Sexismus im Rap

Alle Augen auf Hip-Hop: Im Frühling 2022 präsentierte sich die Schweizer Rap-Szene im SRF-Format «Cypher» und offenbarte mit ihren Versen einem breiten Publikum ihr Talent, ihre Vielfalt – und ihr massives Sexismus-Problem. Das sorgte für einen Shitstorm. Der Luzerner Pablo Vögtli, Gründer und Moderator des Events, möchte es dieses Jahr besser machen.

Seit zehn Jahren führt «SRF Virus» das Format «Cypher» durch, das mittlerweile zu einem der bekanntesten Hip-Hop-Events der Schweiz geworden ist. Sieben Stunden lang reichen sich 80 Rapper:innen das Mikrofon für ihre Auftritte weiter. Sie präsentieren sich einem breiten Publikum, das inzwischen weit über die Hip-Hop-Szene hinausreicht. Die YouTube-Videos der letztjährigen Ausgabe zählen über eine Million Aufrufe.

Gegründet und gross gemacht hat das Format der Luzerner Moderator und Rapper Pablo Vögtli. Persönlich lädt er alle Künstler:innen ein. Ein Auftritt am «Cypher» kann jungen Karrieren einen Schub verleihen. So geschehen beim Bieler Musiker Nemo, der 2016 am «Cypher» seine erste grosse Bühne fand und inzwischen Pop-Hits auf Englisch produziert. Doch das Format bietet auch etablierten Namen eine Plattform, auf der sie sich mit ihren Konkurrent:innen messen können.

Trotz des hohen Stellenwerts, den der Anlass in der Szene geniesst, wurde in den letzten Jahren immer wieder Kritik an den Inhalten laut. Einen Tag nach der letztjährigen Ausgabe tauchte ein Zusammenschnitt des Anlasses auf Instagram auf. Gepostet hatte ihn der Meme-Account @srfarchiv – doch mit dem echten SRF hat das anonyme Konto nichts zu tun. Das sechsminütige Video zeigt die schlimmsten diskriminierenden Stellen. Auch 2022 stellten gewisse Akteure – alle im Video gezeigten Künstler sind Männer – Homosexualität als Schwäche dar, promoteten Gewalt an Frauen, diskreditierten Sexarbeit. In die Kritik stimmten tausende User:innen und Online-Medien ein. Diese hallt nicht nur beim SRF bis heute nach.

Pablo Vögtli erklärt im Gespräch, welche Schritte das Team der Hip-Hop-Sendung «Bounce» unternimmt, um den kommenden «Cypher» vom 20. April inklusiver und offener zu gestalten.

Schon jetzt weiss er: Ausreichen werden diese Schritte nicht. Warum dauert es so lange, bis die Hip-Hop-Szene ihr Sexismus-Problem löst?

Pablo Vögtli, wann wird es einen «Cypher» geben, der ohne diskriminierende Inhalte auskommt?
Ich weiss es nicht. Ich bin der Meinung, man könnte einen solchen «Cypher» veranstalten. Indem man stark einschränkt, wen man einlädt. Ich habe mich aber gegen diese Möglichkeit entschieden, weil ich nach wie vor ein ehrliches Abbild der Schweizer Rap-Szene zeigen will. So verstehe ich auch unseren Auftrag.

Also bleibt alles beim Alten?
Nein, der Anteil an problematischen Inhalten wird weiter abnehmen. Etwa dank einer neuen Generation von Künstler:innen. Sie betrachtet diskriminierende Sprache nicht mehr als unhinterfragten «Teil der Kultur». So kann bei Musiker:innen, die mit problematischen Inhalten arbeiten, eine Reflexion stattfinden. Ich habe schon mit Leuten gesprochen, die nun einsehen, dass dieser Shit ihre Kunst noch nie bereichert hat. Das gibt mir Hoffnung.

Im Klartext heisst das: Auch der nächste «Cypher» am 20. April wird wieder diskriminierende Sprache beinhalten. Und diesen Anlass vertrittst du nach aussen.
Ich stehe hinter dem «Cypher» als Event und hinter meinem Line-up. Allerdings konnte ich schon lange bevor über die problematischen Inhalte so breit diskutiert wurde persönlich nie hinter jeder Strophe stehen. Nur schon, wenn ich sie rap-technisch schlecht fand. Aber es schmerzt mich als Host des Events heute mehr denn je, wenn ich die Aussagen komplett daneben finde.

