Noch eine «Zauberflöte»

Luzerner Theater, 17.12.2016: Das Luzerner Theater schiebt dem Publikumsrenner «Rigoletto» mit Mozarts «Zauberflöte» gleich einen zweiten hintennach. Die Produktion gibt primär Gelegenheit, sich ein Bild über die neuen Sängerinnen und Sänger am Hause zu machen. Dem Regisseur Wouter van Looy gelingt es nur sehr beschränkt, einen schlüssigen Interpretationsansatz herauszuarbeiten. Leider bleibt das Meiste auf immerhin beachtlichem Stadttheaterniveau.

Nachdem sich im «Rigoletto» die Konturen eines neuen und künftigen Luzerner Sängerensembles abgezeichnet hatten, bot nun die Neuproduktion der «Zauberflöte» Gelegenheit, die durchwegs neu engagierten und jungen Sängerinnen und Sänger in noch grösserer Anzahl und mit teils prominenteren Beiträgen nicht nur in Soloarien, sondern auch in Duetten und grösseren Ensembles zu erleben. Die Bilanz ist gemischt und – das sei mit ehrlichem Bedauern und allem Respekt für jede Leistung gesagt – mit etwas Enttäuschung verbunden. Ein wunderbarer Sänger ist Vuyani Mlinde, der den Sarastro spielt, und der seinen kräftigen und gleichzeitig warmen Bass schön und in langen Linien zu führen weiss. Magdalena Risberg als Pamina bietet ihm mit einem hellen und reinen, tadellosen Sopran Paroli, auch wenn es ihr hier und da etwas an Intensität mangelt. Jason Cox in der Rolle des «Sprechers» (der in Wahrheit ein Bass ist) beweist, was für ein Gewinn es für eine Aufführung sein kann, wenn auch vermeintlich weniger wichtige Rollen hervorragend besetzt werden. Dasselbe gilt für den agilen Tenor von Robert Maszl als Monostatos. Die ohnehin dankbare Rolle des Papageno wurde von Bernt Ola Volungholen mit munterer Spiellust und überragendem sängerischem Können zu einem Glanzlicht der Aufführung hochpoliert. So verwundert es denn nicht, dass er jedesmal beteiligt war, wenn sich die Aufführung für Momente zum wirklichen Erlebnis verdichtete. Das war der Fall zunächst im Duett mit Pamina, dann in seinem Lied über ein «Mädchen oder Weibchen», wo erstmals und spät genug wirklich bezaubernde Atmosphäre und Stimmung aufkam, und schliesslich kurz danach wieder im Duett, beim «Pa-pa-pa»-Geplapper mit seiner Papagena, wo endlich alles zusammen kam vom Ansatz des Dirigenten mit ganz langsamem Beginn über den freien, schönen Gesang bis zum lebendigen Spiel. Die Papagena von Maja Bader, die ja sängerisch nur diesen kurzen Auftritt hat, blieb hier in keiner Weise zurück.

Sängerische Unausgeglichenheiten

Bei der Königin der Nacht von Diana Schnürpel bangt man keine Sekunde lang, dass sie etwa die Töne nicht treffen, die Höhe nicht meistern oder ausser Atem geraten könnte. Ganz im Gegenteil fügt die Sopranistin noch Spitzentöne ein, wo Mozart diese gar nicht vorschreibt. Leider klingt ihre Darbietung etwas schrill. Der Tamino von Denzil Delaere enttäuscht vorab durch allzu grosse Unausgeglichenheit in den melodischen Linien. Seine «Bildnis»-Arie zerfällt in ungestaltete, fast vernuschelte Passagen und plötzlich herausposaunte Spitzentöne. Ganz problematisch klingt das Ensemble der drei «Damen», die statt eines harmonischen und doch individualisierten dreistimmigen Satzes kaum mehr als ein in den Tonhöhen wenig bestimmtes Gekreisch von sich geben. Unausgegorenheiten, nicht ausgehörte, unausgeglichene Ensembles, zuwenig gestaltete und binnendifferenzierte Arien wie etwa die erste Arie der Königin oder die tragische Pamina-Arie können kaum den einzelnen Sängern oder Sängerinnen angelastet werden. Hier haben der musikalische Gesamtleiter Clemens Heil und wohl auch seine Korrepetitoren zuwenig zugehört, zuwenig geholfen, zuwenig gearbeitet. Ohnehin klingt das Orchester wenig differenziert und flach. Schöne Ideen gibt es einige, sie werden aber oft verschenkt, wie etwa der erwähnte sehr langsame Beginn des Papageno-Papagena-Duetts, wo die berückende Überraschung der zwei Figuren durch ein viel zu frühes Accelerando wieder verschenkt wird. Beim Timing, bei den Übergängen von Musik zu Musik oder Musik zu Dialog und umgekehrt stimmt nahezu gar nichts. Dieses Manko wirkt im zweiten Akt geradezu bleiern langweilig. Verantwortlich dafür ist genauso die Regie.

Jüngling wird geprüft

Regisseur Wouter van Looy hat sich entschlossen, den viel besprochenen und viel kritisierten Umschlag im Stück, wo plötzlich die bisher Guten zu den Bösen werden und umgekehrt, einfach dadurch zu entschärfen, dass auch der erste Teil, genau wie später der gesamte zweite Akt, zu einer Prüfungssituation umgedeutet wird, die die Männergesellschaft des Sarastro für den Jüngling Tamino und seinen komischen Vogel von Begleiter veranstaltet. Dazu wird dann diese Gesellschaft eindeutig als eine restriktive, lustfeindliche, totalitäre gezeigt. In Sarastros Welt ist alles in einzelne Zellen abgeteilt, geordnet, abgelegt und eingesperrt. Der Ansatz ist nicht neu, an verblasen daherredende Männerbünde glaubt ausserhalb von Fasnachtszünften seit über hundert Jahren keiner mehr, und gemeinhin nervt sich der aufgeklärte Zuschauer einfach einen Moment lang ob des einen oder anderen schwülstigen Spruchs des Besserwissers, und damit hat sich’s. Genauso wie es sich hat, wenn eben dieser Herr und seine Kumpane gelegentliche Sprüche über «die Weiber» fallen lassen, oder wenn der geile Vergewaltiger halt ein Mohr ist. Tja, das sehen wir heute anders; those were the days.

