Musik und Menschen am Dienstag

Südpol Luzern, 08.03.2015: Das isländische Musikerkollektiv Múm gastiert nach über sechs Jahren wieder im Südpol. Im Gepäck haben sie nicht ein Album, dafür einen Soundtrack: Gunnar Örn Tynes und Örvar Þóreyjarson Smárason haben den deutschen Stummfilmklassiker «Menschen am Sonntag» aus dem Jahr 1930 neu vertont.

Die 2.014 Meter lange Originalfassung gilt als verschollen. Die heutige Fassung besteht aus einer nahezu vollständigen Kopie aus dem Nederlands Filmmuseum, in der fehlende Teile aus anderen Archiven ergänzt wurden und die 1.856 Meter lang ist. Der Film von Robert Siodmak und Edgar G. Ulmer gilt als später Vertreter der Neuen Sachlichkeit, die zum Ziel hatte, den Alltag von Menschen realistisch einzufangen. Menschen am Sonntag gilt als Paradebeispiel für dieses Genre – gedreht wurde mit Laiendarstellern und das Ganze mit vielen Dokumentaraufnahmen aus Berlin ergänzt. Das Drehbuch schrieb Billy Wilder, der nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in die USA emigrierte und in Hollywood eine neue Karriere startete. Mit dem Film-Noir-Klassiker «Sunset Boulevard» aus dem Jahr 1950 und neun Jahre später mit «Some Like It Hot» schrieb er Filmgeschichte. Bei «Menschen am Sonntag» hat Wilder noch kleinere Brötchen gebacken. Die Handlung ist Mittel zum Zweck, um das Lebensgefühl vier junger Menschen in Berlin Ende der 1920er-Jahre einzufangen. Neben der ausgezeichneten Kamerarbeit besticht der Film durch den realistischen Blick auf den Lebensalltag der Menschen Ende der goldenen Zwanziger und gilt als Vorläufer des Neorealismus. Zudem ist «Menschen am Sonntag» mit seinen dokumentarischen Filmaufnahmen ein wichtiges Zeitdokument von Berlin, das fünfzehn Jahre später grösstenteils in Schutt und Asche lag. Die Urmitglieder Gunnar Örn Tynes und Örvar Þóreyjarson Smárason der isländischen Band Múm haben nun diesen Film neu vertont. Mit den beiden Alben «Yesterday was dramatic – Today is ok» und «Finally we are no one» hatte diese Band zu Beginn der Nullerjahre den Puls der Zeit getroffen. Dies mit einer Mischung aus vertrackten Electro-Beats und verspielten Melodien. Und immer schwang in ihrer Musik die nordische Melancholie mit, die in keinem Wiederspruch zu den teils zuckersüssen Melodien stand. In den Jahren später folgte ein Stilwechsel zu mehr analogen Folk-Klängen. Der Soundtrack zu «Menschen am Sonntag» ist ein Rückbesinnen auf ihre frühere Soundästhetik – das Fiepsen und Kratzen an der Oberfläche, die Glocken und Synthies in den Melodiebögen, das Brummen und Scheppern aus der Tiefe.

Wie die Musik ohne Film wirken würde, ist schwer einzuschätzen. Beides gehört zusammen – vielleicht auch der Grund dafür, dass der Soundtrack nicht auf Album erscheint. Obwohl die Stücke ganz und gar anachronistisch sind, passt die Musik zu den Impressionen. Die beiden Musiker sitzen vom Publikum abgedreht, mit Sicht auf die Leinwand, um synchron zum Film die Sounds zu spielen. Nach siebzig Minuten endet der Film und das Konzert mit dem Satz, dessen Worte nacheinander einzeln eingeblendet werden: «4 Millionen warten auf den nächsten Sonntag». Soviel hat sich in der Zwischenzeit doch nicht verändert.