Musik des Moments

Konzerthaus Schüür, Luzern, 08.12.2019: Mit einer Mischung verschiedener Genres, grosser Experimentierfreudigkeit und absoluter Hingabe an den Moment nimmt Martin Kohlstedt das Publikum mit auf ein einzigartiges Erlebnis. Im wahrsten Sinne des Wortes.

 

Umgeben von Tasten, Knöpfen, Reglern und Lämpchen sitzt Martin Kohlstedt auf der Bühne der Schüür vor einem ebenfalls sitzenden Publikum. Der deutsche Pianist, Komponist und Produzent vermischt als Solokünstler klassische Elemente mit Pop und elektronischer Musik, ohne dabei klaren Genres zu verfallen.

Kohlstedts Stücke tragen mysteriöse Titel, wie «OMB», «LEH» oder «JIN». Man könnte lange darüber rätseln, wofür diese Akronyme stehen. Nur bei «OMB» verrät der Musiker, dass es «One Minute Beauty» bedeutet, und ihn an seine erste Erfahrungen mit dem Piano erinnert, als er im Sekundentakt einer Standuhr auf die Tasten drückte. Die restlichen Titel erklärt er nicht und lässt so Raum für eigene Theorien.

Aber eigentlich handelt es sich bei diesen Stücken gar nicht um Lieder im klassischen Sinne. Es sind Module, musikalische Gedanken – oder vielleicht besser vorstellbar: Worte und Sätze. Je nach Situation können sie verschieden formuliert werden. Die Intonation, der Rhythmus, das Tempo, die Intensität, das sind alles Variablen, die beeinflusst werden können. Modulare Komposition nennt Kohlstedt dieses Konzept, das er selbst entwickelt hat. Die Module lassen sich so nach Lust und Laune extrem vielseitig spielen und auch miteinander verbinden. Es ist eine ganz eigene Sprache. Kohlstedts Sprache.

Und das ist, was seine Konzerte einzigartig macht. Ein Modul wird angespielt und entwickelt sich während dem Stück weiter. Kohlstedt lässt sich dabei von der Stimmung des Ortes, seiner Laune, oder der Laune des Publikums steuern. Er ergibt sich völlig dem Moment und wirkt dabei fast zweitrangig neben dem Altar der Musik. Und das ist überhaupt nicht wertend gemeint. Getrieben von den Stimmungen und Melodien wechselt er vom Klavier zum Synthie zum Rhodes und wieder zurück. Alles ist improvisiert, nichts wurde wohl genau so an irgend einem anderen Ort gehört. Er betont mehrfach, dass er nicht die ihm bekannten Strukturen ansteuern will. Immer wieder hält Kohlstedt kurz inne, um nachzudenken, in welche Richtung es als nächstes gehen soll. Am Ende der Lieder scheint er oft einen Augenblick lang zu zögern, als ob er sich vergewissern will, dass dies wirklich das Ende ist. Es ist eine faszinierende Erfahrung mit dem Musiker zusammen dem Fluss der Klänge ausgeliefert zu sein.

MartinKohlstedt

Ein grosses Lob gebührt auch der Lichttechnik, die einen unschätzbaren Beitrag zu dieser Performance leistet. Dafür, dass alles improvisiert ist, folgt das Licht dem Klang ausserordentlich präzise. Es konzentriert sich in den richtigen Augenblicken auf Kohlstedt, schwillt mit der Musik an, flackert industriell, sobald die digitalen Geräusche in die Stücke einfliessen. Eine eindrückliche Bereicherung dieser spontanen Momente.

Im Publikum ist man so gebannt von dieser Darbietung, dass es schwer ist, sie richtig in Worte zu fassen. Es ist so, als ob man eine Welle an der Brandung festhalten will. Das geht einfach nicht. Martin Kohlstedt schafft es die Zuhörerschaft völlig in diesen Moment hineinzuziehen und das Gefühl zu geben, dass man wirklich Teil des Ereignisses ist, dass unsere Reaktionen und vielleicht auch bloss unsere Gedanken massgeblich zum Verlauf beigetragen haben. Ob das Konzert fünf Minuten gedauert hat oder fünf Stunden ist kaum zu sagen. Aber egal wie lange es war, man war für diese unbestimmte Zeit Teil einer Welle.

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