Match. Chat. Date. Repeat!

PTTH:// Luzern, 18.01.2020: Die Gruppenausstellung «Algorithmen der Liebe» im Luzerner Kunstpavillon lotet die Ausweitung der Kampfzone der Liebe aus und bringt spannende Perspektiven zu Tage. Manch Grundlegendes bleibt jedoch im Dunkeln.

«Have faith in the system! Because it does deliver» lautet das Credo in der Dating-Dystopie «Hang the DJ» der Netflix-Serie Black Mirror. Die Erlösung erfolgt durch «the ultimate compatible other». «The perfect match» ist womöglich nur ein swipe nach rechts entfernt. Garantierte Liebe ohne Risiko – was kann da schon schiefgehen?

Die Kuratorinnen Antonella Barone (*1989) und Tanja Breu (*1988) alias baronebreu setzen mit ihrer Ausstellung «Algorithmen der Liebe» ein zeitloses wie zeitgenössisches Thema auf die Agenda und zeigen dazu in den Räumen des PTTH:// in Luzern zehn künstlerische Positionen. Diese setzen sich mit der «Liebe in Zeiten von Tinder & Co.» auseinander.

Die Aura des Anderen

Beim Betreten des Foyers steht man gleich vor «The Sanctuary» (2020) von Kaspar Bucher (*1976), eine Intervention aus vor Ort aufgefundenen Materialien: Eine weisse Wand mit einem ausgeschnittenen Muster, hinter der nichts ist, ausser einer Zimmerpflanze. Der Titel referiert zugleich auf Gotteshäuser wie auch auf Schutzgebiete. Doch was ist das Heiligste und Schutzwürdigste? Verweist das Altarbild auf «die grosse Liebe», dem heiligen Gral aller Suchenden? Oder doch eher auf «das wahre Selbst» hinter der coolen Fassade, das nichts ist als ein normiert-domestiziertes Gewächs?

Algorythmen der Liebe

Von einem Verfall der Aura im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit, ja Manipulierbarkeit, zielt auch Jonas Blumes (*1989) Videoarbeit «Nearby» (2017). Das Interface transformiert das leibliche Antlitz in ein diskretes Muster aus fusionierten Datenpunkten, in ein Profil, dessen Umriss uns gefällt. Mittels face swap betreibt Blume zudem ein affirmatives Spiel der Masken. Mit seinen manipulierten Gesichtern erkundet er die selbst-inszenatorischen Möglichkeiten multipler Identitäten auf der virtuellen Spielwiese der Liebe.

Vis-à-vis steht man vor der minimalistischen Installation «Sichtschutz» (2019) von Andrea Vera Wenger (*1995). Man sieht sowohl die Anderen als auch sich selbst, doch meist nur partiell oder verzerrt. Und die Betrachtenden wissen zugleich, dass die anderen auch sie sehen können. Dennoch bleibt man getrennt. Unsichtbar bleiben hingegen die Datenbanken und Algorithmen der privaten Unternehmen. Der screen als Allegorie für die panoptische Transparenzgesellschaft.

Algorythmen der Liebe

Analytisch erinnert Aramis Navarro (*1991) mit seiner Installation «Fatamorgana» (2019) an die Illusion der Liebe. Man sieht ein Gänseblümchen aus Porzellan auf einem Spiegel, ein Gemälde und cut-outs sowie eine Projektion, die mit dem Wort «Liebe» spielt. Bereits der Titel bezieht sich auf etwas Unerreichbares wie auch auf etwas Tödliches. Man imaginiert bloss ein idealisiertes Bild vom Anderen, das zerfallen muss, wodurch man vom Realen fragmentarisch einen Einblick erhalten kann. Die Worte, die das Unfassbare fassen sollen, lösen sich in mannigfaltig aufeinander bezogenen Bedeutungen auf.

Analog: das neue Bio

Nach dem Filtern kommt das Flirten. Im schlimmsten Fall fliegen einer dick pics um die Ohren, beziehungsweise Augen – ugh! Da hilft auch kein no ons in der Biographie. Im besten Fall entstehen liebevolle Gedichte. Ob sie von Bots oder Ghost Writern stammen, wie in Spike Jonzes Film «Her» (2013), bleibt dahingestellt. Auf jeden Fall eröffnet uns das Kunstkollektiv The Bad Conscience mit der appropriativen Poesiewand «One Night Stanza, Poetics of technosexual tenderness» (2020) einen Raum (ital.: stanza), der zu denken und schmunzeln gibt.

