Neunzehn, zwanzig Mal «edition spoken script»

Loge Luzern, 07.12.2016: «Welle isch de Beat Sterchi?» fragt es in den Raum. «Welle isch de Beat Sterchi?» fragt es, in dem Moment, als Guy Krneta – also derjenige, der nicht Beat Sterchi ist – Luft holt zum ersten Satz der doppelköpfigen Lesung in der Loge am Dienstagabend.

Beat Sterchi, das ist der, der in den 80ern mit dem Roman «Blösch» auf sich aufmerksam gemacht hat, und der seit Jahrzehnten ein Impulsgeber in der Schweizerischen Mundartliteratur ist, das ist der mit hoch aus dem Kopf kommendem Singsang in Berner Dialekt, der sich ein bisschen wie eine Sinuskurve die Tonlage rauf- und runtermanövriert und dabei schnell die Wörter aneinanderreiht, die kurze, einfache Sätze ergeben, aus denen sich dann andere, ähnliche Sätze ergeben, und weitere und weitere, mal eine Reihe von gleichen, bloss mit wechselnden Substantiven oder Verben oder Adjektiven, mal eine Reihe von verwandten, die sich quer durch ihre grammatischen Ausprägungen modulieren. Beats Sterchi schreibt und sagt so Sachen wie: Dr Walser, oder? Dr Walser, wüsster? Dr Walser, verschtöhter? Dr Walser, oder? Oder: Dr Walser Röbu Dr Walser Röbu vo Biu vo Biu Beat Sterchi ist der links, von dir aus gesehen.

Niemand fragt, welcher Guy Krneta sei, weil sich die Antwort per Ausschlussverfahren ergibt. Guy Krneta wäre aber der, der auch – wie Sterchi und unter anderem – performative Mundarttexte schreibt, für die Bühne oder fürs Radio, aber ganz andere als Sterchi. Klanglich auch gekonnt komponiert, aber das nicht als komisches Element, sondern einfach als guter Stil. Krneta gibt einem mehr Ausdehnung in seinen Texten, auf der Handlungsebene, zeitlich, räumlich. Vieles davon entfaltet sich dialogisch, die schlicht eingerahmt werden, wo etwa der Ich-Erzähler etwas sagt, und eine Figur wie «meine Schwester» etwas fragt, oder «meine Frau» etwas findet. Kleine Alltagsgeschichten vielfach, etwa über das Verschenken von Ziegen an seine Familie zu Weihnachten, oder – sehr gelungen – eine Erzählung über die Kinder, die Theater spielen wollen. Zuerst wird das Theater gebaut, mit Vorhang und Licht und Billet und Programm. Dann wird zur Aufführung geladen. Nur ein Stück einstudieren, das wäre den Kleinen zu anstrengend gewesen.

Guy Krneta, das ist der rechts, von dir aus gesehen. Der jetzt gerade anfangen wollte. Und der, der vorhin noch was gesagt hat, das war Matthias Burki, der Verleger vom hiesigen Gesunden Menschenversand, dem Hausverlag des Schweizerischen Spoken Word. 2009 erschien dort der erste Band der «edition spoken script», einer Reihe, die Texte festhält, die für die Bühneperformance geschrieben wurden, aber auch auf Papier ihren Wert behalten. Die Idee zur Reihe stammte von Krneta, Sterchi und Pedro Lenz, die drei der ersten vier Bände beisteuerten: «Mittelland» von Krneta, «Ging Gang Gäng» von Sterchi und «Der Goalie bin ig» von Lenz. 20 Bände wurden mittlerweile veröffentlicht, von denen fünf auf das Konto von Krneta und Sterchi gehen. So auch die Nummern 19 («U no einisch», Sterchi) und 20 («Filetschtück», Krneta). Ein bisschen war die Lesung in der Loge deshalb ein Jubiläum für die Reihe, um die es «heute Abend ja auch ein bisschen geht», wie Krneta sagte. Das gelang sehr angemessen. Am Auftritt von Krneta und Sterchi, die erstmals vor 30 Jahren miteinander arbeiteten, zeigte sich schön der Charakter der «edition spoken script» als Materialsammlung irgendwo zwischen den Aggregatszuständen; nicht fest, aber auch nicht mehr flüssig. Im Buch, so Krneta, seien die Texte noch keine Endfassung. «Aber nahe dran.»

Die Texte, die vorgetragen wurden, waren auch nach aussen offen. Immer wieder konnte der eine Autor den Faden des anderen aufnehmen, mit dem passenden Text weiterspinnen. Als etwa ein längerer Text von Krneta über die angeblich letzte Geliebte Max Frischs vorbei war, und man noch abzuwägen hatte, ob der etwas plump eingeschmuggelte Hinweis auf die Unwahrheit der Geschichte die behauptete Affäre des sehr alten Frisch mit einer Minderjährigen wirklich rechtfertigt, stieg Sterchi ein, und zählte unverfänglichere Besucher Max Frischs auf: Der Steiner sei zum Max gegangen, und der Vogt sei zum Max gegangen, und der Bichsel sei zum Max gegangen, und der Eggimann und der Meienberg und der Golowin, alle seien sie zum Max gegangen. Nur der Loetscher nicht. Der ging dafür zum Fritz. Der Fritz, das ist der, der zwischen seinen beiden Witwen gleichen Vornamens liegt.

Alles zu allen Bänden der «edition spoken script» finden Sie hier: http://www.menschenversand.ch/?sect=produkte