Was macht den «Cypher» denn derart gut, dass das Format die problematischen Anteile scheinbar erträgt?
Die wunderschönen und unproblematischen Momente, die meines Erachtens trotz allem nur in diesem Rahmen stattfinden können. Die Magic dessen, dass die ganze Rap-Szene zusammenkommt. Wenn die Szene Probleme hat, werden diese am «Cypher» sichtbar. Das finde ich gut, auch wenn es im Moment wehtut. So kann ein Gespräch entstehen: Noch nie gab es eine solch breite Diskussion um Rap-Content und dessen Problematik wie nach dem «Cypher» vom letzten Jahr. Nicht um zu sagen: «Oh, wie heldenhaft! Der ‹Cypher› hat eine gute Diskussion ausgelöst!» Aber ja, der «Cypher» hat tatsächlich eine gute Diskussion ausgelöst.

Was habt ihr konkret unternommen, um den «Cypher» dieses Jahr diskriminierungskritischer und inklusiver zu gestalten?
Wir werden ein diverseres Line-up präsentieren. Das Studio soll mehr zu einem Safe Space werden, zum Beispiel dadurch, dass es nicht nur cis-hetero Männer im Raum hat. Unser DJ-Team wird dieses Jahr um eine weibliche Person ergänzt. Ausserdem mache ich wieder Disclaimers, wie ich sie in den vorherigen Jahren gemacht, aber im letzten Jahr vergessen habe. Zu Beginn jeder Stunde möchte ich darauf aufmerksam machen: Der Inhalt widerspiegelt die Meinung der Künstler:innen, die wir eingeladen haben, aber nicht jene von SRF.

Dieser Disclaimer verhindert aber nicht, dass verletzende Inhalte reproduziert werden. Stand nie zur Diskussion, für die Teilnahme Bedingungen aufzustellen, die klar deklarieren, welche Ausdrücke oder Formulierungen nicht toleriert werden?
Doch, das stand zur Diskussion. Allerdings würde sich das für mich wie Zensur anfühlen. Deshalb bin ich dagegen. Stattdessen führe ich im Vorfeld Gespräche mit den Leuten, die ich einlade. Ich sage ihnen aber nicht: «Bitte sag nicht …», und nenne dann eine Liste von indizierten Ausdrücken. Vielmehr versuche ich ihnen ans Herz zu legen: «Bitte schreibe einen Text, hinter dem du auch noch in zwei Jahren stehen kannst.» Und: «Bitte sei dir bewusst, dass nicht nur die Rap-Szene zuhört.» Mein Ansatz ist: Den Event mal rollen lassen und sich dann um eine intensive Nachbearbeitung kümmern. Etwa mit der SRF-Nachbesprechung des Events, die wir am darauffolgenden Tag drehen und in der wir uns ausschliesslich den Themen Antidiskriminierung und Gleichstellung widmen.

 

«Wenn die Szene Probleme hat, werden diese am ‹Cypher› sichtbar. Das finde ich gut, auch wenn es im Moment wehtut. So kann ein Gespräch entstehen: Noch nie gab es eine solch breite Diskussion um Rap-Content und dessen Problematik wie nach dem ‹Cypher› vom letzten Jahr.»

 

Habt ihr euch beim Line-up eine Zielgrösse gesetzt, was die Präsenz von FLINTA-Rapper:innen angeht?
Nein. Möglichst viele sind das Ziel. Alles andere ist nicht realistisch. Möglichst viele. Punkt.

Auch dieses Jahr werden männliche Rapper in der überwältigenden Mehrheit sein. Wie schwer fällt es, dies zu akzeptieren?
Nicht mal so schwer. Dieses Problem gab es schon immer …

… 2017 war La Nefera die einzige Frau.
Das lag mir damals schon auf dem Magen. Wir müssen einfach dranbleiben, um diesen Umstand zu ändern. Und gründlich recherchieren, um Frauen zu finden, die wir einladen möchten.

Gibt es Dinge, die im letzten Jahr gesagt wurden, die für dich eine klare Grenzüberschreitung darstellen?
Das fällt mir schwer zu beantworten, da ich mir die gesamten sieben Stunden nochmals vor Augen und Ohren führen müsste. Ich erinnere mich, dass es während des «Cypher» einige Momente gab, in denen ich innerlich zusammengezuckt bin. Doch, es gab sicher Zeilen, die eine Grenze überschritten haben.

Waren Personen am letztjährigen «Cypher» dabei, die du dieses Jahr aufgrund problematischer Äusserungen nicht mehr einlädst?
Ja.

