Network Chicago

Kunsthalle Luzern, 26.04.2018: Die Werkschau macht ihrem Namen alle Ehre – ein Blick in den Schaffensprozess dreier Künstlerpositionen aus Luzern nach ihrem Aufenthalt in Chicago. Sie sind Teil eines Projekts, welches Kunstschaffenden die Gelegenheit gibt, dem Schweizer Alltag zu entfliehen, und sich ganz ihren Projekten und dem Knüpfen persönlicher Kontakte auf der anderen Seite der Erde zu widmen.

Fotos: Gianna Rovere

Die Kunsthalle füllt sich an diesem Donnerstagabend schnell. Die Künstlerin Monika Müller, das Künstlerinnenduo Stofer&Stofer und die Punk-Band Shady and the Vamp zeigen im Rahmen der «Werkschau Chicago» vier Tage lang ihre Arbeiten, die 2017 im Rahmen des Atelierstipendiums des Vereins Städtepartnerschaft Luzern-Chicago entstanden sind. In Zusammenarbeit mit der Stadt und dem Kanton Luzern und der Unterstützung privater Sponsoren besitzt der Verein seit 2001 ein Wohnatelier im angesagten Chicagoer Viertel Wicker Park. Dieses stellen sie jedes Jahr drei verschiedenen Luzerner Kunstschaffenden zur Verfügung. Im Zweijahreszyklus werden eingegebene Portfolios und Projekte aus verschiedenen Bereichen von einer Jury – bestehend aus Persönlichkeiten der Kulturlandschaft Luzern – ausgesucht.

Stofer&Stofer
Stofer&Stofer

Work in progress

Die Zwillingsschwestern Rebecca und Ruth Stofer haben sich mit einem auf Chicago zugeschnittenen Projekt beworben. Sie traten das Atelierstipendium eigentlich gut vorbereitet im April 2017 mit selbstgebauten Unterwassermikrofonen im Koffer an. Am zweiten Abend in den Staaten lernten sie aber die Performancekünstlerin Veronica Rodriguez aus Puerto Rico kennen, und ihre Pläne änderten sich. Es entstand eine Freundschaft und auf Rodriguez’ Idee hin erarbeiteten sie gemeinsam eine Performance für das Performancefestival «Itinerant» in New York. Donald Trump war frischgebackener Präsident und die Themen bei Tisch in Chicago drehten sich um Politik und auch um die Stellung der Frau in Amerika. Die drei Künstlerinnen diskutierten viel und entstanden ist die Multimedia-Performance «Guts Reloaded», die sie in New York, Detroit und Chicago zeigten. Zurückgekehrt sind die zwei Künstlerinnen mit einem Ideenfundus, von dem sie noch einige Zeit zehren können.

Monika Müller
Monika Müller

Trump und die politische Situation in Amerika begleitete auch Monika Müllers Schaffen, die vor Stofer&Stofer das grosse Atelier bewohnte. Sie führte ihre Arbeit «Die Welt als geordnetes Ganzes» mit einem dritten Teil, dem «Chicago-Zyklus» fort. Seit 2011 sammelt die Kunstschaffende aus Hergiswil Medienbilder aus Zeitungen, in Chicago vor allem aus der «New York Times» und der «Chicago Tribune». Aber nicht irgendwelche Medienbilder, sondern Landschaften, die durch Eingriffe der Menschen und der Politik zum Territorium wurden. Sie nennt diesen Bilderfundus ein «kollektives Archiv», da beinahe alle Menschen durch die Medien darauf Zugriff haben. Sie überführt diese Bilder, Erinnerungen und Nachrichten in Bleistiftzeichnungen. Bei diesem Transfer werden Dinge weggelassen, ergänzt oder verändert. Müller arbeitet seit 2011 mit der Chicagoer Künstlerin Dianna Frid zusammen. Die professionelle und persönliche Freundschaft war auch ein Grund, warum sich Müller für das Stipendium beworben hat: um geografische Hürden zu überwinden, die der intensiven Zusammenarbeit im Weg standen. An der Werkschau zeigte Monika Müller vergrösserte Prints ihrer Zeichnungen. Die Originale hängen in der gemeinsamen Ausstellung «The Registers» der beiden Frauen in der Goldfinch Gallery in Chicago. Hier kann man erahnen, dass es in diesem Stipendium das Kontakte knüpfen grossgeschrieben und die Kunst, wie auch die Ausstellung in der Kunsthalle, zur Nebensache wird. An der Vernissage sind von den drei Musikern der Band Shady and the Vamp lediglich zwei – Riccardo Pardini und Elias Gamma – anwesend. Mit Kopfhörern können ihre vier entstandenen Songs ab Kassette gehört und Souvenirs betrachtet werden.

