Punk-Gestus, Destruktion popmusikalischer Klischees und Haare schneiden

Als Off-Pop-Festival wird es von den Organisatoren angepriesen. Im Verlaufe des Abends bekam diese Bezeichnung eine tiefere Bedeutung. Es standen drei Bands auf der Sedel-Bühne, die jeweils jede auf ihre Art eine Destruktion popmusikalischer Klischees betrieb. Der Punk-Gestus war allgegenwärtig – als Attitüde, nicht als Plattitüde.

Wie immer lief ich gestern zu Fuss in den Sedel. Der Weg ist das Ziel. Kopfhörer auf und iPod an. Ich bereitete mich mental mit den neuen Alben von Sky Larkin und dem Animal Collective auf den Sedel-Abend ein. Auf Gleishöhe lief mir eine Frau entgegen, die fragte, wo sich der Sedel befinde. Hilfsbereit wie ich nun mal bin, wies ich ihr den Weg. Eigentlich hätte ich sie auch ins Restaurant Regatta schicken können, meines Erachtens lief dort auch so was wie ein Off-Pop-Abend. Die Besucherzahl im Sedel hielt sich in Grenzen. Es war voraussehbar, dass dies ein Abend einer eingeschworenen Gemeinschaft aus Musikliebhabern wird. Ein bisschen mehr Leute hätte es trotzdem vertragen. «Get a Haircut» – und den bekam man im ersten Stock. Mitten im Gang stand ein Stuhl. Interessenten, die ihre Tolle fachkundig dem ästhetischen Anspruch der heutigen Zeit anpassen wollten, waren allgegenwärtig. Der Stuhl war meistens besetzt. Akustisch untermalt wurde diese Dienstleistung von einer Band, bestehend aus Jazzschülern. Es ist immer wieder faszinierend zuzuhören, wie angehende Jazzmusiker aus dem Stegreif jammen können.

Da der Stuhl weiterhin notorisch besetzt war, musste sich meine «Frisur» noch eine Weile gedulden. So machte ich mich auf den Weg in den Saal. Wie der Name nicht vermuten lässt, handelt es sich bei Peter Kernel um ein Quartett aus dem Tessin. Sie haben sich ganz dem Noise-Rock amerikanischer Prägung verschrieben. Vor allem die Verwandschaft zu Sonic Youth ist nicht von der Hand zu weisen. Wie Sonich Youth verstehen es auch Peter Kernel ihre Unvollkommenheit an den Instrumenten zu kaschieren. Auch das Singen ist nicht ihre Stärke. Aber das ist völlig egal. Hier beginnt der Gedanke von Punk-Musik zu funktionieren, nämlich aus dem vorhandenen Können das beste zu machen. Sie schreien, sie malträtieren die Instrumente, bauen den Song auf – um ihn später in seine Einzelteile zu zerlegen. Eine Schweizer Band, die unschweizerisch extrovertiert musiziert.

Nach diesem erfreulichen Auftakt, ging es ab in den Keller. Die Basler Band Flimmer erzeugte eine Eruption, die den Sedel fast in seine Einzelteile zerlegte. Mathcore könnte man das nennen. Mit zwei Bässen und Schlagzeug spielte das Trio Stücke, die nie länger als zwei Minuten gingen. Die Halbwertszeit der Songs war aber zeitweise deutlich darunter. Ein 4/4-Takt existiert bei dieser Band nicht, geschweige denn ein Refrain. Mit einem verschmitzten Augenzwinkern stellen Flimmer Hardcore-Punk dem Jazz gegenüber. Oder auch umgekehrt.

Oropax raus, und es geht zurück in den Saal. Auf der mit Instrumenten und Verstärkern überfüllten Sedel-Bühne wartet schon Gregor Samsa. Die siebenköpfige Band aus Virginia stellt die Antithese zu den beiden vorhergehenden Konzerten dar. Die Faszination ihrer Musik schöpft sich aus der Stille. Man stand im Saal und wurde gefangen von diesen elegischen Klängen. Sie erschaffen Musik, die sich den popmusikalischen Regeln entzieht und gerade darin ihre Tiefe findet. Mit Geige, sanfter Perkussion und warmen Orgelklängen setzten sie kammermusikalische Akzente. Über diesen Teppich schwebten die Stimmen der Sängerin und des Sängers. Und, ja, es wurde zeitweise auch sakral, von Engelsstimmen war gar die Rede. Es war ein interessanter Konzertabend. Drei Bands, welche Destruktion gängiger Popmusik auf ihre ganz eigene Weise betrieben. Ob mit Noise, Anti-Pop oder dem konsequenten Beharren, sich keiner Erwartung unterwerfen zu müssen. Flimmer: myspace.com/reizundflimmer Peter Kernel: myspace.com/peterkernel Gregor Samsa: myspace.com/gregorsamsamyspace Heute geht’s weiter mit dem Festival im Sedel. Folgende Bands werden spielen: Huck Finn: myspace.com/huckfinnmusic Yakari: myspace.com/yakarimusic Antenna Tony Monorail: myspace.com/antennatonymonorail PS: Ach ja, meine Tolle ist immer noch nicht geschnitten.