«Mit den Farben muss man aufpassen»

Roman Signers «Rotes Tuch» hat es doch noch nach Luzern geschafft – nicht wie geplant als permanente Installation ins Kunstmuseum, sondern als Installation auf Zeit ins Museum im Bellpark. Angestossen dazu hatte nicht zuletzt unser Artikel «Ein Rotes Tuch für Luzern» in der Juli-Ausgabe von 041 – Das Kulturmagazin . Wir sprachen über die schönste Farbe – Rot –, Kommunismus, gescheiterte Kunstprojekte und darüber, warum Signer lieber im Ausland ausstellt.

Auf ein Interview mit Roman Signer war ich nicht vorbereitet. Geplant war, ihn beim Aufbau und Testlauf des Roten Tuchs im Museum im Bellpark kurz zu begrüssen und gemeinsam einen Teller Spaghetti zu essen. «Gut, also Interview», sagte Signer. Also machten wir eins. Roman Signer hatte sein Hörgerät nicht dabei, ich zwang mich also, sehr laut zu sprechen. Und alle paar Minuten war dieses lautstarke und eigentümliche Geräusch zu hören – von einem Gebläse, das Signer bei einer Firma, die Hüpfburgen herstellt, gekauft hatte. Immerhin muss es stark genug sein, um ein Tuch 14 Meter in die Höhe an die Decke zu jagen. Beim Testlauf wolle er aber dabei sein, meinte er – und so unterbrachen wir unser Gespräch, um zu schauen, ob das Tuch machte, was es soll. Es tat. Signer war zufrieden, nur den Luftschlitz wolle er noch verdoppeln. 

Nach unserem Gespräch beim Spaghetti-Essen meinte Signer, er sei sehr zufrieden, dass es funktioniere mit dem roten Tuch. Und wenn es nicht funktioniert hätte, dann wäre er einfach gegangen, ohne «tschüss» zu sagen und ohne Spaghetti zu essen. Dann lachte er.  

Anja Nora Schulthess: Schön hat es doch noch geklappt mit dem roten Tuch. 

Roman Signer: Ja, jetzt kommt es dann aus, ob es funktioniert.  

Hat man Sie vom Museum Bellpark einfach angerufen und Sie haben gesagt: Sicher, das mache ich? 

Ja. Ich fand das eine gute Idee. Ich mache es nochmals. 

Frau Fetzer vom Kunstmuseum hat gesagt, sie wäre sofort wieder dabei.  

Ich weiss eigentlich heute noch nicht, warum sie das nicht wollten. Ich habe gehört, es sei ein interner Streit. Auf jeden Fall musste ich den Prototypen vorführen im KKL. Ich habe im Atelier ja nur 5 Meter. Dort sind es immerhin 14 Meter. Wir haben das provisorisch aufgebaut in Luzern. Das Tuch ist wunderbar 14 Meter nach oben. Also denke ich, hier sollte es auch funktionieren.  

Wir haben das also aufgestellt und dann kam sogar der Chef der Feuerpolizei. Es hat so ein Geländer, dort beim Eingang. Dann haben wir das dort wegen dem Durchgang etwa 30 cm vom Geländer entfernt aufgebaut. Darf ich eine Zeichnung machen? (zeichnet). Und der von der Feuerpolizei sagt: Kein Problem. Auch die Schwierigkeiten mit dem Tuch; es gab etwa die Vorschrift, das Tuch darf nicht brennbar sein. Es ist nicht brennbar. Wenn natürlich einer eine Zigarette darauf werfen würde, gäbe das ein Loch. Aber es gibt kein Feuer.  

Ich habe mich gefragt, was das mit der roten Farbe zu tun hat. Das ist eine Farbe, da denkt man oft an… 

Kommunismus.  

Genau, von mir aus, oder an etwas, das zu.. 

