Nach dem Trauern kommt der Stress

Theaterpavillon Luzern, 06.11.15: Die junge Theatergruppe Ecco Rondo zeigt dieses Jahr unter dem Titel «Nachbarn» was passieren kann, wenn eine alte Dame ohne Angehörige in einem Mehrfamilienhaus plötzlich wegstirbt. Es wird getrauert, geheuchelt und trotzdem viel Herz gezeigt.

Beginn des Theaters: Die Schauspieler stehen in Reih und Glied, ansonsten ist die Bühne vollkommen leer. Einer nach dem anderen tritt hervor und wird vorgestellt. Das erinnert etwas an den üblichen Beginn selbstgeschriebener Rollenspiele in der Primarschule. Dank viel besserer Ausführung trotzdem ein gelungener Anfang, denn das Publikum hat so die Chance, die verschiedenen Personen kennenzulernen.

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Setting: Ein gewöhnliches, altes Mehrfamilienhaus der Stadt Luzern. Bewohnt von Einwohnern, wie sie klischeehafter kaum sein könnten: Da gibt es das spiessige Lifestyle-Päärchen, die gestresste alleinerziehende Mutter (die zugleich Hauswartin ist), den vom Leben angepissten Nichtsnutz Kilian, die Möchte-gern-Schauspielerin Helena, die lockeren Studenten der WG, das verlassene Muttersöhnchen Pablo (natürlich Spanier, wie könnte es anders sein?), der Versicherungsagent Simon und die Yogi-Sozialtherapeutin Vera. Sie alle leben in mal mehr, mal weniger gespielter Nettigkeit zusammen, erleben den üblichen Mieterstress.

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Die oberste und grösste Wohnung gehörte der alten Josy, deren plötzlicher Tod die Bewohner nach halbherzigem Trauern vor eine neue Herausforderung stellt: Da sie keine Angehörige hatte, beschliesst der bunte Trupp, die Wohnung der alten Frau vorzuräumen, bevor das Teilungsamt kommt. «Das sind wir unserem Josy schuldig», ist sich das heuchlerische Kollektiv einig. Spätestens als zwischen Büchern und Unterleibchen eine riesige Summe verstecktes Bargeld zum Vorschein kommt, wird das zweite Motiv für die Räumung deutlich: Mal gucken, was es so zu holen gibt. Zudem liebäugeln mehrere Bewohner mit der grossen Wohnung. Die Lösung für die Probleme kommt schliesslich nicht von den Bewohnern selber, sondern wird ihnen von aussen aufgetischt. Eine überraschende, aktuelle Lösung, mit der zum Schluss fast alle happy sind. Ruhe kehrt wieder ein.

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Das Stück «Nachbarn» unter der Regie von Lisa Bachmann unterhielt den Besucher mit guten Pointen und witzigen Charakteren. In typischen Mehrfamilienhausszenen konnte man leicht sein eigenes Verhalten wiedererkennen: Man hilft der alten Dame und muss sich dafür ungewollt für einen Eierlikör zu ihr gesellen. Man regt sich auf über die besetzte Waschmaschine. Man lädt sich gegenseitig ein, ohne eigentlich Zeit zu haben / Zeit haben zu wollen. Man tut, was man eben so tut. Etwas verwirrend waren lediglich die vielen verschiedenen Personen, die zum Teil erwähnt wurden, ohne jemals aktiv im Stück vorzukommen. Die Inszenierung gelang ohne unnötigen Schnickschnack auf einer unbebauten Bühne und einer Leinwand, auf der Fotos und kurze Filme zur Ergänzung gezeigt wurden. So wurde zum Beispiel Josys Tod etwas makaber, aber witzig auf Film gebannt. Zwei Mal fiel das Licht für einen Moment aus, man hört ein leises «Scheisse» aus der Richtung des Beleuchtungspultes, dann geht es weiter. Wirklich überzeugend war die schauspielerische Leistung der jungen Gruppe. Die Akteure passten perfekt in ihre Rollen, bei deren Entstehung sie sich selber beteiligt hatten. Ein unterhaltsames Theater, mit dem zu erwartenden Drama am Schluss, das sich glücklicherweise in Grenzen hält. Auf jeden Fall einen Besuch wert!

Weitere Aufführungen bis am 15. November.