Paradies Schweiz

Stattkino, Luzern, 20.06.2018: Im Rahmen der kantonalen Aktionswoche Asyl vom 16. bis 24. Juni 2018 sind am Mittwoch im stattkino unter dem Thema «Geflüchtet» drei Kurzfilme gezeigt worden. Vom afghanischen Regisseur Ahmad Shah Alizada waren «Hello Theres» und «Die Kuh hat’s gut» zu sehen, von Mortaza Shahed «Das verlorene Paradies». Diese drei intimen Porträts zeigen auf, wie schwierig und voller Barrieren ein Leben in der Schweiz sein kann.

Das Schwierigste sei der Blick, der ihm entgegenkommt, wenn klar wird: Er ist Flüchtling, sagt der afghanische Protagonist M.

In diesem Blick lauern für ihn all die Zuschreibungen, derer er müde geworden ist und die er mit misstrauischen Fragen verbindet; woher er komme, warum er geflüchtet sei, warum die Schweiz? Der Film «Das verlorene Paradies» zeichnet die traurige Realität eines Betroffenen, der erschöpft ist vom Leben, das sich vor ihm ausbreitet, ausweglos und ohne Zukunftsaussichten. Dabei wird das Erzählte immer wieder mit klassischen Schweizeridyllen, Berg im Morgenrot beispielsweise, zusammengeführt und dadurch in einen zynischen Kontrast gestellt.

Regisseur Ahmad Shah Alizada
Der Regisseur Ahmad Shah Alizada

Verlorengegangen ist dem Protagonisten M. die Vorstellung vom «Paradies» Schweiz früh. Aus der Ferne malte er sich das Land aus, das keinen Gerichtshof führt, weil Kriminalität und Krieg nicht existieren würden. Hier angekommen die Ernüchterung: unterirdische Asylzentren mit Massenlagern und wenig Platz, endlose Wartezeiten und eine kafkaeske Bürokratie, die Unmöglichkeit, eine Arbeitsstelle zu finden oder einen Deutschkurs zu belegen, Einsamkeit und kein Ende in Sicht. Gerade der F-Status, der vorläufig Aufgenommenen zugewiesen wird, stellt vor zahlreiche Herausforderungen und mündet bei vielen in Depression und andere psychische Krankheiten. Mit einer Aufenthaltsbewilligung F können sie nicht ausgewiesen werden, weil in ihrer «Heimat» Bürgerkrieg herrscht. Verbessert sich dort aber die Lage, müssten sie in ihr Land zurück. Faktisch bedeutet dies, dass Betroffene ohne Möglichkeiten zur Integration und gesellschaftlichen Teilhabe über Jahre in der Schweiz leben. Der Regisseur Ahmad Shah Alizada hatte nun nach zweieinhalb Jahren Wartezeit sein erstes Interview mit der Migrationsbehörde, von der er sich eine Anerkennung als Flüchtling erhofft.

Theres

Dass die Schweiz für Geflüchtete höchstens mit dem Attribut «Paradies» versehen werden darf, wenn der Begriff im Sinne Ulrich Seidls verwendet wird, machen die drei Filme deutlich. In «Hello Theres» porträtiert der afghanische Geflüchtete und Regisseur Ahmad Shah Alizada die Arbeit von Theres Gwerder, einer Luzernerin, die sich freiwillig im Flüchtlingswesen engagiert. Sie ist seine Deutschlehrerin und sein WG-Gspändli. In die «Kuh hat’s gut» spricht der Protagonist Nader Hosseini mit einer Kuh und beneidet sie um ihre Grundrechte. Seine Geschichte, die schrittweise an mehreren Zentralschweizer Touristenorten aufgefächert wird, ist ebenso von Flucht und Heimatlosigkeit gezeichnet. Die Odyssee nach Europa wurde für ihn erst dann zur unausweichlichen Konsequenz, als der Syrienkrieg ausbrach und das iranische Regime als erstes die im Iran lebende afghanische Minderheit, viele der Volksgruppe der Hazara zugehörig, in den Krieg schickte. Nader Hosseini macht einen zutiefst herzlichen Eindruck, seine Beobachtungen erzählt er reflektiert und teilnahmsvoll. Vermutlich ist er ein Mensch mit einer aussergewöhnlich positiven Einstellung, dank der er sich in der schwierigen Situation als «Vorläufig Aufgenommener» vielleicht etwas besser zurechtfinden kann als M.?

Nader Hosseini mit Kuh
Nader Hosseini mit Kuh

Es wurden Filme gezeigt , die nicht als Kunstprodukte hervorstechen, sondern eindringlich Geschichten erzählen, die zu sehen und hören wichtig ist. Die unmittelbare Erzählweise, zu der auch die immer mal wieder schwankende Kameraführung beiträgt, passt. Denn nicht der anonyme Blick einer objektiven Kamera fungiert als Betrachtender, sondern hinter der Linse steht ebenfalls ein Mensch, der Teil des Erzählten ist. Diese Geschichten, die nun auf der Leinwand ihre Wirkung entfalten und zweifellos Jede und Jeden im Saal zum Nachdenken bewegt haben, sind real und zeigen in ihrer Unterschiedlichkeit und Individualität auf, wie absurd es ist, unter dem Label «Flüchtling» eine homogene Gruppe zu vermuten. Es ist zu hoffen, dass Projekte wie diese den einen oder anderen Blick von einem zuschreibenden in einen neugierigen verwandeln.

Um diese Auseinandersetzung nicht nur über die Kinoleinwand zu ermöglichen, bietet die Aktionswoche Asyl ein umfangreiches Angebot, wo Begegnungsorte geschaffen und ein lebendiger Austausch gefördert wird. Das Angebot an Veranstaltungen ist immens; es gibt Kunstausstellungen, gemeinsame Essen, Theater, Lesungen, Konzerte und zahlreiche Möglichkeiten, Neues zu lernen und ins Gespräch zu kommen.

Tipp für Kurzentschlossene: Das ColourBoxMobil am Neustadtstrassenfest (noch bis 21 Uhr). Dann wird NomadLab, das umgebaute Postauto, zum Ausstellungsraum. Gezeigt werden Arbeiten, die vom 19. bis am 22. Juni im und ums Postauto entstanden sind.

 

Das weitere Programm der Aktionswoche Asyl finden Sie hier: www.hellowelcome.ch/assets/asylwoche18.pdf