Orchester ohne Hierarchie

Das Insub Meta Orchestra besteht aus über 60 Personen, die jeweils in unterschiedlichen Konstellationen zusammenkommen. Proben sind bei so vielen Musiker:innen kaum möglich. Was also erwartet uns an den Stanser Musiktagen?

Zeit für Entschleunigung? Zeit für «Acceleration»! Denn was ist das für ein schleppender Marsch, den die Musiker:innen des Insub Meta Orchestra in ihrem neuesten Werk zunächst vorantreiben! Was für Töne hier durch den Raum fliegen! Welch ein Monsterklang das ist in der 23. Minute! Und wie laut kann eigentlich Stille sein?

Das Album «Acceleration», veröffentlicht unter dem eigenen Label Insub, beschleunigt entgegen dem Namen nichts. Eher ist es ein Werk, das den Moment verlängert, weil es vieles offenlässt, vieles zulässt. Und von einem grossen Orchester erzählt, das seine Wurzeln in der Improvisation hat.

Im Jahr 2010 war es, als Laurent Peter, bekannt als D’Incise, gemeinsam mit Cyril Bondi das Insub Meta Orchestra gründete. Die Genfer Musiker waren damals mit ihrem Duo Diatribes auf Tour und spielten einige Male mit dem London Improvisers Orchestra, das bekannt ist für einen offenen Zugang für Musiker:innen. «Und wir realisierten: Ein ähnliches Orchester möchten wir auch in Genf gründen», erzählt Cyril Bondi im Gespräch. Aber weil Genf zu wenig Musiker:innen zählt, weiteten sie ihre Suche auf die ganze Schweiz aus. «Die Idee war, dass sich so viele Musiker:innen wie nur möglich einfinden können.»

Doch das Projekt glich zunächst zu sehr einem blossen Workshop und weniger einem Ensemble. Und so fragten die beiden Musiker, wer fixes Orchestermitglied werden möchte. Seither besteht das Insub Meta Orchestra aus über 60 Personen. Aber kann das überhaupt klappen, freies Improvisieren mit einer solch hohen Anzahl an Mitgliedern? «Wir mussten eine gemeinsame Sprache finden, damit wir auch wirklich zusammen Musik spielen», sagt Bondi. Nach ein paar Impro-Jahren entschieden sie sich, für das Insub Meta Orchestra Werke zu komponieren.

Die Masse des Klangs

«Die ersten Stücke, die wir schrieben, waren sehr einfach gehalten», sagt D’Incise, der mit Cyril Bondi auch in der Drone-Trance-Band La Tène spielt. «Es ging darum, nur ein Ding zu machen, und um etwas, das man in sehr kurzer Zeit erklären kann.» Ein Beispiel? «Wir wollten etwa einen bestimmten Sound erforschen. Wenn man so viele verschiedene Musiker:innen hat und alle spielen denselben Sound, erhältst du genauso viele Versionen dieses Klangs. Und du entdeckst in der Masse des Klangs all die kleinen Unterschiede.»

Von diesen Unterschieden lebt der Klangkörper eines solchen Orchesters, auch weil die Struktur anders aufgebaut ist als jene von gewöhnlichen Orchestern. Bondi und D’Incise wissen im Vorfeld nie genau, wie viele Musiker:innen schlussendlich dabei sind. Deshalb komponieren sie die Werke so, dass sie in verschiedensten Besetzungen funktionieren – und schnell vermittelbar sind, da gemeinsame Proben kaum möglich sind. Die Stücke behalten bei aller Flexibilität ihre intendierte Wirkung. «Es geht um eine Idee, die umgesetzt werden soll, aber diese Idee kann von verschiedenen Menschen umgesetzt werden», sagt D’Incise. Und Bondi ergänzt: «Eine Besonderheit des Orchesters ist, dass wir die Musiker:innen nicht selber auswählen – bei uns muss niemand vorspielen, und wir gehen nie auf jemanden zu und sagen: Ich will genau dich, weil du diese Fähigkeit hast.»

Entsprechend gleicht das Insub Meta Orchestra eher einem Netzwerk aus Musiker:innen ohne Hierarchien, die aus ganz verschiedenen Gebieten und musikalischen Bereichen der Schweiz stammen: Bekannte Musiker:innen spielen neben Anfänger:innen, ältere Menschen neben jüngeren, und die musikalischen Heimaten – sei dies Rock oder Pop oder Free Jazz oder zeitgenössische Musik – interessieren Bondi und D’Incise ebenfalls nicht.

Im Zentrum steht der Klang, der im hierarchielosen Kollektiv, je nach Konzertraum, immer neue Wege geht. Und die Sinne fortwährend schärft.

Insub Meta Orchestra
MI 19. April, 20 Uhr

Stanser Musiktage
MI 19. bis SO 23. April


 

041 – Das Kulturmagazin
April 04/2023

Text: Benedikt Sartorious

ABOOOOOO JA...

Wir brauchen dich. Wir brauchen dich, weil Journalismus kostet. Und weil wir weiterhin ausgewählte Beiträge auf null41.ch für alle kostenlos zugänglich machen wollen. Deshalb sind wir auf deine Unterstützung als Abonnent:in angewiesen. Jedes einzelne Abo ist wertvoll und macht unser Schaffen überhaupt erst möglich. Wir freuen uns auf dich und deine Bestellung über unseren Online Shop. Herzlichen Dank.