Räumliche Beklommenheit klanglich gedehnt

Zivilschutzanlage Sonnenberg, 23.4.2016: Im Rahmen des Kulturprojekts «Sehnsucht» trifft barocke Chormusik von «molto cantabile» auf zeitgenössische, elektronische Klänge. Dieser Dualismus soll nicht der einzige bleiben.

Die Räumlichkeiten sind kahl, grauer Stein ziert Wände wie Böden. Dumpfe, elektronische Klänge, gepaart mit verzerrten Gesangsequenzen ertönen aus einer dunklen Ecke. Sie verstummen, um an einem anderen Ort wieder zu erklingen. Dann Gesang. Man ist sich nie ganz sicher, woher dieser erschallt, doch folgt man ihm – von Raum zu Raum, tiefer und tiefer in den Untergrund. Zuweilen erscheinen SängerInnen in Schwarz, verschwinden kurz darauf plötzlich wieder. Mal warten sie unten auf den Wendeltreppen, dann liegen sie stramm in engen Etagenbetten, oder stehen aneinandergereiht im Tunnel. Ihre Blicke sind starr, unbeseelt, sie gehen in die Leere. Vom GDiesang lässt sich dies nicht behaupten. Das Überleben im Untergrund – ist es denn noch ein Leben?

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Die Kulisse für das aktuelle Konzertprojekt des 2003 gegründeten Luzerner Chors molto cantabile ist geschickt gewählt: tief in den Katakomben des vor 40 Jahren gebauten Zivilschutzbunkers im Sonnenberg. Das Stück «Überleben» und besteht aus einem besungenen Rundgang. Elektronisch erzeugte Tonlinien des Basler Klangkünstlers Tomek Kolczynksi begleiten den Abstieg in die Tiefe.

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Das Wissen um die Abgeschiedenheit und in diesen Räumlichkeiten lässt ein leicht bedrückendes Gefühl aufkeimen. Die spärlich ausfallende Beleuchtung sowie die Klanginstallationen von Kolczynski, zusammen mit den Gesangssequenzen der Bachkantate BWV 177 («Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ»), verstärken diese Stimmung. Eine feine Dramaturgie vermag Spannung aufzubauen, die sich auf einer Palette von drückender Angespanntheit bis hin zu erlösender Abschweifung und musikalischem Genuss ausbreitet. Die Gegensätzlichkeit zwischen der räumlichen Beklommenheit und der gleichsamen Schönheit eines ausgedehnten Klangbildes bleibt stets bestehen. Dieser Dualismus ist gleichsam sinnbildlich für die thematische Umrahmung der Darbietung: Sicheres Überleben in geordneter Enge oder Leben in kühner Freiheit?

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Die äusserst kurzweilige Performance überzeugt durch die innovative Inszenierung ebenso wie durch substantiellen Inhalt, der bis ins Innerste spürbar ist. Mit dem ersten Schritt nach draussen brennt sich sodann das Tageslicht langsam wieder in die Augen.  

Weitere Aufführungen gibt es am 24.4.2016, 29.4.2016 und am 30.4.2016.