Plesio-Saurier, Diplodocus, Dimetrodon, Dinoceras usw.

Luzerner Theater, 30.04.2017: Während der Tod des Extremalpinisten Ueli Steck durch die Medien donnert, ereignet sich die Katastrophe am Berg auch anderswo. Hautnah an der Premiere vom «Menschen im Holozän», sodass es einem das Trommelfell zerreisst.

Max Frisch und der Alpinismus, von Frühwerk bis Spätwerk – darunter «Der Mensch erscheint im Holozän» – unzertrennlich. Eben dieser späten Frisch-Erzählung widmet sich das Luzerner Theater. Nicht etwa als Nachzügler, um den 25. Todestag von Frisch zu ‘feiern’ (der war letztes Jahr), sondern ganz im Geiste der Hausstrategie, neue Räume zu erobern: in diesem Fall ein Prosawerk, das ganz und gar nicht fürs Theater gemacht scheint.

Da tun sich Fragen auf. Wie soll das gehen mit dieser Erzählung, in der sich kein einziger Dialog entfaltet? In der der Protagonist nicht mit den Lesenden spricht, sondern die Erzählstimme ihn auf Distanz hält von denselben? Wie soll das gehen mit diesem Werk, wo sich Frisch am Fotokopierer ausgetobt hat? Es ist radikal als visuelles Erlebnis im Universum der Buchform: Illustrationen, Schriftarten und -grössen, Zeilenbreite, malerische Absätze versus Kurzsatz-Einzeiler, Aufzählungen und Listen wechseln sich virtuos ab. Wie das ins Theater übertragen? (Soviel sei vorweggenommen: Dieser Vielschichtigkeit vermag das Luzerner Sinfonieorchester mit Gustav Mahlers Zehnter gerecht zu werden, nicht das Schauspiel.)

Herr Geiser (Adrian Furrer spielt den Protagonisten) kommt unvermittelt ins Rampenlicht und schiebt ein «Guten Abend» in seine ersten Zeilen ein. Die Türen zum Saal bleiben offen. Er ist dem Publikum zugewandt, pickt sich Einzelne heraus, um ihnen sein Wissen an die Birne zu knallen, oft über die Klippe der Bühne vorgebeugt. Er tut das vital, fast schon lustvoll, geht hektisch umher. Gleichzeitig hat die Textverdichtung für die Inszenierung einen ermüdenden Fokus auf die enzyklopädischen und listenförmigen Passagen und kahlen Aussagesätze gelegt.

Der Mensch erscheint im Holozän

Das Ganze wird nicht besser, wenn sich der Redende verhaspelt. Zwar steht bei Frisch: «es ist mühsam genug, Texte voll wissenschaftlicher Fremdwörter abzuschreiben, notfalls zwei oder drei Mal, bis die Abschrift korrekt ist», doch diese Performanz müssen wir nur beim Bühnen-Geiser miterleben, im Buch ist das glatte Produkt abgelichtet. Und während sich Furrer plappernd wiederholt, wiederholt sich die Erzählstimme gezielt. Man muss sich als Zuschauerin schon zu einer Hirnzelle und den Theatersaal zur Schädeldecke reduzieren, um das Ganze zusammenzuhalten. Dann passt sogar die Souffleuse in die fiktive Welt.

Auch das Atmosphärische ging der Inszenierung abhanden. Während im Buch eine apokalyptische Ahnung sich schon ab der ersten Seite aufbaut, machen die Textprojektionen im Hintergrund der Bühne Geisers Wissenstirade zu einer heiteren Kabarett-Nummer. Von einem greisen Mann, der verzweifelt versucht, sich mit Wissen an eine untergehende Welt bzw. seine verglimmende Existenz zu klammern, ist wenig zu spüren.

Vor diesem Hintergrund ist nicht überraschend, dass schon die ersten, minimen Streicherklänge des Orchesters einer monumentalen Bereicherung des Geschehens gleichkommen. Geiser lässt sich vom hereintröpfelnden Ensemble irritieren, unterbrechen. Als würde es jene Teile der Erzählung übernehmen, in denen er mit der konkreten Umwelt seines Hauses und Dorfes konfrontiert ist (der Feuersalamander, die Vögel an der Scheibe, Streichhölzer holen – das alles verarmt im Monolog).

Der Mensch erscheint im Holozän

Warm wird Furrer spätestens mit der Passage, wo in der Erzählung die Schwärze des Tessiner Tals beschrieben ist, in dem sich Geiser befindet. Sie ist genau so gut vorgetragen, wie sie geschrieben ist. Sie führt in den stärksten Teil der Aufführung, nämlich den Mittelteil, wo Text und Orchester aufeinanderbreschen. Geiser, der im Holozän erschienene Mensch, versammelt die Saurier um sich: «Plesio-Saurier, Diplodocus, Dimetrodon, Dinoceras, Labyrinthodonte, Tyranno-Saurier» usw.

Und dann kracht Mahlers apokalyptischer Akkord auf den Erdball. Zeit zum Aussterben. Die Türen des Theatersaals werden zugeknallt, Überdruck, Dunkelheit. Dieses existenzielle Schaudern darf einem ruhig eine Träne aus der Rübe pressen.

Mehr und mehr gleitet man ins Nirwana der Sinfonie, Geiser steht noch als lahme Statue da. Aus dem Nervenzucken der Bühnentechnik wird ein wohliger Sternenhimmel. Ein Theater, bei dem Augenschliessen nun Mehrwert sein kann. Es wird langweilig. Die schönste Musik ist auch nur Schall, wenn kein Mensch mehr da ist. Und die Noten auf des Dirigenten Partitur (Winston Dan Vogel) machen das Klöppeln auf Blech.

Fotos: Ingo Höhn

Weitere Aufführungen: http://www.luzernertheater.ch/dermenscherscheintimholozaen

Mit Adrian Furrer (Herr Geiser) und dem Luzerner Sinfonieorchester.

Musikalische Leitung: Yoel Gamzou, Winston Dan Vogel (30.04., 21.05., 19.05., 28.05.)
Inszenierung: Felix Rothenhäusler
Raum- und Lichtdesign: Matthias Singer
Kostüm: Moana Lehmann
Licht: Clemens Gorzella
Dramaturgie: Julia Reichert