Überhaupt scheint das Analoge das neue Bio zu sein. So auch bei Eline Kersten (*1994) und Joris Burla (*1991), die mit ihrem Projekt «Love letter to an Artwork» (2019-laufend) Liebesbriefe von Menschen an Kunstwerke präsentieren. Als Antwort erhalten sie eine Skizze. Womöglich kann nur der Umweg über die Schönheit (der Kunst), die Liebe mit dem Realen erwachsen.

Auch bei Livio Beyelers  «Algorithmen der Begierde – eine Trilogie» (2019-2020) steht die analoge Appropriation des Digitalen als künstlerische Strategie im Vordergrund. So kann sich das Flirten durchaus als abgewandelte Form der peinlichen Befragung entpuppen, die eigenen Äusserungen können sich als mutige Selbstermächtigung herausstellen; Selbstanpreisung aber auch entwürdigende Selbstpreisgabe. Zudem sind die Algorithmen der Liebe auch Algorithmen der Trennung. «Thank you, next» – und swipe!

Ein dialektisches Spiel von Absenz und Präsenz stellt Maeva Rossets (*1989) «2 hours drawing» (2020) dar. Das Werk macht die im Digitalen fehlende olfaktorische Dimension körperlicher Begegnungen erlebbar. Der Geruchssinn also, der am unmittelbarsten und unbewusst den ersten Eindruck entscheidend prägt. Rosset weist damit indirekt auch auf die Omnipräsenz von Körperbilder hin. Nach zeitlich getakteten Anweisungen, einem regelrechten Algorithmus, liess Rosset, die an der Vernissage nicht vor Ort war, die Kuratorinnen ihre Körperdüfte auf Papier sprühen. Und sei dies mitten während deren Ansprache.

Aus Zufall werde Schicksal

Ein olfaktorisches Erlebnis der eher unangenehmeren Art war leider auch das zwar wohlduftende Essen, das an der Vernissage dargereicht wurde, aber die Performance «bodies of the water disco» (2020) doch etwas störte (ganz zu schweigen vom scheppernden Besteck). Was schade war, lösten doch die akkuraten und kalten Bewegungen von Martina Morger (*1989) und Gemma Jones (*1995) grosse Faszination aus. Wie poseidische Riesinnen zerstreuen, zermahlen und zermischen sie mit ihrer korporealen Materialität und mit Rohren bewehrt einen schmalen Haufen aus Pailletten. Sie erinnern an unsere fragmentierte Aura, die ihren Glanz verloren hat – oder an ein noch sichtbares Leuchten einer längst erloschenen Liebe.

Algorythmen der Liebe

Nach all dem Swipen breitet sich eine dating app fatigue aus. Alleine die weltweit 50 Millionen Tinder-Nutzer*innen swipen 1.6 Milliarden Mal pro Tag und matchen 26 Millionen Mal. 46% der Männer wischen dabei immer nach rechts, so dass jede zweite Frau ein like erhält, hingegen nur jeder siebte Mann eines von Frauen. Die fatale Folge des Hochfrequenz-Datings ist eine romantic fatigue. «Nichts geht mehr» für diese ewige Wiederkehr der immergleichen Paarszene. Auf diesen Umstand spielt Tonjaschja Adlers (*1968) «Paradise Reloaded – Adam und Eva, Rien ne va plus» (2019) an. Aber auch auf das Glücksspiel Roulette, in dem der Zufall die Entscheidung herbeiführt und nicht das Geschick der Spieler*innen. Oder soll gerade wieder der Zufall das menschlich optimierte Geschick und nunmehr maschinell berechnete Schicksal durchkreuzen?

Fragen bleiben offen

Nach dem Gang durch diesen wundervollen Irrgarten der Lüste vermisst man dennoch zwei signifikante Abwesende. Einerseits die künstlerische Verarbeitung der technologischen Dimension von Algorithmen: Wie wird etwa die automatisierte Berechnung und Bewertung der desirability bewerkstelligt? Doch dies mag eine Eigenart post-digitaler Kunst sein, die sich mehr mit den menschlichen Konsequenzen und Möglichkeiten auseinandersetzt. Andererseits fehlt auch ein Bezug zum Kapitalismus: Warum geht die Berechnung und Bewertung vonstatten? Wer profitiert von unserem selbstoptimierenden Tanz um die Lust? Und welche Folgen hat die Effizienz- und Konsumlogik in der Sphäre von Intimbeziehungen? Aber vielleicht liest man dazu lieber «Warum Liebe endet» (2018) der Soziologin Eva Illouz – oder hört sich ihren Vortrag am aha – ein Festival für Wissen im Südpol am kommenden Wochenende an.

Algorithmen der Liebe
Bis Fr 14. Februar (Valentinstag)
PTTH://, Luzern

Eva Illouz: Wie wurde die romantische Liebe erfunden?
SA 25. Januar
Südpol, Kriens