Saftlose Heimkehr des Odysseus

Das Luzerner Theater spielt «Il Ritorno d'Ulisse in Patria» von Claudio Monteverdi, eine Oper des Frühbarock. Ein sehr verhaltener und karger musikalischer Ansatz hilft der Szene kaum auf die Beine. Die teils zähe, teils kindische Regie trägt nicht über Längen der Musik hinweg.

Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt und der Regisseur Jean-Claude Ponnelle haben in den Siebziger Jahren die frühbarocken Opern von Claudio Monteverdi wiederentdeckt und mit ihren Zürcher Inszenierungen fulminant die weltweite «Monteverdi-Renaissance» eingeleitet. In Luzern ist jetzt, wo Monteverdi schon wieder Repertoire geworden ist, eine Inszenierung zu entdecken, die einen darüber belehrt, wieso denn Monteverdis Werke eigentlich so lange im Dornröschenschlaf lagen. Am Repertoire darf sich ja auch abarbeiten, wer nichts zu einem Stück zu sagen hat. Repertoire läuft vermeintlich auch ohne grossen intellektuellen Aufwand von selbst, bis es dann, irgendwann nicht mehr Repertoire ist. Für heutige Verhältnisse nicht eben viel ist überliefert in dieser Partitur von «Il Ritorno d'Ulisse in Patria». Es gibt eine Basstimme, die Singstimmen und einige wenige vollständig ausgesetzte sogenannte «Ritornelle», kleine abschliessende und überleitende Ensemblestücke. Keine Angaben macht Monteverdi zur Instrumentation, zur Dynamik (Lautstärke), zum Tempo, zur Artikulation (hart, zart, gebunden, gehackt, prägnant, verschwimmend etc. gespielt). Es sind also für jede Aufführung ganz wesentliche Entscheidungen zu treffen, welche den Charakter der Musik und damit der ganzen Produktion fundamental prägen. Dirigent Howard Arman hat diese Entscheidungen getroffen und zwar zugunsten eines reinen Streicherensembles plus einer Reihe von Akkordinstrumenten wie Gitarre, Cembalo oder Orgel. Es fehlen also ganz die Blech- und Holzbläser. Darüber hinaus lässt Arman sein kleines Ensemble (Mitglieder der Basler «Schola Cantorum» und des LSO) ohne grosse artikulatorische Akzente und in einem eher engen dynamischen Spektrum spielen. Die stets weiter und weiter dahinfliessende Musik wird kaum durch Pausen oder markante Tempowechsel gegliedert, so dass eine sehr lyrische, zurückhaltende Hintergrundmusik resultiert, die in ihrem undramatischen, wohltemperierten und wohltempierten Duktus eher an geistliche Musik als an Musiktheater erinnert. Sämtliche, wirklich sämtliche der nicht weniger als 14 Sängerinnen und Sänger, zumeist Luzerner Ensemblemitglieder haben sich gut in diese lyrische Welt hineingefunden und folgen dem Dirigenten mit Stilgefühl und sängerischem Können in seinem zurückhaltenden Ansatz. Es ragt aber auch kaum einer als charismatischer Sänger-Rezitator und Affekt-Darsteller, der die Szene dominieren und gestalten könnte, aus diesem zarten, einschläfernden Singsang und Schrummschrumm heraus. Das ist nun allerdings nicht nur von Gutem, denn das Monteverdische «Recitar cantando», in welchem die Musik ausdrücklich gegenüber dem Text und dessen Emotionen nur eine dienende Funktion hat, ist bei weitem nicht so dicht, vielstimmig, melodiös, harmonisch berückend und kunstvoll ausgearbeitet wie etwa ein weltliches Madrigal oder eine geistliche Komposition aus dieser Zeit. Es ist eine eher simple Bühnenmusik, zu der die übrigen Elemente des Gesamtkunstwerks Oper unabdingbar dazugehören. Man könnte sich die Musik also durchaus klar geprägt von Stimmung und Emotionalität der Sänger-Darsteller und weniger von einem ästhetischen Grundkonzept des Dirigenten vorstellen. Auf alle Fälle muss die Musik in jedem Moment von der Szene gedeckt und motiviert sein, ansonsten sie bald einmal ziemlich eintönig fortzuplätschern droht. Durch die Szene gedeckt ist in dieser Inszenierung gar nichts, so dass man keiner Sängerin und