Mini Schwiiz, dini Schwiiz

Neubad, Luzern, 19.12.2019: Herkunft, Identität, Heimat: Das Ensemble von Hotz nimmt sich einem schweren Themenkomplex an. Im Stück «Heimat» bleibt alles so kompliziert wie es ist. Und das ist in Ordnung. Irgendwie.

Bilder: Christian Felber

«Heimat ist dort, wo alles beginnt», schreibt das Ensemble von Hotz in der Beschreibung des Theaterstücks «Heimat». Um nachzuschieben: Eine simple Definition des Begriffs gebe es nicht. Auch das Stück zeigt kein Interesse daran, eine solche zu liefern.

Fünf Wochen recherchierte das Ensemble von Hotz um Regisseur Oliver Lau zum titelgebenden Begriff. An diesem Donnerstagabend im Neubad stellen die Beteiligten die Resultate ihrer interdisziplinären Arbeit vor. So die Ankündigung der Musikerin Belia Winnewisser und Schauspieler Julian M. Boine ans Publikum.

Heimat im Neubad

Es ist ein ambitioniertes Projekt, das Illustration, Musik, Video, und Theater zusammenbringt. Genauso facettenreich und breit ist das Stück inhaltlich aufgestellt. Dadurch wird es dem Heimatbegriff wohl gerecht: Es wird gar nicht erst versucht zu reduzieren und zu vereinfachen, was komplex und schwierig ist.

Von plakativ bis subtil

Das Stück lässt sich inhaltlich und formell in zwei Hälften teilen. Zunächst nähert es sich dem Heimatbegriff (aus Schweizer Sicht) plakativ und offen an. Im zweiten Teil wird das Publikum aufgefordert, selbst Bezüge herzustellen. Während die erste Hälfte das Publikum im ganzen Gebäude des alten Hallenbads herumführt, spielt sich die zweite in einem klassischen Theater-Setting ab: Der Pool liefert Tribüne und Bühne. Doch der Reihe nach.

Heimat ist etwas Gemeinschaftliches. Es gibt nicht nur eine*n Schweizer*in, «wir» alle gehören dazu. Das «Wir» wird im Stück zunächst in Abgrenzung zu den «Anderen» definiert. Wir, das sind wir wohlhabenden Bünzlis, die in Griechenland dem Nachbarsstreit entfliehen. In einem Café am Meer treffen wir auf die anderen – sie flüchteten vor dem Krieg. Durch die Zerstörung ihres Herkunftsorts sind sie heimatlos geworden. So präsentieren es projizierte Illustrationen von Annina Schäubli im Pool. Das mag also Heimat bedeuten: Die Möglichkeit zu haben, sich frei in der Welt zu bewegen, aber wenn es drauf ankommt, in ein unversehrtes Land zurückkehren zu können.

Weitere, durch einen einzigen Spotscheinwerfer beleuchtete Illustrationen im Lüftungsraum des Neubads verweisen hingegen auf einen romantisch-verklärten Schweizer Heimatbegriff. Sie zeigen einen bärtigen «Ätti» beim Holzfällen in einem verschneiten Dorf, wo aber doch nicht alles so rund läuft wie es den Anschein macht.

Dabei braucht das Stück einige Minuten, um in die Gänge zu kommen. Nach den Projektionen Griechenlandurlaub klappert das Publikum, aufgeteilt in zwei Gruppen, zwei Positionen im Haus ab, bevor sich das gesamte Publikum im Pool wieder trifft. Die Rundgänge durchs Neubad verlaufen schleppend und verkommen leider zur Geduldsprobe.

Kopflastige Monologe ersetzen Bildhaftes

Doch dann ist man zurück im Pool vor einem aus weissen Dreiecken bestehenden Bühnenbild. Julian M. Boine tritt in diesem zweiten Teil als gemachter Business-Mann vors Publikum. Dabei rückt das «Ich» in den Vordergrund. Der geschalte Yuppie erzählt vom Persönlichen, hinterfragt eigene Erfahrungen und ihre Realität. Zum Schluss ist wenig übrig von den grossen gesellschaftlichen Bildern von Heimat.

Ein Travel-Blogger (Gian Leander Bättig) kommt über Videoaufnahmen ins Spiel. Dieser trifft Boines namenlose Figur beim Theaterbesuch. Die beiden tauschen sich über geteilte Kindheitserfahrungen aus. Was verbindet sie? Haben sie eine gemeinsame Geschichte? Der Bezug zur «Heimat», die dieses Stück so plakativ betitelt, der ist nur noch zu erahnen. Kopflastige Monologe ersetzen das Bildhafte des ersten Teils. Nicht alle Erzählstränge und losen Enden werden nochmals aufgenommen. Der Applaus nach einem letzten Song von Winnewisser kommt plötzlich, unerwartet.

Heimat im Neubad

Das Ende des Stücks ist aber nicht unwillkommen. Denn einen spezifischen, neuen Zugang zur Heimat bietet dieses Stück trotz fast zwei Stunden Dauer nicht. Stattdessen Kontraste, Komplexität, und keine klaren Antworten. Das Stück liegt schwer im Magen wie ein festtägliches Raclette. Offenbar ist Bauchweh noch das ehrlichste Heimatgefühl.

Spiel: Julian M. Boine, Gian Leander Bättig; Spiel & Musik: Belia Winnewisser

Regie: Oliver Lau; Dramaturgie: Selina Beghetto; Musikalische Leitung: Martin Schenker; Bühne: Christof Bühler; Kostüm: Clara Sollberger; Video: Christian Felber; Licht: Michael Eigenmann; Illustration: Annina Schäubli;

Heimat
FR 20. Dezember, 20 Uhr, SA 21. Dezember 13 & 20 Uhr (Doppelvorstellung), SO 22. Dezember, 15 Uhr
Neubad, Luzern

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