Also, ich habe nichts Schlechtes gedacht dabei. Aber Blau wollte ich nicht. Ich fand: in diesen kalten Raum muss etwas Intensives, Rot, ja. Ganz abgesehen davon, dass ich Rot gerne mag. Ich mag natürlich auch Blau. Das war wahrscheinlich schon ein Thema. Ich habe das schon einmal erlebt. In ganz jungen Jahren war ich einmal eingeladen zu einem Wettbewerb am Technikum in Buchs, im Rheintal, 1992. Dort habe ich einen interessanten Vorschlag gemacht. Darf ich noch einmal eine Zeichnung machen? (zeichnet) Da unten hat es einen grossen Eingangsraum. Und ich hätte gerne durch die Decke solche Fahnen gemacht, sechs, sieben, aus Blech, im Aussenraum und unten im Raum die gleichen Fahnen. Und wenn sich die Fahnen draussen drehen, drehen sich die Fahnen unten im Raum auch. Und ich habe diese rot gemacht.  

Das war ein Fehler? 

Es hätte mich ja einer warnen können von der Jury. Das hat aber niemand gemacht. Und ich habe ganz naiv… rot. Derjenige, der das finanzieren wollte, hat «gschaurig» ausgerufen: Für Kommunisten gebe ich kein Geld!  

Wer war das? 

Ich weiss nicht mehr wer das war. Ein Buchser. 

Ich bin in Buchs aufgewachsen, darum frage ich.  

Für Kommunisten gebe ich kein Geld. Dann war das gelaufen. Das war ganz ein blöder Mensch. Es wäre ein schönes Projekt gewesen.  

Schade für Buchs. 

Ja, schade. Ich hätte die Fahnen ja blau machen können oder weiss. Also kein schwarz, nein, das geht auch nicht. Das ist Anarchismus (lacht).  

Genau. 

Mit den Farben muss man aufpassen.  Grün ist Islam. Weiss ist, wenn man sich ergibt. Rot ist Sozialismus. Blau… ist EU.  

Alles vergeben.  

Ich denke bei Farben nicht an ihre politische Bedeutung. Für mich ist eine Farbe eine Farbe. Ich glaube das hatte sicher einen Einfluss bei der Sache im Kunstmuseum.  

Und das Geräusch? Dieses Gebläse macht schon recht Lärm. 

Ein grosses Geräusch, ja (lacht). Das ist halt ein starkes Gebläse. Diese setzt man für Hüpfburgen ein, da braucht es viel Luft. Bis ich das gefunden habe, hat es schon gedauert. Da hat mir einer gesagt, am Bodensee gäbe es eine Firma, die Hüpfburgen vermietet – dann bin ich dorthin gefahren und habe ein solches Gebläse gekauft.

Roman Signer_Rotes Tuch

Haben Sie diese Installation spezifisch für diesen Raum im KKL konzipiert oder hatten Sie vorher schon die Idee dazu? 

Als Frau Fetzer mir gesagt hat, dass sie gerne eine Ausstellung machen wollen oder eine permanente Installation, habe ich gesagt: lieber eine Installation, die bleibt. Dann habe ich das rote Tuch vorgeschlagen. Sie war dann bei mir in St. Gallen, hat sich das angeschaut und war begeistert. Sie hat es daraufhin der Kommission vorgeschlagen und dort hiess es, wir müssen das zeigen. Wir haben uns nichts Böses gedacht. Andi Scheitlin [Präsident der Kunstgesellschaft, Anm. d. Red] war sehr positiv. Ja…Das war eine grosse Enttäuschung. Ich habe natürlich gesagt: Irgendwo kommt das einmal. Ich hätte da keine Hemmungen, wenn das irgendwo, auch im Ausland, installiert würde. Aber der Raum muss passen. Ich kann das nicht in einem drei Meter hohen Raum machen, das muss schon eine Höhe haben.  

Ich könnte mir sogar vorstellen, dass man einen Kamin bauen würde, quadratisch, so hoch (zeigt in die Luft), oben eine Glasdecke. Sobald man durch den Eingang hereinkommt (macht mit der Hand die Bewegung des Tuchs, das nach oben zur Decke emporsteigt). Das könnte man sich ja vorstellen, auch im Aussenbereich, wenn es oben zu ist, mit Glas. Das geht. Ja, vielleicht wird diese Präsentation noch folgen.  

