Schon wieder Schmetterlinge …

Loge, 27. 9. 2016: Die Loge, preisgekrönte Literaturbühne am Helvetiagärtli, ist klein und zuweilen doch gross. Manchmal zu gross – meist bei Lesungen mit klassischer Lyrik, einer Gattung und Leidenschaft mit überschaubarer Zielgruppe aus oft stillen Menschen, die gerne mal zuhause bleiben. An diesem Dienstag war die Loge jedoch tatsächlich zu klein: Bei der Buchpremiere von Pius Strassmanns Lyrikband «blauklang» platzte sie fast aus allen Nähten.
 

Pius Strassmann, der stille, feine Mensch, von dem man wenig weiss und manchmal Leises munkeln hört: Lyiker sei er, Kinesiologe zugleich, Musiker mit empfindlichst intimem Verhältnis zu vielen Dutzend Flöten und seltenen Tasteninstrumenten; seine bisherigen Bücher verklärt und sparsam betitelt: «Verlorene Räume», «Noch nicht Nacht», «Traumgestöber», «teestaub» und «erdbestand» … Ausgerechnet er sorgte dafür, dass zum ersten Mal in dieser Spielzeit das Kondenswasser im Schaufenster der Loge den Blick in die andere Welt komplett verschleierte. Und assoziativ dürfen wir dabei nicht an ein Dampfen denken, sondern eben ans Kondensieren. Lyrik im klassischen Sinne – die einst zum Spiel der Lyra gehörende Dichtung, die sich traut, so ausgestellt wie eine Marmorbüste von Apoll dazustehen – ist selten geworden, sofern die Dichtenden nicht nur sich selbst besingen. Reflektion und Abstraktion kommen heuer laut und scheppernd daher, um sich gegen den Lärm der Welt durchzusetzen. Im phonetischen Schlachtfeld pfeifen und platzen die semantischen Geschosse, die Textgranaten und Wortschrapnelle bis zum täglichen Hörsturz und lassen uns kaum noch Momente, um freiwillig auf das Ruhige zu hören. Ob man es liebt oder nicht, ob es einem die Welt öffnet oder eher den Vorhang zuzieht – es tut gut, zu erfahren, welch leise Töne man mit den älternden Ohren noch hören kann. Dies also vorweg zu Pius Strassmann, ganz unabhängig vom neuen Buch. Da arbeitet einer in den feinsten wahrnehmbaren Zonen, da schafft er – als Flötenspieler – neue Räume, alleine durch das Verschieben von Luft bei gleichzeitiger Abdeckung von Löchern. Das ist per se ein philosophisches Handeln mit der fast zwangsläufig gefestigten Vorstellung von der Existenz eines Guten im Ganzen. Das Umfeld der Poesie Erst einmal ging es in der Loge aber um das Buch an sich, und auch da ging es dem Schriftsteller nicht um sich selbst. Vorweg teilte er mit dem Publikum sein ehrliches Erstaunen über den vielschichtigen Prozess, in dem „so etwas verrücktes wie ein Lyrikband» entsteht. Ein schöner Weg, uneitel und aufklärend zu danken – dem Lektor, dem Grafiker, der Verlegerin Judith Kaufmann und allen Nahestehenden, die in dieser Zeit die Anstrengungen teilten, die es braucht, bis aus so vielen gedachten Wörtern ein publikationsreifes Kondensat entsteht. Alle wurden sie vorgestellt – bis auf das Harmonium Ernest, auf dem Urban Mäder mehrmals wohltemperiert improvisierte. Es scheint inzwischen zum Raum zu gehören, dabei wird es sonst nur zur monatlichen Logen-Lesebühne benutzt (The Beauties und das Biest, das nächste Mal am 8. 