Verkrampfungen

Wouter van Looy hat nach eigener Aussage das Libretto zum ersten Mal genau gelesen und die zwei allerübelsten Totschlagworte der modernen Inquisition darin dingfest machen können, nämlich «Sexismus» und «Rassismus». Bumm. Bumm. Für «Homophobie» gab es keine Anzeichen, was bei so geballter Bubentümelei ja auch unwahrscheinlich ist. Nun hat politisch korrektes Kuschen noch nie zu etwas Gutem geführt, zumal in Projektion auf die Vergangenheit. Wer sich vollkommen anachronistisch an den gelegentlichen «sexistischen» und «rassistischen» Details des Werkes aufhält, ist ganz sicher schon einmal auf der falschen Bahn. Aus lauter Liebedienerei vor dem Inquisitionstribunal des Zeitgeistes ist der Regisseur, der aus dem Land der angefeindeten Schmutzlis stammt, mit seinem Ansatz in Fallen getappt, in denen er erst recht in genau die politisch unkorrekten Sümpfe gerät, die er gerne vermieden hätte. Verkrampfungen sind unvermeidlich. Wenn alles blosse Inszenierung und Prüfungssituation von Sarastro ist, so hat ja die weibliche Welt gar keine Eigenwürde und Authentizität mehr. Da steht nicht mehr ein Prinzip gegen das andere. Es wird bloss vor Spiegeln gefochten, und die Frauen werden als Gegenpol abgeschafft. Der böse Mohr ist bei Looy auch nicht mehr schwarz. So wird denn dümmlich und im Übrigen sexistisch von «Mann» statt «Mohr», und von «Knabe» statt «Schwarzer» gesungen, als wären wir in der Kinderbuchzensurgruppe der deutschen Grünen. Dafür ist dann der Sänger des Sarastro ein Schwarzer. Aber der ist doch jetzt ein Böser geworden? Darf man denn das? Und darf man denn einen Schwarzen sogar noch im Gesicht blau anmalen? Ist «Bluefacing» von Schwarzen nicht genauso pfui wie «Blackfacing» von Weissen?

Ausinszeniertes Stück

Es wird schwierig, wenn man Figuren nicht mehr als Symbole und Träger von Prinzipien lesen kann, wie etwa als Vertreter von Licht, Vernunft und Geist gegen solche von Nacht, Emotion und Körperlichkeit. Am Ende bringt bei Looy Sarastro die Königin der Nacht mittels Genickbruch einfach um die Ecke, und Pamina bricht zum Schlussjubel über der Leiche ihrer Mutter zusammen. Und wir dachten doch, es sei alles nur eine Geisterbahn gewesen. Der Regisseur hat zudem eine wichtige Textstelle überlesen: «Ein Weib, das Nacht und Tod nicht scheut, ist würdig und wird eingeweiht.» Die Weiber kriegen also ohnehin alles auch, und dazu erst noch ohne langwierige Prüferei mittels erleichterter Einbürgerung. Man kann ja viel in das Stück hineinlesen, und es sind sicher alle Ansätze legitim, gerade bei diesem zu Tode inszenierten, ausgelesenen und ausgedeuteten Werk, das bekanntlich schon in sich widersprüchlich, mal dümmlich, mal zauberhaft, mal tiefschürfend, mal deutungsbedürftig, mal deutungsunwürdig ist. Mozarts Musik, sein Überblick über die zahllosen Schichten und Stilebenen des Stücks und dessen berückende Naivität versöhnen immer wieder mit allerlei Albernheiten und Hampeleien.

Quälend lang

Die Kostüme (Johanna Trudzinsky) wirken mit ihren Gummihandschuhen auf Köpfen und grotesk vergrösserten Händen, mit den albernen pseudo-freimaurerischen Säcklein, die an den Kardinalskostümen der Sarastristen hängen, mit dem Amazonas-Indianer-Geschlabber und -Geschminke eher lächerlich. Dass die grauenhaften Originaltexte mit ihrem längst ausser Gebrauch geratenen Wiener Vorstadt-Jargon beziehungsweise der Parodie höfischen Geredes durch die Bewohner der Vorstadt zweieinhalb Jahrhunderte später telquel deklamiert werden, ist nicht nachvollziehbar, zumal die meist fremdsprachigen Darsteller diese ohne Verständnis aufsagen. Die zwölfjährige Tochter hielt die ganze Vorstellung wegen dieser unverständlichen Texte für langweilig. In der Tat schielt die Langeweile bei diesem Spektakel, das angeblich für die ganze Familie sein soll, jeden Moment aus der Kulisse. Im ersten Akt schon dann, wenn immer wieder gezeigt wird, dass Sarastros Mannen das alles nur inszenieren. Man kann die dümmlich durch die Kulissen schleichenden Samichläuse nicht mehr sehen. Im zweiten Akt dann verzögern schlecht getimte Pausen und Übergänge, die zähen Dialoge und viel Kulissenschieberei den Fortgang quälend.

Luzerner Theater: Die Zauberflöte, Oper von W.A. Mozart. Regie: Wouter van Looy; Musikalische Leitung: Clemens Heil

Weitere 14 Aufführungen bis 5. März 2017.