PEACE! PEACE! PEACE! Das 21. Jahrhundert ist DADA

Neubad, Luzern, 29.01.2019: Nach der Erschaffung der Welt gönnt sich Gott eine Siesta. In der Zwischenzeit verteilt Adam allen Dingen komplett willkürliche Namen – die Sprache entsteht. Durch sie wird geherrscht, Krieg geführt, Gefühle geweckt. Das Stück «Revolution DADA» von der Kompanie Rotes Velo befasst sich mit dem (Un-)Sinn der Sprache und unserer Welt, wie sie ist.

Titelbild: rotesvelo.ch

Violetter Nebel schwebt über dem Beckengrund. Der Erzähler – Yannick Badier – tritt hervor. Er beschreibt die Zeit, in der wir leben, spricht in Metaphern und über die Sprache selbst. «Vergesst die Aussenwelt!» Er sagt, wir seien umgeben von Fiktion, mehr als jemals zuvor. Und Revolution DADA sei eine Performance «gespickt mit Widersprüchen». Erst mit der Interpretation des einzelnen Zuschauers wird sie vollständig. Ich erzähle also ein Stück weit meine eigene Version des Erlebten.

Kapitel 1 – LET IT BE LIGHT

Der Nebel verdichtet sich, verschluckt Bühne und Publikum. ABSENCE. LIGHT. BEGINNING. Diese drei Worte verkörpern in einem Gemisch aus Klängen und Farben den Anfang der Zeit. «Je suis …» Zwei Stimmen ertönen, sie wirken bedrohlich. Die Stimmung: apokalyptisch. « … hier hineingeboren.» In diese «Tretmühle des Lebens.» «#Paris wird brennen. #London wird brennen. #WashingtonDC … wird nicht brennen.» Die Tanzkompanie Rotes Velo schafft es auf ironisch-witzige und zugleich bitterernste Weise, Sinn und Unsinn ineinander zu verflechten und dabei dem Publikum noch genügend Raum zu geben, die eigene Geschichte darin zu erkennen.

Kapitel 2 – VERBA MANENT SCRIPTA VOLANT

Dem lateinischen Sprichwort wurde der Sinn vertauscht. Nun heisst es: «Gesprochenes bleibt, Geschriebenes fliegt weg.» Auf dem Boden herrscht ein Chaos aus Papier, das die drei Protagonist*innen eifrig bearbeiten, bis die Fetzen fliegen – wortwörtlich. In dieser Szene überzeugt vor allem Jack Widdowson mit Mimik und Körperhaltung: als eine Art animalischer Hofnarr aus dem 16. Jahrhundert bringt er das Publikum zum Lachen.

Im Folgenden zeichnen die Performer*innen mit Kreide ihre Umrisse an eine Tafel, die danach vom Erzähler um Buchstaben und Fragen ergänzt werden. Im Vordergrund tanzen Viva Foster, Petr Nedbal und Jack Widdowson dynamisch und ausdrucksstark, sie lassen sich fallen und auffangen, rollen und springen leichtfüssig von hier nach da, als würden sie von Wellen getragen und schliesslich einem gewaltigen Strudel verfallen. Obwohl die Szene eher lange andauert, wird es durch die fortlaufenden Veränderungen auf der Bühne nie langweilig. Die Performer*innen, die allesamt professionelle Tänzer*innen sind, stellen ihr Können deutlich unter Beweis. Später treten sie als Fashion-Models/Dragqueens auf, die die Namen «Sommer in Lampedusa», «Syrische Braut», «Näherin aus Bangladesch» und «das Somalische Bankett» repräsentieren.

Kapitel 5 – DAS GILGAMESCH-EPOS (II)

«Ich habe Angst vor dem Tod.» Es ist dunkel. Zu dritt stehen sie an einem langen Tisch, auf dem Berge von Papierfetzen liegen. Sind es zu Papier gebrachte Teile einer Überlieferung des uralten Gilgamesch-Epos, das Rainer Maria Rilke «Epos der Todesfurcht» nannte?

Eine Puppe, bestehend aus einem hohlen Plastikkopf und einem Migrossack als Körper, wandert über die Schnipsel. Die Zeit dehnt sich, die Bilder werden immer konfuser und als Zuschauer*in sucht man verzweifelt nach Interpretationsansätzen (es sei denn, man versucht es gar nicht erst und begründet die eigene Ahnungslosigkeit mit „ist halt Dada“.) Eine Militärdecke, Geld, zerplatzte Seifenblasen, Marionetten. Zum Schluss wird es noch einmal richtig laut. PEACE! PEACE! PEACE!

Kapitel 8 – DADA

The End. Oder? Nachdem sich die Performer*innen etliche Male verbeugt und die Zuschauer*innen auch ausgiebig geklatscht haben, verschwinden sie zum vierten Mal hinter der Bühne. Doch als der Applaus verstummt, trauen sie sich nicht mehr hervor, räuspern sich und lachen verhalten. Das Publikum ist verwirrt, und als die Künstler*innen schliesslich durch die Hintertür hinaushuschen, umso mehr. Es wartet still noch ein paar Minuten, doch das Stück scheint tatsächlich fertig zu sein.

Revolution DADA ist ein Sinn-Erlebnis: dem*der Zuschauer*in präsentiert sich eine effektvolle Komposition aus Sprache, Sound, Farbe und Bildern, die einem nicht so schnell wieder aus dem Kopf geht. Der Dadaismus wird wieder zum Leben erweckt – andere Zeit, andere Voraussetzungen, gleiche Message. Der Kompanie Rotes Velo gelingt die überzeugende Umsetzung einer Epochen-Wiedergeburt durch ihre kreative, unkonventionelle Eigenart.

Spiel: Yannick Badier, Marie Delprat, Viva Foster, Petr Nedbal, Jack Widdowson

Musikalische Leitung: Marie Delprat; Ausstattung: Emilio Diaz Abregu; Mitarbeit Ausstattung: Flavia Somalvico, Kim Zumstein; Produktionsleitung: Jacques Erlanger, Hella Immler; Künstlerische Leitung: Emilio Diaz Abregu, Exequiel Barreras

«Revolution Dada» ist ein Stück der Rotes Velo Kompanie.