Hoffen wirs.  

(lacht) Das weiss man nie.  

Jetzt kann man alle diese «Hauswarte» noch einmal einladen, sich das Werk hier im Bellpark anzuschauen, oder? 

Nein, die will ich nicht einladen (lacht). Nein, ich habe die Hauswarte nicht gern. Ich hatte viele Probleme mit Hauswarten. Hauswarte hassen Kunst. Weil Kunst, vor allem Wasserobjekte, geben viel Arbeit – ohne dass es mehr Lohn gibt. Ich begreife es eigentlich, sie müssten einen Kunstzuschlag bekommen (lacht).  

Sie haben ja Erfahrungen mit Bewilligungen von Behörden. Wenn Sie ein Projekt in Angriff nehmen, denken Sie da schon an mögliche Einschränkungen und Sicherheitsbedenken? 

Eigentlich nicht. In dieser Beziehung bin ich naiv (lacht). Es gibt immer ein Abenteuer. Es gibt immer Konsequenzen, die man nicht voraussehen kann.  

Ich nehme an, das hat einen gewissen Reiz? 

Natürlich. Wenn ich schon alles voraussähe, würde ich das vielleicht gar nicht anfangen. Das wäre nicht interessant.  

Sie haben gesagt, sie denken nicht politisch im engen Sinne. Aber im weiteren Sinne? Steckt hinter Ihrer Arbeit nicht auch das Motiv zu provozieren?  

Eigentlich nicht. Es ist nicht so, dass ich unbedingt einen Skandal machen will. Das kommt von alleine. Nicht immer. Aber das gibts. Ich finde es nicht interessant, wenn man plakativ politisch sein will. Mir geht es einfach um die Poesie. Aber es ist schon oft passiert, dass ich angestossen bin. Ich glaube, es wäre eine Einschränkung für einen Künstler, wenn er sich zu fest politisch vereinnahmen lässt. Ich will frei bleiben. Aber das ist ja schon politisch.  

Woran arbeiten Sie im Moment? 

Im Moment mache ich verschiedene Skulpturen. Ich habe eine Einladung für eine Ausstellung in Frankreich, in Besançon. Ich habe sehr Freude. Und ich werde mir Mühe geben, dass das eine gute Ausstellung wird.  

Sie kommen ja viel herum, haben viele Ausstellungen im Ausland… 

Ich bin viel auf Reisen, ja (lacht). Ich habe auch sehen müssen: Die Schweiz hat irgendwie Minderwertigkeitskomplexe. Das sagt jede:r Künstler:in: Wenn man im Ausland ausstellt, wird man anders wahrgenommen. Darauf muss man sich nichts einbilden, aber es ist eine andere Situation. 

Ist der Ausstellungsbetrieb in der Schweiz, falls man das verallgemeinern kann, konservativer? 

Es kommt eben immer darauf an, woher man kommt. Ich habe gemerkt: Ein St. Galler – ich bin ja eigentlich kein St. Galler, ich bin Appenzeller – das ist schon weniger wert. Das Beste war als ich die erste Ausstellung hatte in einer Galerie in Zürich, 1977, da hat einer der Vernissage-Gäste gesagt: «Für St. Gallen ist das noch recht gut» (lacht).  

Ich war ja Lehrer in Luzern [Schule für Gestaltung Luzern, Anm. d. Red.], da hatte es ab und zu Studierende, die meinten: «Ah, St. Gallen, gibt es dort auch Kunst?» Ja, dort gibt’s auch Kunst (lacht). In St. Gallen gibt es auch eine Kunstszene. Es ist heute besser als früher. Als ich angefangen habe in St. Gallen, 1972, gab es eine alte Garde, ein paar alte Künstler, keine jungen. Jetzt ist das anders, die Kunstszene ist sehr aktiv.  

