#schade

Das Luzerner Theater bringt mit «Bad Girls» den zweiten Teil von Richard Wagners «Nibelungen» als Schauspiel und Quasi-Rap-Oper auf die Bühne. Dabei setzt man auf Jugendsprache, laute elektronische Musik und maximal ironische Distanz zum Stoff. Welcher Jugend möchte sich dieses Theater eigentlich anbiedern?

Es wirkt ein wenig so, als hätte man sich überlegt, wie man das Ungetüm «Nibelungen» einem jungen Publikum nahebringen und dieses zugleich zwei Stunden bei der Stange halten könnte. Und als wäre man dabei zum Schluss gekommen, man könne aus dem Stoff doch alles, was an potenzieller Sexyness und an «aktuellen» Themen oben aufschwimmt, in kleine, instagramtaugliche Häppchen verpacken, mit elektronischer Musik servieren, dazu regelmässig ein beherztes «Fuck, Alter!» einbauen und schauen, was passiert. Man kann das mit viel gutem Willen als äusserst unverkrampften Umgang mit dem Stoff schätzen – oder eben gerade darin eine grosse Verkrampfung erkennen. Dürfte man einem jüngeren Publikum nicht etwas mehr Substanz zumuten?

Fuck-it-Attitüde

Die Stärke dieses Abends – dies sei gleich vorweggenommen – liegt in den Songs, welche die deutsche Musikerin Marie-Christin Sommer für die Produktion geschrieben hat. Bezeichnend ist, dass das, was an Ironie, Jugendsprache und Fuck-it-Attitüde in den Songs aufgefahren wird, dort zwar funktioniert, zwischen den Songs aber überstrapaziert wird und anbiedernd wirkt. Geld. Geld. Macht. Macht. Vögeln. Ich will Geld. Macht. Vögeln. Während wir das, was in einem Rapsong wie «Boys Will Be Boys» an Klischees runtergerattert wird, als das nehmen können, was es ist – eine vergnügliche Abarbeitung an Stereotypen –, wirken dieselben Stilmittel im Spiel schnell abgelutscht und nervtötend. Wotan, sozusagen der «Chief» des Figurenpersonals, ist nicht entsetzt, weil seine Kinder Siegfried und Sieglinde miteinander schlafen, sondern «pissed». Siegfried und Sieglinde haben nicht Lust aufeinander, sondern «total Bock». In derselben Szene ist dann auch von «supersperm» und «dick pics» die Rede. Der Lieblingstochter Brünhilde werden nicht die Leviten gelesen, sondern sie wird zu einem «Meeting» mit «Daddy» gerufen. Der Kürzest-Inzest-Exkurs erfolgt dann auf Schweizerdeutsch in einer etwas allzu oft bedienten Talkshow-Verarschung «Moral Total», worauf gleich wieder «live zum Walküre-Felsen» geschaltet wird. Dort kommen ein paar beim Kampf ums Leben, was nüchtern unter #schade verbucht wird. Man fragt sich unvermittelt: Muss das sein? Und wenn ja: Wozu eigentlich?

Ein lächerlicher Patriarch

Man darf diese kurzweilige Aneinanderreihung von Szenen und Witzen natürlich lustig finden. Gegen einen Theaterabend, der nicht mehr sein will als gute Unterhaltung, ist absolut nichts einzuwenden. Allerdings fehlt es «Bad Girls» für die gute Unterhaltung an dramaturgischem Geschick und konsequenten Entscheidungen. Es ist, als hätte man alles reinpacken wollen in dieses «Ring-Ding»: Erste Liebe, Geschwisterkonkurrenz, Gewalt, Übergriffe, Mann-Frau, Vater-Tochter, Macht, Sex, Abnabelung. Entsprechend zerfleddert das Ganze und überbietet sich selbst in einer Haltung, die über weite Strecken beim Sich-lustig-Machen stehen bleibt.

 

Als Theatergängerin, die referenziell nicht bei Netflix und TikTok haltmacht – oder sagen wir einfach: als erwachsene Person –, ist man im Resultat schlicht enttäuscht.

 

Der entscheidende Punkt ist: Dieses Stück will eben mehr sein als gute Unterhaltung. Man wollte nämlich, so die Absichtserklärung auf der Website, die Frauen ins Zentrum stellen, über männliche und weibliche  Macht nachdenken, über eindimensionale Zuschreibungen. Als Theatergängerin, die referenziell nicht bei Netflix und TikTok haltmacht – oder sagen wir einfach: als erwachsene Person –, ist man im Resultat schlicht enttäuscht. Zwar wird den Frauenfiguren etwas mehr zugetraut, als Mütter und Geliebte zu sein – das ist allerdings schon im Originalstoff so –, und Wotan kommt als durchaus lächerlicher Patriarch daher. Man macht es sich jedoch relativ einfach, wenn man dabei stehen bleibt, sich über vermeintlich überkommene Stereotype lustig macht und sich dabei selbstgerecht auf die Schenkel klopft.

«Sind wir so viel weiter?»

Es gibt sie durchaus, jene Momente, in denen etwas an der Oberfläche gekratzt wird und ein wenig Substanz durchscheint. Überzeugend ist das etwa dort, wo Fricka (Tini Prüfert) ihren Unmut über ihre Figurenzuschreibungen kundtut, während sie Seiten aus Wagner-Büchern reisst, sich in den Mund stopft und wieder ausspuckt. Dabei reflektiert sie in einem herrlichen Monolog eben nicht nur die Figur Fricka, sondern gleichzeitig auch ihre Stellung selbst als Schauspielerin in einem Ensemble, das hauptsächlich aus viel jüngeren Frauen besteht. «Sind wir wirklich so viel weiter?», fragt Fricka, und das zu Recht. Auch Wotan (Christian Baumbach) sinniert in seinem Monolog doppelbödig: «Soll ich Platz machen und schweigen?» – «Irgendwie ist das ja auch nicht die Lösung.» – «Ich habe keine Lust mehr auf diese Projektions- und Agressionsfläche», beklagt er sich, nur um gleich wieder rumzuschreien, wie es sich für einen Patriarchen eben gehört. Solche Szenen hätte man sich mehr gewünscht. Und man hätte von einem Haus dieser Grösse, das sich gerne da und dort mit etwas bemüht wirkenden Szenen von den eigenen Stoffen distanziert, um sich auf die richtige politische Seite zu stellen, etwas mehr erwartet. Dass auch die Frage offenbleibt, an wen sich diese Produktion nun eigentlich richtet – ist es Jugendtheater? –, ist bezeichnend für jene Unentschlossenheit, die sich wie ein roter Faden durch die Produktion zieht. Auch Entscheidungen zu treffen, ist eben politisch.

Bad Girls
Bis SO 4. Juni
Luzerner Theater


 

041 – Das Kulturmagazin
Mai 05/2023

Text: Anja Nora Schulthess
Bild: Ingo Hoehn

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