Schwarz/Weiss

UG des Luzerner Theaters, 29.08.2015: «Orpheus.Factory – eine elektronische Kammeroper». Jacob Suske vertieft sich in alte Geschichten, steigt in tiefste Abgründe und lässt komisch-tragische Figuren auferstehen.

Willkommen im Keller des Lebens Jacob Suskes Orpheus durchlebt in den Grundzügen die althergebrachte Geschichte – er verliert seine Muse, will sie zurückholen und scheitert. Doch Suske hat um diesen Knochen viel Fleisch gepackt, seine Arbeit ist detailverliebt und frech. Das Stück spielt in einem kleinen Atelier, wo ein zusammengeklebter Stuhl, zerrissene Vorhänge und viele Werkzeuge des Künstlers eine klischeehaft kreative Welt erschaffen. Auf der Matratze liegt die Muse, verschlafen, lasziv, depressiv. Auf dem Stuhl dreht sich der Künstler, um seine eigene Achse, ausschliesslich. Eine schwarz-weisse Welt, die keine Graustufen duldet und alle Abgründe ans Licht zerrt. So wird auch gleich das erste Lied elektronisch schwer und depressiv angestimmt: Willkommen im Keller des Lebens. Der eigennützige, unreife und nur manchmal inspirierte Orpheus wird von Hans-Caspar Gattiker gespielt, der schon bei «Marat/Sade» im Luzerner Theater sein Talent für zwiespältige Figuren gezeigt hat. Und dieser arme Künstler steht unter Druck, muss dem Kurator genügen, muss Verträge unterzeichnen und eine Ausstellung erschaffen – die Muse (Lilli Lorenz) wird dabei schamlos ausgenutzt, selbst ihr Tagebuch muss für sein Schaffen herhalten. Und in dieser Mischung aus Tragik und Komik zeigt Suske einen Hang zum Skurrilen: Eurydike, beziehungsweise die Muse, erwacht nur einmal kurz aus ihrer Lethargie, als Orpheus kokst (die weissen Überbleibsel des Lochers), worauf er ihr gleich versichert, dass dies doch nur Papier sei. So baut der Regisseur Fassaden auf und reisst sie zugleich wieder ein. Man ist sich nie sicher, ob man die Bildsprache gerade wörtlich oder metaphorisch nehmen soll. Als Orpheus seine Geliebte aus der Unterwelt retten will, meint er: «Komm, wir gehen nach Hause, frische Luft wird uns guttun», und als Zuschauer ist man plötzlich verunsichert: Waren sie im Drogenrausch im Club, oder wirklich in der Unterwelt? Auch als Hades Eurydike mit einer Fruchtgummi-Schlange verführt, das einzige Süss-Bunte in dieser schwarz-weissen Welt, hat Suske wieder ein sehr passendes und zugleich irritierendes Bild gefunden.

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Sonnen- und andere Untergänge Es kommt, wie es kommen muss: Die Muse hält's nicht länger aus, schneidet sich den Arm an der Schere auf, und der weinende, tobende Künstler benetzt seine Bilder mit ihrem Blut und hat ein neues Kunstwerk erschaffen. Er saugt sie, wortwörtlich, aus bis aufs Blut. Nicht zuletzt auch wegen des Kurators, der zugleich Hades ist, und von der heiser-hauchenden Miriam Japp gegeben wird. Der Kurator, exzentrisch, grob und doch verführerisch, beginnt um sein Gewinn zu bangen, und treibt Orpheus immer weiter an. Begleitet werden die Szenen mit sehr viel Musik, Momente der Stille sind selten und ausdrucksstark, was nicht zuletzt daran liegt, dass die Musik eine ständige Angespanntheit, Aggressivität und bedrängende Atmosphäre vermittelt. Und trotzdem ist es kein düsteres Stück an sich, viel Humor drängt immer wieder an die Oberfläche, beiläufige Verweise auf die Pop-Kultur («Terminator II», «Hey Joe», «Come as you are»), und die Videos machen das Stück leichter. Tom Hupfauer war für die Videos zuständig, und hat da wunderbare Arbeit geleistet: man erkennt bekannte Plätze aus Luzern und das Lachen des Publikums bezeugt die ausgefeilte Kameraarbeit: Die Sprache des Films und heutiger Sendungen wie «Der Bachelor» werden imitiert, es gibt Weingläser im Sonnenuntergang, so wie romantisches Niedersinken im Blumenmeer. Jacob Suske hat ein rasantes, freches, witziges Werk geschaffen, das auch Plattform für Kritik ist und Raum zum Nachdenken lässt. Video, Musik und Bühnenbild sind fruchtbarer Nährboden für die Figuren, die alle dank ausgezeichneter Schauspieler durchgängig stimmig sind.  

Weitere Aufführungen: 2.9.,4.9.,6.9.,11.9.,12.9.,24.9., und 26.9.2015 Jacob Suske: Konzept, Inszenierung und Musik Rodja Galli: Bühne und Grafik Carolin Herzberg: Kostüme Tim Hupfauer: Video Carmen Bach: Dramaturgie Hans-Caspar Gattiker: Orpheus, Miriam Japp: Hades, Lilli Lorenz: Eurydike, David Michael Werner: Zerberus