Riccardo Pardini und Elias Gamma
Riccardo Pardini und Elias Gamma (Julius Lange war an der Vernissage nicht anwesend.)

Ihre Präsentation wirkt improvisiert und ihre Erscheinung ist flüchtig. Analog zur Ausstellung – vier Tage sind im Flug vorbei. Genauso die vier Monate in Chicago, in denen der Aspekt des «Zeit-habens» als besonders wertvoll geschildert wird. Mit dem Atelierstipendium wird eine Möglichkeit geboten, aus dem Alltag, den sozialen Kontakten und Verpflichtungen auszubrechen und sich ganz auf eigene Projekte zu konzentrieren. Von diesem Aspekt machten die drei Musiker von Shady and the Vamp ebenfalls Gebrauch. Sie sind bereits 2014 durch Amerika getourt und haben viele Kontakte geknüpft, bei denen sie nun im Rahmen des Chicago-Aufenthalts wieder angeklopft haben. Sie waren nach Stofer&Stofer zuerst zwei Wochen im Atelier, haben geprobt und Equipment zusammengesucht – dann gingen sie auf Tour. Die Band hat unter anderem in kleinen Plattenläden gespielt und mehr Gage als drei Getränke-Bons gab es meistens nicht. Einen Schlafplatz und warme Mahlzeiten muss man sich in Amerika als Band selber besorgen – anders, als man es sich in der Schweiz gewohnt ist.

Werkschau Chicago
Ausstellungsansicht

Without pressure in windy Chicago

André Schürmann, Mitglied des Vorstandes des Vereins Städtepartnerschaft Luzern-Chicago, beschreibt die Beziehung zwischen den beiden Städten als etwas einseitig. Luzern bemüht sich im Gegensatz zu Chicago sehr, die Kontakte aufrechtzuerhalten und fleissig neue aufzubauen. Künstler*innen aus Chicago sind bis jetzt nicht nach Luzern gekommen. Mit dem Wohnatelier haben sie sich eine gute Infrastruktur gebaut und es fungiert als Vorzeigeprojekt. In der Rede von Susy Gübelin wurden die Trendbegriffe «Nachhaltigkeit» und «Global» oft betont und als besondere Qualität hervorgehoben.

Die Kunstschaffenden werden nach eigenen Aussagen finanziell grosszügig unterstützt und konnten sich ohne Druck ihren Projekten widmen. Vor Ort profitierten sie vom aufgebauten Netzwerk der vorgängigen 50 Stipendiat*innen und es ist erwünscht, dieses auszuweiten oder enger zu knüpfen. Dieser einen Bedingung ist in Amerika nicht sehr schwer nachzukommen, gilt das Land der unbegrenzten Möglichkeiten doch als sehr offen. Es macht den Anschein, dass es dem Verein weniger um die Kunst, sondern mehr um die entstehenden Kontakte und den Austausch der beiden Städte geht.

Die Ausstellung lief von DO, 26. April 2018 bis SA, 28. April, in der Kunsthalle Luzern

Weitere Informationen: http://www.luzern-chicago.ch