Manuel Troller - Vanishing Points

PlattenWechsler: Kaum ein Gitarrist faszinierte in den vergangenen Jahren derart wie der Luzerner Manuel Troller. Ob in seiner Stammformation Schnellertollermeier, mit dem Impro-Trio Tree Ear oder an der Seite des Schrifstellers Michael Fehr: Dieses Saitenspiel bleibt hängen bis zum Horizont – und manifestiert sich nun erstmals solo auf «Vanishing Points».

Was ist eigentlich die Idee dahinter, freie Improvisation auf Platte zu verewigen, wenn sie doch nur ein Momentum ist? Nun: Primär geht es um die Kreation eines Zeitdokuments. Wo stehen Musiker*innen, was bewegt sie im Rahmen einer bestimmten Zeitspanne, was sagen sie heute aus? Die Aussagen, die das Heute darstellen, zeigen immer auch ein Gestern und – viel wichtiger – ein Morgen. In diesem Sinne stellt Manuel Trollers Solodebüt «Vanishing Point» eine gelungene Titulierung für ein Denkkonzept dar, das sich unabhängig von der Intention des Künstlers mit verschiedenen Zeit- und Distanzüberlegungen beschäftigt. Ein «Vanishing Point» oder besser: ein Fluchtpunkt; passt!

zvg, Philipp Hitz
Bild: zvg, Philipp Hitz

Bei Troller kann zudem die Flucht oder Auslöschung vom eigenen Ego assoziiert werden, was von ihm auch klar betont wird: Vor drei Jahren präsentierte er, der bis anhin dem Soloauftritt aus dem Weg ging, im Rahmen eines Auftritts mit Marc Ribot erstmals Musik, die nicht nur für seine Stammband Schnellertollermeier gedacht war. Nebst Eigenkompositionen gab es dort Interpretationen bestehender Songs zu hören – beispielsweise von John Fahey. Doch solche poppigeren Stücke, deren Bestehen im eigenen Repertoire Troller zwar wichtig sind – er lebt jene Seite beispielsweise an der Seite des Schriftstellers Michael Fehr aus –, gibt es  auf «Vanishing Points» nicht. Nein, diese Platte ist sozusagen das Zeitdokument, das den jetzigen Schaffenspunkt des Musikers festhält und zusammenfasst, was er bis jetzt an Material zusammengetragen hat. Material, das eine Klasse für sich ist.

Wer Troller in vergangener Zeit live erlebt hat, wird einen Grossteil dieser Sounds kennen. Und doch sind sie so einzigartig wie keine vergleichbare Musik. Was dieser Gitarrist mit seinen Effektpedals ohne irgendwelche Overdubs (das Loopgerät ausgenommen) oder ähnlich aufbaut, sucht seinesgleichen. Hierbei von freier Improvisation zu reden, ist nur noch stellenweise richtig (wer Troller hierbei erleben will, soll sich beispielsweise das Tree-Ear-Album «Witches Butter» geben). Die sechs Stücke auf «Vanishing Points» sind Kompositionen, entstanden aus Improvisationen, jetzt jedoch höchstens gesprenkelt mit Improvisationen. Das nimmt der Musik zwar zu einem Teil den Überraschungseffekt.

Dieses Manko gleicht Troller aber mit seiner Energie aus, die wiederum seinem Statement oder seiner Haltung entspringt. Der Luzerner Gitarrist weiss genau, was er macht und was er will. Entsprungen ist diese Aussagekraft nicht stundenlangem Üben an der Jazzschule in Luzern, wo Troller seine Ausbildung absolviert hat, denn Haltung, Statement, Aussagekraft und Energie können nie einfach im Kämmerchen geübt werden. Dafür bedingt es des sich befassen mit Musik, der Konsultation von Live-Auftritten, dem stetigen Suchen nach eigenen Gigs, dem klar angestrebten Austausch mit Musiker*innen und überhaupt Vertreter*innen der ganzen Kulturszene.

Jene vielfältigen Eindrücke zeichnen denn auch die Musik auf «Vanishing Points» aus: Es gibt das meditative Meisterstück «Wormhole», das sich durch Repetition, Dynamik und geschickte Delay-Einsätze auszeichnet. Oder die charakteristischen Stutter- und Hall-Sounds Trollers, zu erleben auf «Revolt» und «Hologram». Weiter findet sich der Einsatz vielfältiger Improinstrumentarien wie Bogen oder Steinplättchen, die für perkussive sowie gitarrenuntypische Sounds sorgen. Und dann schon fast humorvolle Referenzen: Wenn beispielsweise auf dem Stück «Untitled #3», das zuerst ein Schnellertollermeier-Track sein könnte, ab 4:42 ein Gitarrenlick auftaucht, welches an den Megahit «Whatever You Want» von Status Quo erinnert. Ob gewollt oder ungewollt, bleibt das Geheimnis Trollers, der als Musikgourmet (Stichwort DJ Cembalo Sunshine) gerne auch ein weltweit bekanntes Jazzfestival berät.

In der Summe erreicht der Luzerner mit «Vanishing Points» ein Debüt, dass mehr ist als nur eine Bestätigung, «wie toll Troller» denn effektiv ist. Es geht hier nicht um den Musiker selbst – die Platte wirkt wie eine Einladung. Beispielsweise zu einer Meditation im Club, zusammen mit Marc Ribot, Fred Frith oder Patrick Higgins, die anschliessend einen Soundtrackausschnitt zu einem Videospiel analog dem Waldtempel in «The Legend of Zelda: Ocarina of Time» komponieren würden: ein Meisterwerk der Computerspielmusik, das versinken lässt, ohne je in den Hörgängen zu verdunsten. Troller hat gleich sechs solcher Spirit-Songs geschrieben, und wenngleich jene «nur» eine Momentaufnahme sind, sind sie doch ein klares Statement gen Zukunft. Dieser Musiker wird noch lange nicht verschwinden. 

 

Manuel Troller: Vanishing Points (2018) (three:four records)
Plattentaufe: FR 5. Oktober, 21.15 Uhr, Südpol, Kriens (mit TomRamon)

Weitere Auftritte: 

SA 27. Oktober, 20 Uhr , Mullbau, Luzern (mit Hans Koch & Gaudenz Badrutt)

FR 16. November, 21.30 Uhr, Südpol, Kriens (mit Michael Fehr, Andi Schnellmann, Julian Sartorius)

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