Occupy Südpol – oder der Versuch einer Revolution

Südpol, Mittwoch, 25.09.2013: Am Mittwoch besetzte das «Theater Rostfrei» mit der Premiere des neuen Stückes «Too Small to Fail» den Südpol. Die aus 12 jungen SchauspielerInnen bestehende Produktion verlegt die Occupy-Bewegung von den mittlerweile wieder geleerten Weltschauplätzen auf die Theaterbühne, wo sie mit Happeningcharakter selbstreflexiv performt und zur Diskussion gestellt wird.

(Bilder PD/Georg Anderhub)

Auf Akteure aus Fleisch und Blut wartend, sitzt das Publikum rund um die Bühne und kriegt vorderhand nur Videoaufnahmen ­– auf Stoffoberflächen von Zelten projiziert – zu sehen. Bei diesen kurzen Filmen handelt es sich um Porträts von jungen Menschen zwischen 20 und 30, die über ihre unterschiedlichen persönlichen Bedürfnisse und Ängste sprechen oder knappe Statements formulieren, wie Andrea: «Ich wet ned zu de bestehende Ordnig ghöre»; Larissa: «Mer ghörd d Zuekonft, aber ech wett sie ned, ech cha sie mer ned leischte» oder Laura, die trotz Unzufriedenheit mit der Gesellschaft ernüchtert feststellt: «I so Diskussione merki emmer, wie verlore ech be». Von Beginn weg ist also klar, wie unterschiedlich die Beweggründe zur Teilnahme an der Occupy-Bewegung sind, wozu sich diese formen soll, scheint jedoch vorläufig noch eindeutig, wenn sich eine Protestteilnehmerin begrüssend an die Zuschauer wendet: «Herzlech wilkomme i üsem Camp, d Revolution fohd jetzt do a!» Jedoch wurde daraus bekannterweise in der Realität nie eine ausgewachsene, waschechte Revolution – den Besetzern des Südpol geht es da keineswegs anders. Weshalb dies nicht klappen will, hat sich das Stück unter der Regie von Livio Andreina zur Leitfrage gemacht. Dementsprechend erlaubt diese Idee für ein Theater keine lineare Handlungsstruktur, die über einen einzelnen roten Faden von A nach B führt. Schliesslich soll das Ziel der Sache auch nicht im Liefern von fertigen Antworten bestehen, so der Autor Christoph Fellmann in einem Interview. Vielmehr geht es, ganz im Sinne der Occupy-Bewegung, um das Aufwerfen von Fragen und das Auslösen von Debatten. Fellmann selbst umschreibt das dramaturgische Konzept als ein «komisches Konglomerat von verschiedenen Themen und Positionen», wobei jede Szene im Widerspruch zur vorherigen stehen soll.

Die Umsetzung jenes Konzeptes ist der Theaterproduktion mit innovativen und abwechslungsreichen Mitteln auch gelungen. Die vielen Originalzitate, die aus den Internetplattformen der Bewegung gespeist sind, evozieren zusammen mit den Schauspielern, die ihre Namen nicht geändert haben und auch eigene Positionen in das Projekt miteinbringen durften, eine hohe Authentizität. Dazu baut «Too Small to Fail» die enorme gegenwärtige Bedeutung der medialen Inszenierung mit ein. Die Darsteller filmen sich immer wieder selber mit Handykameras, befolgen Anweisungen, wie am TV-wirksamsten zu demonstrieren ist, oder informieren sich auf Social-Networks über die globalen Protesttermine und aktuellsten Statement-Likes. Die Technik als Hilfsmittel zur Protestmobilisierung bleibt dabei nicht unreflektiert und –kritisiert, so stellt ein Campmitglied zwischendurch konsterniert fest: «Ech be emmer guet informiert öber de Pegu vo de Scheisse a mim Hals.» Generell reflektieren die jungen Protestierenden ihr Handeln und Denken im Stück ständig selbst – ein Charakteristikum, welches nicht nur der jüngsten Jugendbewegung attestiert wird, sondern der heutigen Generation im Allgemeinen. Immer mehr drängen sich die Fragen nach Sinn und Zweck der Aktion auf und die Meinungen brechen zusehends auseinander. Zu verschieden sind die Interessen, zu uneindeutig ist die Stossrichtung. Denn die Masse der selbsternannten «99 Prozent» der Occupy-Bewegung erweist sich als äusserst uneinheitlich, wodurch sie genau so schwer zu fassen und zu bewegen ist, wie der Gegner, der schliesslich auch nur aus diffusen Begriffsgebilden besteht. Wer genau sind eigentlich die CEOs ? Was unterscheidet die NGOs von anderen Unternehmen? Und wer will wirklich einen völligen Umbruch und nicht mehr Teil der kapitalistischen Welt sein? Das Auseinaderdriften und die Unentschlossenheit gipfeln schliesslich in einem dramatischen Höhepunkt der absolut markierten Intratextualität, wo eine Schauspielerin aus dem schützenden Rahmen des Theaterstückes zu treten scheint, damit droht mit dem Spiel aufzuhören und sich mit dem Autor in eine Diskussion über das Scheitern der Revolution begibt. Das Stück zeigt als eine Art vorweggenommenes Spiegelbildmoment die Selbstbetrachtung einer Generation, der angesichts der unüberschaubar komplexen Problematik der Gesellschaft ihrer Zeit nichts als der reine Pragmatismus und Zynismus übrigbleibt. Der romantische Glaube der 68er-Generation, die Welt verbessern zu können, gehört der Vergangenheit an. Nur der nostalgische Soundtrack der damaligen Revolte untermalt da und dort noch fast ironisch die heutigen tapsigen Versuchsschritte in Richtung eines Umbruchs.

«Too Small to Fail» belagert noch bis am Sonntag die Bühne des Südpol (Sa/So, 28./29.9., je 20 Uhr).