Sie schreiben zu einzelnen Werken und Installationen manchmal kleine Texte. Gibt es für das rote Tuch einen solchen Text?  

Ja… ich kann schon einen machen.  

Also: Können Sie einen schreiben? 

(lacht) Aber der ist so klein. Also der Herr Stadler [Leiter Museum im Bellpark,Anm. d. Red] kann das auch.  

Aber würden Sie? 

Ja, das müsste ich überlegen, auf die Vernissage hin. Soll ich einen machen? 

Ja. 

Dann müsste ich natürlich auch diese Probleme erwähnen mit dem Kunstmuseum.  

Ich würde ihn gerne lesen.  

Für mich war es wirklich eine sehr grosse Enttäuschung.  

Wie lange haben Sie daran gearbeitet? 

Lange. Wir mussten viele Versuche machen. Ich bin froh, habe ich gute Handwerker.  

Und jetzt sind Sie zufrieden mit der Installation hier im Bellpark? 

Ich bin sehr zufrieden, ja.  

Und was meinten Sie vorhin beim Testlauf damit, man müsse den Luftschlitz verdoppeln? 

Man muss mehr Luft ansaugen. Es dünkt mich, das Tuch geht langsamer nach oben als bei mir im Atelier. Wenn man den Luftschlitz grösser macht, bekommt er mehr Luft, wir sind ja ziemlich nahe an der Wand. Und die Luft muss alle Umwege gehen. Ich würde den breiter machen.  

Vielleicht ist die Luft dicker. 

(lacht) Nein, nein. Es ist anders, wir hatten ein wenig Angst wegen der Enge. Dass vielleicht viel Luft auf die Seite ausweicht bei der Treppe. Es ist komplizierter. Aber es geht, das ist das Wichtigste. Aber in einem Raum, in dem es keine Hindernisse gibt, keine Treppe zum Beispiel, geht das Tuch natürlich schneller.  

Wie war das eigentlich beim Testlauf im KKL mit dem Lärm? War das Geräusch lauter als hier? 

Ja, wissen Sie, man hätte für die permanente Installation diese Kiste aus Metall gemacht und innen mit einer schalldämpfenden Beschichtung ausgekleidet. Das bringt viel. Das ist natürlich sensibel, wenn gerade ein Konzert stattfindet. Aber man könnte es ja auch einfach ausschalten, oder? Könnte man. Aber sonst stört das dort eigentlich nicht. Dieser Raum mit dem Lift hinauf zum Kunsthaus ist so ein kalter, trostloser, nüchterner Raum.  

Vielleicht klappt es doch noch mit Kunstmuseum und KKL?  

Nein, das glaube ich nicht.  

Aber Sie wären dazu bereit?  

Ich weiss nicht, ob ich noch mitmachen würde. Ich weiss es nicht. Ich kann nichts versprechen. Ich hätte es lieber an einem anderen Ort. Am liebsten freistehend, in einem Kamin, einem Turm. Das sind so Träume.  

Wo am liebsten? 

Im Ausland. Nicht in Amerika. Frankreich zum Beispiel, Belgien, Holland. In diesen Ländern stelle ich am liebsten aus.

Oder etwas weiss ich natürlich ganz genau. Dass ich nie im Kunsthaus in Zürich ausstellen werde. Nie, nein, das ist unmöglich. 

Warum? 

Weil ich kein Zürcher bin. Die Zürcher sind ja immer die Besten (lacht).  

Vielleicht kommt das noch, das mit dem Kunsthaus. 

Ich denke kaum. Ich habe circa zehn Jahre in Zürich gearbeitet. Ich war gerne dort (lacht).  

Ich war ja gar nicht eingestellt auf ein Interview. Nun haben wir aber doch etwas beisammen. 

Ja. Sind Sie zufrieden? 

Ja. Und Sie? 

Ja, ich auch. Danke für Ihre Geduld.  

Danke für das Gespräch.

Roman Signer_Text

Bilder: © Laura Gauch