«Post-Skandal durchleuchtet»

Oldie-Postauto, Luzern-Oberwil-Lieli-Luzern, 12.06.2018: Die Loge Luzern feiert Lesebühne- und Saisonabschluss mit einem zünftigen Schuelreisli, einem literarisch-musikalisch-kulinarischen Roadtrip über den Güllengraben und zurück.

 

Die Literaturbühne «Loge» am Stadtluzerner Helvetiaplatz hat den Medienrummel um den Postauto-Skandal gut bestellt. Um die Ecke wartet ein Saurer RH 525-23 im gelbroten Look. Gehornt wird aber erst mal durchs Viehgeweih. Reisemoderator Max Christian «MC» Graeff gibt das Zeichen zum Start.Loge Luzern

Und wenn man nach dem Kasernenplatz dann in den Reussporttunnel runtertaucht, nimmts Fahrt auf. Adieu, Stadt. MC instruiert: «Mit Zwischenfällen wird nicht gerechnet, der Himmel ist atompilzfrei.» (Ja, neben dem Posti-Bschiss war das Treffen in Singapur Tagesthema.) Der Loge-Chef André Schürmann wechselt in der vordersten Reihe derweil sein Oberteil und Reiseleiterin Lili Kaelin rüttelt an der Dachlucke, um etwas frische Luft und sanften Regen ins Gehäuse zu flössen. Buchstabenguezli werden verteilt.Saurer RH 525-23

MC und Christov Rolla, der Barde des Abends, leiten thematisch in den Abend ein mit einer deutschsprachigen Sixteen Tons-Adaption. Spätestens jetzt ist Busfahrt-Stimmung und man kann sich im Stromberg-Kinofilm wähnen. Heute solls wortwörtlich gesagt sein: «Der Weg ist das Ziel.»Canaille

«Reise ins Unbekannte», so der Titel der Veranstaltung. Das Unbekannte ist zum Beispiel das Fremde. Fremd im eigenen Land, das ist man zuweilen, wenn man sich als (Klein)Städter aufs Land begibt. Und genau darum gehts hier. Eine Klassenfahrt durchs Aargauer Freiamt. Allzuviel aus dem Fenster gucken jedoch besser nicht, schliesslich wird vorne performt. Die Slampoetin Patti «normalerweise gebe ich im Postauto anderes von mir» Patti Basler unterhält kunstfertig und sprachverspielt über Postautos und Vögel. Zum Beispiel berichtet sie von jenen progressiven Vögeln, die allen nur noch «Du» sagen wollen. Pro-Duz-Enten. Kommentar zur Szenerie draussen: «Hier sehen wir das Freiämter Rotlichtmilieu. Dort die Verrichtungsboxen, doch die gehen mir gegen den Strich.»Apero

Prickelndes Einmünden in den Kreisel: Wird der Chauffeur wohl ne Runde drehen? Rolla bevorzugt gerade Strecken, während er den Notenständer aufrichtet. In jungen Jahren hätte er eine Beziehung gehabt, da sei nur mit Beatles-Fragmenten kommuniziert worden. Eine Kostprobe davon gibt uns Rolla mit einem rasanten Beatles-Medley. Die Lovestory endet im Bruch. MC: «Gut weiss er nicht, dass sie nachher Stones-Fan wurde.» Kulturbeutel

Wie sichs gehört für eine Fahrt übers Land, platziert MC hie und da ein Ich-sehe-was-du-nicht-siehst-und-das-ist-soundso. Preise: Pfälzer Wurst, DDR-Wimpel. Nebenbei wird die Luzerner Anthologie «Schäferschond» verschenkt. Angenehm füllt sich die Karosse langsam mit Kuhfladengeruch. Den Passagierinnen und Passagieren werden Wundertüten verteilt, dem Inhalt nach Kulturbeutel – nicht der mit den Hygieneartikeln –, dem Gefäss nach Kotzsäckli. Schürmann Sonnenuntergang

Viele der Redebeiträge – beschlossen wird heute Abend schliesslich die Lesebühne-Saison – sind Oden, die sich die vier Performenden Basler, Graeff, Rolla und Schürmann gegenseitig machen. Gespickt mit Insidern und Fortsetzungen, für die man an früheren Ausgaben hätte dabei sein müssen, um sie voll zu kosten. Der Apéro wird durchgereicht: Pumpernickel, Butter, Kölner Blutwurst. Während Schürmann spricht, verschluckt in seinem Rücken der Landstrassenhorizont die Abendsonne. Das Script der Organisatoren ist 1A. Hirschen