Wie viele Leute betrifft das?
Das möchte ich nicht sagen.

 

Ich habe ein Jahr lang nach dem magischen Mittel gegen Diskriminierung gesucht, doch das gibt es nicht.

 

Dieses Jahr wird SRF-Moderatorin Sirah Nying den «Cypher» mitmoderieren. Trotzdem übernimmst du weiterhin das Booking.
Ja.

Welchen Einfluss hat sie auf die Veranstaltung?
Ihre Präsenz wird einen grossen Einfluss haben. Aufgrund ihrer Erfahrung bei der SRF-Serie «Enter the Circle», die sich mit der aktuellen «Female Wave» in der Rap-Szene auseinandersetzt, hat Sirah Rapper:innen auf dem Schirm hat, die ich nicht kenne.

Seit der ersten Ausgabe im Jahr 2013 haben nur Luzerner den «Cypher» veranstaltet. Wurde diesbezüglich Kritik an dich herangetragen?
Nein. Es ist halt einfach so. Irgendjemand muss «Bounce» moderieren. Zuerst waren es Zürcher, dann Basler, jetzt sind es Luzerner. Ich habe meiner Stadt nie Vorteile verschafft. Ich habe einzig entschieden, dass die Luzerner Rapper:innen jeweils am Schluss an der Reihe sind. Weil ich selbst zum Abschluss vom «Cypher» rappe und das gemeinsam mit meinen Homies machen möchte.

Zurück zum Umgang mit den Problematiken des Events. Eure Ansätze sind also: Diversität fördern und der Diskussion über Diskriminierung eine Plattform bieten.
Wir möchten den Diskurs aktiv mitgestalten. Ich habe ein Jahr lang nach dem magischen Mittel gegen Diskriminierung gesucht, doch das gibt es nicht. Darum glaube ich, dass jene Sachen, die wir implementieren können, einfacher Natur sind: Disclaimers, Line-up, Safe Space, Sichtbarkeit im Allgemeinen. Ich glaube, mehr kann ich gar nicht machen. Wobei – persönlich positionieren könnte ich mich noch mehr. Nach dem letzten «Cypher» habe ich mich gefragt: Warum habe ich das nicht früher gemacht? Ich weiss schon lange, dass ich selbst nicht homophob bin. Aber die Leute da draussen wissen es wohl nicht.

Vielleicht müsste man es ihnen sagen?
Künftig möchte ich das so ein- bis zweimal pro Monat machen. «Fuck Homophobie, fuck Transphobie, fuck Rassismus!» Das will in viele Köpfe nicht rein.

Hast du den Eindruck, Themen wie diskriminierungskritisches Handeln und Gleichstellung sind präsenter geworden?
Ich spüre die Präsenz dieser Themen. Diese löst zum Teil aber auch Widerstand aus. Ich habe Leute gehört, die letztes Jahr kritisiert wurden, die öffentlich sagten: «Ach, ihr könnt alle mein Geschlechtsteil in den Mund nehmen!» Da denke ich mir, okay, hast du im Ernst nur das aus einem Jahr Diskussion mitgenommen? Ach … Was war nochmals die Frage?

Ob du eine Präsenz der Themen spürst.
Die wenigsten Rapper – da kann ich darauf verzichten, zu gendern – werden sorglos an den «Cypher» kommen und rappen wie eh und je. Sie werden sich bewusst entscheiden: Entweder dafür, nichts Diskriminierendes zu sagen. Oder das eben doch zu tun – im Bewusstsein, dass dies entsprechende Reaktionen auslösen wird.

Pablo Vögtli, 1985, wuchs unter anderem in Hongkong auf und hat in Luzern seine Heimat gefunden. In der Zentralschweiz hat er die Kultur als Rapper und Host von Events mitgeprägt.
Seit 2012 moderiert er die Hip-Hop-Sendung «Bounce» bei «SRF Virus». Als Rapper steht Pablo Vögtli oft gemeinsam mit den Luzernern LCone und Mimiks auf der Bühne.

Das Interview wurde am 28. Februar im Studio von «SRF Bounce» in Zürich geführt. Das Gespräch war mit beiden Co-Moderator:innen des diesjährigen «Cypher» geplant, Sirah Nying musste allerdings kurzfristig absagen.


 

041 – Das Kulturmagazin
April 04/2023

Interview: Ramon Juchli
Bilder: Philip Frowein

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