkt das beleibte Berner Kulturgut auf Never Ending Tour – er durfte eben den mit 20'000 Franken dotierten Berner Musikpreis entgegennehmen – stimmlich angeschlagen. Sein grösster Fan, ebenfalls behutet, tanzt vor der  Bühne und singt jede Silbe mit. Es steigen Bilder eines Balkan-Trips hoch, auf dem die jüngste Veröffentlichung «Böses Alter» (2013) pausenlos lief und morgens um vier ein längerer Halt im ebenfalls vom Hasen besungenen St. Veit eingelegt wurde («Allein wie a Partisan fahr i ham / Weil i nirgends daham bin / Fahr i nach St. Veit an der Glan»). Der «Nachtzug» fährt durch «Bahnhöf, wo i no nie ha gseh». In der Dunkelheit dahinter nuscheln schlaflos Bichsels «Transsibirische Geschichten». Wie Dylan kann auch Anaconda auf eine hervorragend eingespielte und aus dem Moment raus kreative Band – Schifer Schafer (Gitarre, Orgel), Salome Buser (Bassgitarre, Orgel) und Markus Fürst (Schlagzeug) – zählen. Das sieht man bei «Märli», wie es gegen Ende noist und kracht, dass es eine wahre Freude ist. «So klingt unsere nächste Platte», ruft Endo ins Retro-Rock-n-Roll Mikrofon. Auf «Chlyne Tod» folgt «Chätschgummi», der Song der ersten Liebe, und Endo merkt an, dass er manchmal bei seinen eigenen Songs sentimental werde. Und: «Unsere Message ist die Liebe». Bei «Film» geht es blutrünsig zu und her. Nach der Beteuerung zu müde zu sein, für jedes Ross, das es zu stehlen gäbe, werden erst Schafe und darauf die ganze Animal Farm abgeschlachtet. Endo erzählt von einer Initiative, die es verbieten will, Kühen die Hörner abzuschneiden. «Den Kühen die Hörner abschneiden. Das ist als würde man mir den Hut wegnehmen.» Irgendwann davor oder danach ein markiger Spruch über die Grünliberalen: «Grünliberale sind SVP plus Topinambur.» Auch sonst ist der Hase träf drauf: Kerstin Cook wird zu Kristin Koks und die anbiedernde Migros-Werbung «Mier fiire Wiehnacht mitenand» greift er ironisch auf. Dann das einzige Weihnachtslied der Band: «So verdorbe». Normalerweise würden sie an Weihnachten nicht spielen, aber gegen eine astronomische Gage seien sie buchbar, meint Endo. Und darauf: «Jetzt hab ich den Faden verloren, wie Luzi Stamm». Und immer wieder: «Unsere Message ist die Liebe». 2016 macht die Band Pause. Wie Anaconda zum Blick sagte: «Ich wünsche mir mehr Zeit für Langeweile und dafür, Texte zu schreiben. Langeweile ist heutzutage ein Privileg. Deswegen legen wir mit Stiller Has jetzt ab Weihnachten eine Konzertpause von neun Monaten ein.» Danach wollen sie, wie der Dichter und Sänger in Luzern bekundet, auf einem Kreuzfahrtschiff spielen. Unter anderem mit den Bellamy Brothers. «Gölä!» ruft jemand aus dem Publikum. Der sei nicht mit von Partie, beschwichtigt Endo. «Der wurde nicht fertig mit verputzen». Nach einem begeistert beklatschten Konzert und den Zugaben «Pirat» und «Fäderliecht» gehen die Lichter an. Der volle Stadtkeller leert sich rasch. In der Raucherbar läuft DJ Ötzi. Auf der Seebrücke leuchten Lichtlein. Irgendwo ist das Klingbim eines Schellenkranzes zu erahnen. «Schmutzli schlah mi / i bi so verdorbe».

Heute Freitagabend, 4.12. 20.30 Uhr, Stadtkeller, findet ein zweites Konzert statt.