keinem Sänger einen Vorwurf machen kann, wenn bei ihr Spiellust und Charisma für einmal nicht unbedingt überborden. Hausherr Dominique Mentha ist für diesen «Ulisse» eher kurzfristig von Kassel zurückgereist, wo er sich einen Zusatzverdienst als Gastregisseur gegönnt hat, nicht eben zur restlosen Begeisterung der örtlichen Lokalblätter: «… gibt es szenisch auch einigen Leerlauf…», «… einige Regie-Einfälle blieben unklar….», «… auch wenn man der Inszenierung eine gewisse Statik - beabsichtigt oder unbeabsichtigt - nicht absprechen kann.» Sicher, diese Auswahl an Zitaten ist subjektiv und aus dem Zusammenhang gerissen, sie zeigt aber, dass auch Regisseure eben ihre erkennbaren Personalstile pflegen. Gegenüber dem eigenen Musikdramaturgen verkündet der Direktor im Programmheft vollmundig: «Wir werden, auch ohne die Bühnenmaschinerie anzuwerfen, eine barocke Geste drinhaben. Aber dafür reicht mir im Grund ein Sofa auf etwas Sand.» Wie man sich doch täuschen kann! Auf den Sand gesetzt hat Mentha ein über weiteste Durststrecken trostlos steifes, einfallsloses Schultheater, in welchem nichts zur Vertiefung irgendeiner der Figuren, aber alles zu deren Reduzierung beiträgt. Es ist eine Reihung von ein paar banalen und ein paar albernen Ideen. Zur Banalisierung trägt insbesondere die karikaturistische Ueberzeichnung der drei sogenannten «Freier» der Penelope bei, von denen bestimmt keiner ein ernsthafter Konkurrent des Odysseus werden kann, womit diese Seite der Geschichte durch die Regie dann auch schon abgehakt wäre, durchaus zum Vergnügen desjenigen Teils des Publikums, der sich ein kindliches Gemüt hat bewahren können, das sich nach geschlagenen 2 Stunden gedehnter Zeit denn auch gerne mal Luft schafft. Auch die Götter sind lustig. Sie sitzen auf hohen Bademeister- oder Tennisschiedsrichterstühlen (Achtung, hat man verstanden? «Meister», «Richter») und dürfen auch schon mal wegdösen, schnarchen und grunzen oder unmotiviert durch allerlei Türen auf- und abtreten, die übrigens am Bühnenbild genau an der falschen Stelle, nämlich an den Ausbuchtungen statt in den Nischen der säulenartig strukturierten Wand angebracht sind. Bei so viel Karikatur fällt dann auch die Figur des verfressenen Iro, der von Monteverdi und seinem Textdichter bewusst als ganz unheimliche karikaturistische Kontrastfigur und Stilebenenbruch konzipiert und musikalisiert wurde, nicht mehr so unangenehm auf. Und da die «Odyssee» und überhaupt das Werk Homers ja bekanntlich geradezu das Hohelied der euphemistischen, kindertauglichen und menschenliebhabenden political correctness ist, werden auch die Freier nicht durch Odysseus erschossen, sondern sie fallen - bumm! - nach etlichem Geblitze einfach um wie Figuren aus dem «Struwwelpeter», an die sie schon die ganze Zeit so fatal erinnert haben. Wenn nicht gealbert und geslapstickt wird, wird depressiv herumgesessen oder gemessen langsam und ziellos-unmotiviert durch Sand und Orchestergraben geschritten. Glaubwürdige Interaktion zwischen den Personen kommt gleich gar nicht zustande, im Gegenteil feiert das gute alte Rampensingen Auferstehung. Da nun die Regie dermassen nichts zu dem Stück zu sagen hat, wirkt es noch erschwerend, dass wohl gar keine Striche gemacht wurden, und also das vollständige lange Werk ohne den Trost saftiger und stimmiger Bühnenaktion durchgespielt wird. Hin und wieder blitzt das Genie Monteverdis auf. So etwa ganz am Ende, in dem wunderbar zurückgenommenen und leise verklingenden Schlussduett. Da dem Verklingen aber kein Auftrumpfen voranging, verpufft letztlich auch dieses Moment der Verdichtung.

Claudio Monteverdi. Il Ritorno d'Ulisse in Patria, Musikalische Leitung: Howard Arman, Inszenierung: Dominique Mentha, Vorstellungen bis Sonntag, 26. Mai, 19.30 Uhr, Luzerner Theater