Mensch, Maschine, Büro

Kleintheater Luzern, 22.11.2017: Theater Aeternam hiess bis anhin: Theater auf dem Fussballplatz, im Vorgarten oder im Ballsaal. Heuer spielen sie – ganz konventionell – im Kleintheater. Einen exotischen Schauplatz braucht «Bandscheibenvorfall» nicht, das klöpft auch so.

«Ich bin kaputt.» Schmitt (Nicole Lechmann) legt den Ton an. Dann Choreographie: Hufschmidt (Christoph Fellmann) und Kruse (Marco Sieber) wiederholen ein Muster aus Kampfsport, Yoga und Cheerleading. Sie tanzen den Arbeitsteufel. Die Sprache kommt hinzu: «Papier in der Tasche, das Handy hab ich aus, … , langsam sprechen, ohne Panik.» Innere, nach aussen gekehrte Monologe, maschinell ausgeführte Gedanken und Verhaltensweisen am Arbeitsplatz, militaristisch aufgeladen. Diese Menschen sind kaputt. Ihr Über-Ich und ihr Chef haben die Macht übernommen. Schmitt gesellt sich dazu, die Choreographie wird schrittweise asynchron. Auch die syntaktischen Nahtstellen der nach aussen gekehrten Monologe verschieben sich, der Kaffee wandert in die Jacke, die Frau ist jetzt auf dem Tisch. Kaffee in der Jacke, Frau auf dem Tisch. Kaffee in der Jacke, Frau auf dem Tisch. Das groteske Element nimmt Überhand.

Ingrid Lausunds «Bandscheibenvorfall» ist eine total überdrehte Farce, den Arbeitsalltag von Bürogummis auf die Schippe nehmend. Sätze sind nur noch Floskeln, Sich-Verkaufen ist alles, die Mitarbeiter und den Chef hasst man abgrundtief. Die abendliche Verabredung zum Squash-Spielen wird von einem «Ich kotze gleich» begleitet. Lausund interpretiert den Alltag nicht linear, sondern als ein Kaleidoskop aus Gedachtem, Gefühltem, Gesagtem, Unterdrücktem und Bürosprache. Das tägliche «Morgen» bei Arbeitsbeginn ist die einzige Konstante. Teils schimmern zwischenmenschliche Annäherungen auf, sie werden aber sofort in das bürokratische System aufgenommen, werden Meta und verpuffen.

aeternamnamnam
Foto: Matthias Muff

«Ich habe keine Meinung mehr zu irgendwas, es geht nur noch um Optionen … Irgendwo muss da ein Schmerz drunter sein» sagt der eigentlich selbstbewusste Kretzky (Matthias Ott) einmal. Trotz der grösstenteils grotesken Stossrichtung trifft das Theater Aeternam heute Abend auch ungemütliche Zwischentöne, das Ensemble alterniert manisch zwischen Aggressivität und Heiterkeit, spielt mit dem Publikum wie ein Chef mit seinen Angestellten. In der Inszenierung von Nina Halpern steigen die Angestellten jeweils aus einem grossen, metallenen Kubus, der unregelmässig mit Seilen überspannt ist, ein und aus, müssen zum Chef und ziehen sich dadurch Haltungsschäden zu. Manchmal dürfen sie auch zu einem happy place auf der rechten Seite des Kubus, wo ein aufblasbares Schwimmhilfeeinhorn und ein Behälter voller glücklichmachendem, weissem Pulver auf sie wartet. Feierabend, Abschalten, Traumwelt, Work-Life-Balance halt.

Mit «Bandscheibenvorfall» haben das Ensemble des Theater Aeternam und die Regisseurin Nina Halpern einen absurd-komischen Theaterabend geschaffen, der nie in Klamauk abdriftet. Obwohl bis zur äussersten Abstraktion verfremdet, folgt man den Bildern gebannt, Handlung braucht niemand. Dafür sind Spiel und Inszenierung zu präzise, der Originaltext von Lausund wurde verinnerlicht, mit vielen eigenen Gedanken gewürzt und im Kleintheater gelungen uraufgeführt.

 

Titelbild: Marco Sieber

Theater Aeternam: «Bandscheibenvorfall», noch FR 24. November bis SA 9. Dezember, Kleintheater, Luzern

Autorin: Ingrid Lausund
Regie: Nina Halpern
Bühne: Philipp Wagner
Kostüme: Birgit Künzler
Licht: Martin Brun
Technik: Martin Finsterle
Grafik: Erich Brechbühl
Maske: Sabine Flückiger

Spiel: Franziska Bachmann Pfister, Christoph Fellmann, Nicole Lechmann, Mathias Ott und Marco Sieber