Die Spannung steigt. Wo wird Pause gemacht? Wir irren in einem Aargauer Dorf herum, die Moderation lässt über Kuharten raten, am Strassenrand zwischen Zersiedelungs-Einfamilienhäusern und Thuja-Hecken wird gegrast. Wo gehts durch? MC: «Hier immer rechts.» Basler: «Hier gibt es keine rechtsfreien Räume.» Wir verlassen das Dorf, halsbrecherisches Kehrmanöver mit Szene-Applaus, wir kommen zum Halten zmizt auf der Strasse. Die Türen öffnen, Abgasgeruch flutet die Sitzreihen, ein grauer Herr rennt aus dem Wagen und biselt auf den Klee. Doku-Macher Beat Bieri spaziert mit seiner Kamera etwas die Strasse rauf zum Ortsschild. Dann B-rollen wir wieder rein ins Dörfli. Oberwil-Lieli, das dunkle Herz der Schweiz. Stammtisch

In Lielis Restaurant Hirschen mit der Güggeli-Oase wird das WC geflashmobt. Bei der Einschreibung in der Loge wurde mancher Gast mit dem Getränkekonzept verwirrt. Nun transformiert sich die helvetische Bürokratie in gutschweizerische Präzision. Das Restaurantpersonal hat alle individuellen Getränkewünsche griffbereit. Ich setze mich an Lielis Stammtisch. Der Blick titelt: «Post-Skandal durchleuchtet». Joe, unser Fahrer, setzt sich zu mir, und ich lasse mir bestätigen, dass der Fahrer wirklich Joe heisst. Er fragt, ob ich auch zu dieser Clique gehöre. Ich bin das erste Mal dabei. Aber Kulturmagazin-Menschen und Loge-Menschen überschneiden sich. Also vielleicht etwas. Joe bezeichnet sich als Landei. Ich muss leer schlucken, stelle mir vor, wie er uns in der Kabine vorne sitzend dem Witz der urbanen Arroganz, der Leidenschaft der Weltbürger*innen lauschend sicher durch die Gegend steuert.Spektrum1

Die Weltwoche im Hirschen wird entdeckt. So bestätigt man sich aktiv Vorurteile, denke ich. Denn da sind sicher noch andere Zeitungen. Man sieht wohl nur, was man sehen will. Nein, doch nicht. Das weltanschauliche Angebot des Zeitungshalters scheint tatsächlich äusserst dünn gesäät.Spektrum2

Draussen auf dem Parkplatz währschafter Kartoffelsalat. Das Klassenföteli fällt leider ins Dunkle. Basler und Rolla geben ein Ständchen. 22:13 auf der vorgehenden Uhr beginnt der Bus wieder zu brummen. MC rezitiert Klabund: «Lässt man Freunde und Geliebte zurück, / Wandert die Stadt mit einem als ein ewiges Glück.» Lieli, Wohnort des Andreas Glarner, keine Stadt. Dann wird die Inländervorrang-Berufsarten-Liste des SECO gezückt. Für Kabarettisten gilt jetzt Inländervorrang. Auch für Doubles. Basler: «Ein Tubel-Inländervorrang!» Und er gilt für «Hilfsarbeiter für leichte Arbeit, Hilfsarbeiter für normale Arbeit, Hilfsarbeiter für schwere Arbeit, Hilfsarbeiter für sehr schwere Arbeit». Zudem für «Übrige Arbeitskräfte» der Berufsart «Sonstige be- und verarbeitende Berufe». Aus den hinteren Reihen kommt die Meldung, dass der Vize-VR-Präsi der Post nur die Hälfte des ergaukelten Geldes zurückgeben wollte.Kartoffelsalat

Dunkle Nacht, Tropfen peitschen ans Glas, wir rattern über die Autobahn. Basler, die «eierlegende Eier-Legende» kommt zu ihrem «Eierleg-Ende» mit der dritten Darbietung. Der ehemalige Luzerner Pfarrer Burghard Förster (MC: «Heute sind wir sogar ein Papamobil.») stimmt an zum versifizierten Lob auf die Verkünder*innen des Wortes jeglicher Couleur. Schürmanns Finale, mit leidenschaftlichem Ernst über AG (A. Glarner) aus AG (Aargau) und die Kultur, für die er steht, sowie einem innigen Abschied für Basler. Gruppenfahrt, Archetyp der Gemeinschaftlichkeit. Der Reussporttunnel naht und wir kehren zurück ins Bekannte.Parkplatzromantik