11.). Ein weiterer Migrant aus dieser anderen literarischen Welt hing auch noch an der Wand: Sandra Künzis vergessenes Portrait eines wilden Keilers – doch Strassmann hielt ihm stand, genau wie den Fragen des Gastgebers André Schürmann, die sehr persönlich versuchten, zum Kern der Dichtung und des Schaffens durchzudringen. Darüber zu streiten fiele leicht; die versöhnliche Neugier fasert dagegen manchmal aus; sie überhöht das Leben zwischen den Zeilen, das durch seine weitere Erklärung eigentlich nur verlieren kann. Ob Romantik oder warum nicht Naturlyrik, ob Modernität durch fehlende Interpunktion oder warum der baldige Wendepunkt zum längeren Gedicht – da schwingt immer die Gefahr mit, allzu genau wissen zu wollen, was man doch nur spüren kann, in den Gedichten selbst. Pius Strassmann nutzte die Gelegenheit, sich den neugierigen Ohren des Vernissagenpublikums mit vorsichtigem Charme und liebenswürdiger Windung zu entziehen. dein hören sei frei Ob er seine Texte als melancholisch begreife, lautete zum Beispiel eine naheliegende Frage. Doch die Antwort «Ich glaube nicht» spricht ja für sich. Denn so respektvoll und zugeneigt die in diesem neuen Buch aufs Äusserste verknappte Dichtung mit möglicher Schwermut und den Ballaststoffen unseres Daseins umgeht, so wenig wirkt doch in den Gedichten selbst die «schwarze Galle» des tatsächlichen Trübsinns. Denn Pius Strassmann hat Vergnügen an dem, was er tut: So knifflig und konzentriert die Arbeit an diesen Spinnennetzen aus feinstem Silberdraht auch sein mag und so meditativ und feinsinnig die Konstruktionen ausbalanciert werden, bis die Kartenhäuser den Winden der Realität standhalten, so deutlich ist auf der anderen Seite auch die Lust spürbar: zu bauen, zu singen, wahrhaftige Dichtung zu schaffen. «Er peitscht den Satz bis auf den Knochen» notierte ich mir während der ersten Gedichte, und es erschien mir in der Direktheit etwas unbotmässig – bis ich plötzlich dieselben Worte, dasselbe unmittelbare Bild in den Gedichten selbst vernahm. Da ist also viel weniger ätherische Verklärung hinter den fast sprichwortartigen Weisheiten, als man zuerst annehmen möchte. Da ist pure Welt ohne Abstriche, die Gegenwart mit Zweifeln und Schmerz, ein Hinterfragen unserer mörderischen Gemeinheiten, ein kindliches Erstaunen über die konkrete Natur – und davor eben das gegenwärtige Regelwerk des Dichters, seine eigentliche Arbeit der Umformung und des Filterns und zuweilen auch sein Humor angesichts dessen, was er da tut, wenn er vor dem nächsten Gedicht leise stöhnt: «Schon wieder Schmetterlinge!» Ob ich diese Gedichte mag? Das ist hier nicht die Frage. Das will auch der Autor nicht wissen, denn er schreibt fernab jeder Selbstgefälligkeit. Manchmal ist nicht der maximale astrale Glanz eines Kunstwerks wichtig, sondern allein der Akt, dieses Gedicht zu schreiben, zu lesen oder zu hören. Der Welt die Zeit zu rauben, um dies anstatt etwas anderes zu tun. Pius Strassmann ist mit manchmal mönchisch distanzierter Anmutung jemand, der etwas von und für uns will: Bei aller gelebten Harmonie ist er unversöhnt mit den Zuständen unseres Daseins und nie zufrieden mit der Welt und sich; er bleibt durstig, und so schwankt er aus der Arbeitskammer des Sprachjuweliers immer wieder beseelt in die grosse alte Dichterbeiz hinüber – dorthin, wo es auch mal ballert – und bestellt uns etwas Gutes. Ach ja, richtig, es geht hier um «blauklang». Nun: Schwer zu beschreiben, aber gut zu lesen. Nicht auf jene hören, die was dazu sagen. Der Blauklang kommt von innen, also Ohren zu und rein.

Pius Strassmann: blauklang. Gedichte. Edition Bücherlese, Hitzkirch, September 2016. 128 Seiten, Hardcover ISBN 978-3-9524082-8-5; CHF 28,– Ab sofort überall dort, wo es gute Bücher gibt. Und natürlich auch direkt beim Verlag: www.buecherlese.ch