Mitten in Stans, kaum drei Gehminuten vom Bahnhof entfernt, befindet sich das lit.z. Im Dachstock des Patrizierhauses Rosenberg, unter historischem Gebälk, wird gelesen. Lit.z-Intendantin Sabine Graf stellt Peter Stamm vor. In 36 Sprachen seien seine Werke übersetzt, Lesereisen führten ihn nach China und in den Iran. 1998 gelang ihm mit «Agnes» der Durchbruch. Die jüngste Veröffentlichung ist der Roman «Weit über das Land».
«Ist es ein neuer Anfang, wenn man alles hinter sich lässt?»
Thomas, Astrid und ihre Kinder Ella und Konrad bilden das Personal dieses leisen Texts. Der Plot des Romans ist rasch erzählt: Die Sommerferien sind zu Ende, nach einer langen Autofahrt setzen sich Astrid und Thomas auf die Bank vor dem Haus. Nur wenig später geht Thomas, verlässt den Garten, Frau und Kinder. Eindrücklich, wie sich der Stamm’sche Erzählsog einmal mehr nach ein paar wenigen Zeilen einstellt – besonders, wenn der Autor selbst vorliest. Die Schlichtheit der Worte und das Unaufgeregte von Stamms Stimme legen die feine Tragik der Geschichte frei. Thomas’ Handeln polarisiert: Darf man sowas? Was fällt ihm ein? Was ist denn bitte sein Problem? So lautete Jennifer Khakshouris erste Frage, wie Stamm mit den Emotionen seiner Leserschaft umgehe. «Gar nicht», lautete die lapidare Antwort.
Schneiden statt beissen
Diese unaufgeregte Präzision zeichnet den Autor aus. Im Gespräch, das sich zu einem grossen Teil um das «Wie» des Schreibens dreht, unterstreicht Stamm: Präzision sei wichtig, ganz genaues Beobachten. Er erzählt von einem Text, in dem Enten mit weiten Flügelschlägen über einen See gleiten. Fragt, ob jemand je eine solche Ente gesehen hätte. Die flögen ja nicht wirklich elegant, und dann störe so ein Bild. Wie Thomas wanderte auch er für die Recherche durch weite Teile der Schweiz, übernachtete ab und zu unter freiem Himmel. Im Prinzip gehe er journalistisch vor, erkannte Khakshouri. Auch als Journalist ist Stamm bekannt: Er schrieb Reportagen für die NZZ und arbeitete in den Neunzigern mehrere Jahre für den Nebelspalter. Dort habe er an einer Redaktionssitzung einmal formuliert, was ihm beim Schreiben wichtig sei: Schneiden statt beissen. Anstatt bissige Texte zu schreiben, seziert er seine Objekte lieber.
Die Figuren kennenlernen
Zurück zu «Weit über das Land»: Beim ersten Innehalten nach seiner Flucht/seinem Abgang/auf seiner Wanderung zählt Thomas seine Habseligkeiten. In den Hosentaschen findet er Dinge wie Zigaretten (elf Stück), Feuerzeug, Schlüsselbund mit Mini-Taschenlampe, Stofftaschentuch und Zahnseide. Ein Besucher fragt, warum denn Thomas ausgerechnet Zahnseide mit sich führe. Das wisse er selber nicht genau, meint Stamm. Er lerne seine Figuren beim Schreiben kennen. Stellt er Schülern Fragen wie «Würde Dein Lehrer Fallschirm springen?“, fielen den meisten von ihnen sofort eine Antwort ein. Man kennt Personen, ohne ganz genau über ihre Vorlieben Bescheid zu wissen. So gehe Stamm auch mit seinen Figuren um. Das wird an einer weiteren Textstelle deutlich: Sowohl Thomas als auch Astrid erinnern sich im Romanverlauf an ihre erste Begegnung. Die Wahrnehmungen gehen einigermassen weit auseinander.
Stilfragen
Und wie hat Stamm seinen Stil entwickelt, seinen unverwechselbaren Tonfall? Auch hier eine präzise Antwort: Er gehe davon aus, dass man seinen Stil eher findet als entwickelt. Die eigenen Texte immer wieder lesen und spüren, was daran authentisch ist und was Imitation, helfe am meisten. Während der anschliessenden Signierstunde empfiehlt Peter Stamm das lit.z wärmstens. Intendantin Graf und Daniela Krienbühl, Leiterin Administration und Organisation, machen das lit.z mit viel Herzblut und Sachverstand zu einem wertvollen und besuchenswerten Ort. Und wer nach einer Lesung Hunger hat, dem sei die Einkehr ins «Restaurant Rosenburg» im Untergeschoss empfohlen.
http://www.fischerverlage.de/buch/weit_ueber_das_land/9783100022271
