The Sound of Corona

Während des Lockdowns war unsere akustische Umwelt eine andere. Im Rahmen eines anthropologischen Forschungsprojektes sammelt die Obwaldnerin Laura Stoffel «Soundscapes», um die neuen Klanglandschaften zu untersuchen. Die Studentin erklärt den Klang von Corona, unser auditives Wahrnehmen und was daran politisch ist.

Dieser Artikel erschien in der Juniausgabe des 041 – Das Kulturmagazin, aus Gründen der Aktualität wurde der Lead leicht angepasst. Das Interview wurde Anfang Mai geführt. Abonnieren Sie jetzt 041 – Das Kulturmagazin und Sie erhalten elf Mal im Jahr Hintergründe aus dem Zentralschweizer Kulturleben direkt nach Hause geliefert!

Bilder: zVg

Corona klingt, und dies nicht in einem metaphorischen Sinne. Amerikanische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben tatsächlich die Proteinstruktur des Virus vertont, das Ergebnis lässt sich auf Youtube nachhören.

Laura Stoffel widmet sich hingegen weniger der materiellen, sondern der kulturellen Dimension der Pandemie. Eben der Frage, wie sich die akustische Umwelt anhört, seit das öffentliche Leben weitestgehend zum Stillstand gebracht wurde.

Die Studentin der Sozialanthropologie verfolgt dazu im Rahmen ihrer Masterarbeit ein Forschungsprojekt, das national, bei Erfolg auch transnational, die akustischen Auswirkungen des Coronavirus einfangen will. Mithilfe eines öffentlichen Aufrufs sammelte sie dazu sogenannte «Soundscapes» – etwa Aufnahmen von der leer gefegten Autobahn, von zwitschernden Vögeln oder Klängen aus dem Homeoffice –, um sie auf ihre politischen und sozialen Implikationen hin zu untersuchen.

«Punktuelles wird präsent: Überschallflieger, Kirchenglocken, wenn jemand hämmert oder den Rasen mäht.»

Bilder zum Coronavirus sind allgegenwärtig: leere Züge, Menschenschlangen vor Einkaufsläden, gegroundete Flugzeuge. Aber wie hört sich das Coronavirus an?

Vieles klingt hier in Sachseln anders seit dem Lockdown. Weggebrochen sind vor allem konstante Geräusche wie die der Linienflugzeuge oder das Rauschen der Autos. Umso mehr wird Punktuelles präsent: Überschallflieger, Kirchenglocken, wenn jemand hämmert oder den Rasen mäht. Und es ist natürlich einfach alles viel stiller. Die Stille, die ich ja eigentlich als angenehm und entschleunigend wahrnehme, hat nun aber auch etwas Unheimliches.

Ein leerer Zug.

Ich stelle mir vor, dass die Corona-Zeit – in auditiver und visueller Hinsicht – vornehmlich durch Abwesenheit, Leere und Stille geprägt ist. Gibt es auch neue Klänge?

Die Durchsagen, die im Supermarkt und im öV auf Maskenpflicht aufmerksam machen, oder auch die ganzen Sounds, die neu durch das Homeoffice dazugekommen sind. Zoom-Vorlesungen zum Beispiel. Neben neuen Geräuschen bekommen aber auch solche, die schon immer da waren, eine neue Präsenz, das Vogelgezwitscher etwa.

«Eine politische Dimension von Soundscapes liegt beispielsweise darin, dass vom 18. bis 20. Juni auf der Sonnenbergwiese keine Musik zu hören sein wird.»

Woher kommt dein Interesse, Klangfelder zu erforschen?

Erst ist mir die Musik aufgefallen, die seit dem Lockdown zu einem zentralen kommunikativen Verhandlungsraum geworden ist, sei das zur Herstellung von Solidarität, wie Balkonkonzerte oder musikalische Flashmobs auf Instagram. Oder als Medium der politischen Verhandlung oder Instrumentalisierung, wie es in Wien passierte, als Streifenwagen die Stadtstrassen mit dem Song «I am from Austria» beschallten. Ebenso wurden schnell Verhaltensregeln zum Virus über Songs kommuniziert, ich würde sie «Awareness-Songs» nennen. Ich habe mich daraufhin zu fragen begonnen, wie sich das Virus denn in seinen sozialen und politischen Auswirkungen akustisch erfahrbar machen lässt.

Gibt es da Beispiele?

Im Luzerner Kontext liegt eine politische Dimension von Soundscapes beispielsweise darin, dass vom 18. bis 20. Juni auf der Sonnenbergwiese keine Musik zu hören sein wird. In der Ruhe der Szenerie liegt die Ungewissheit vieler Kunstschaffenden, die nun nicht auf Tournee sein können. Oder im Klimakontext: Dass die Naturgeräusche nun auf einmal so hörbar sind, bedeutet ja nicht, dass diese sonst nicht da wären, sondern dass wir diese durch unsere Lebensweise unterdrücken.

Sound of Corona

Was für Soundscapes haben dich bisher erreicht?

Bis anhin sind es Aufnahmen aus dem Homeoffice, der Innenhofszenerie oder des Balkons, der Auszeit im Grünen oder Orten, welche normalerweise viele Menschen anziehen. Eine Soundscape kam aus dem menschenleeren Zürcher Shopville, auf der eine beruhigende Musik zu hören ist, solche, die in grossen Einkaufszentren immer läuft. Ich habe diese Melodie da noch nie wahrgenommen und die Autorin der Scape merkte an, dass ihr die Einkaufsmusik, die noch immer weiterläuft, absurderweise ein Stück Normalität vermittle.

«Ich persönlich liebe es ja, mit einem Aufnahmegerät in der Gegend herumzuspazieren und die Sinneshierarchie durch die Verstärkung des Hörorgans etwas zu überlisten.»

Als ich deinen Aufruf für die Soundscapes gesehen habe, auf dem auch ein Bild eines leeren Zuges abgedruckt ist, dachte ich sofort: Ja, so sieht das Coronavirus aus. Ich habe mich bisher nie gefragt, wie es sich anhört. Warum ist das so?

Wir sind als Gesellschaft tatsächlich sehr visuell geprägt, die Sinne unterstehen einer Art Sinneshierarchie. Das ist nicht in jeder Gesellschaft gleich und man spricht auch nicht überall von den fünf Sinnen, die wie bei uns mit einem biologischen Organ verknüpft sind. Das ist ein westliches Konzept. Ich erhoffe mir über die tonale Repräsentation auf eine eher subtile Weise – vielleicht auch erst im späten Nachhinein – Erinnerungen an diese aussergewöhnliche Situation, auf die Pandemie und ihre Implikationen hervorzurufen.

Lässt sich achtsames Hören üben?

Es ist eine sehr bereichernde Erfahrung, sich ganz gezielt durch das Hören in einer gewohnten Umgebung zu bewegen. Ich persönlich liebe es ja, mit einem Aufnahmegerät in der Gegend herumzuspazieren und die Sinneshierarchie durch die Verstärkung des Hörorgans etwas zu überlisten.