Lost in Reference

Kunsthalle Luzern, 03.06.2020: Ein Haufen Krempel oder ein Ökosystem von Verweisen? Die Ausstellung «Dear Optimist» von Philipp Hänger in der Kunsthalle Luzern fordert Ordnungsarbeit vom Publikum.

Diese Ausstellung kann als wahlloser Wust von Gerümpel und Gerätschaften bezeichnet werden. Das kann gesagt werden und ist dabei von der Meinungs- oder Pressefreiheit gedeckt. Was Philipp Hänger (*1982) in der Kunsthalle Luzern nach dem Lockdown unter dem Titel «Dear Optimist» präsentiert, soll laut Ankündigung aber gerade nicht beliebig sein, sondern ein «komplexes Assoziationsnetz von Dingen und Inhalten» darstellen. Auch das kann gesagt werden, nur müssen sich kuratorische und künstlerische Konzepte einer robusteren Prüfung stellen als eine hingepfefferte Meinung unbescholtener Ausstellungsbesucher*innen. In der Tat ruft Hängers Ensemble «unterschiedliche Lesarten der Ausstellung» hervor, nur welche sollen das sein und wozu?

Während Referenzen und Zitate sowohl in Pop- als auch der Hochkultur fest als künstlerisches Mittel etabliert sind, bleiben sie immer angewiesen auf Beobachtende, die Verbindungen auch erkennen müssen. Das Identifizieren von Zitaten etwa und die grosse Befriedigung, die dabei verspürt werden kann, gründen wiederum auf dem Wissen und ästhetischer Kompetenz einzelner Personen. Dies – das zeigte insbesondere der Soziologe Pierre Bourdieu – hängt mit dem persönlichen Hintergrund zusammen, also mit Geschlecht, Klasse, Milieu, Alter, Herkunft und Bildung, was immer auch auf ungleich verteilte Chancen und Ressourcen in einer Gesellschaft verweist. Gerade deshalb werden Besucher*innen der Kunsthalle auch sehr viel über sich selbst lernen, wenn sie eine (der möglichen) Ordnung(en) in Hängers Chaos erkennen.

Hänger_Optimist_Kunsthalle_Luzern

Ich will drei Ordnungszugänge vorschlagen, die sich unterscheiden in der Art der Verweisapparate. Dabei geht es jedes Mal um das gleiche Tohuwabohu: Zahlreiche und über den ganzen Raum verteilte Skulpturen, Artefakte, Screens, Projektionen, Sounds, Objets trouvés, Fotografien, Malereien, Installationen, technisches Gerät und Konsumartikel. Und ein Auto.

Wer sich durch die Ausstellung bewegt, löst auch Sensoren aus, die Videoprojektionen starten oder Soundeffekte erklingen lassen, für die Hänger mit dem Soundkünstler Claude Winterberg kooperierte. Mitten im Raum steht eine grosse Erdskulptur und in einigen Gefässen blubbert Wasser oder ein Energydrink, der auch mal einen Kombucha nährt. Über der Theke hängt ein riesiger schwarzer Ballon und häufig gibt es Neonlampen. Das unterirdische Kabinett wird zu einer Art Höhle, inklusive tropfender Stalaktiten aus CD-Ständern. So entsteht eine sehr aufwendig inszenierte, interaktive und multimediale Landschaft, die Besucher*innen ohne vorgegebenen Weg durchschreiten können.

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Der in Aarau und Lenzburg lebende Hänger zeigt Objekte, die sich einzeln zum Staunen, Rätseln, Stirnrunzeln, Ignorieren oder Verweilen anbieten. Aber was sollen sie in ihrer Gesamtheit zeigen? Zwei Lesarten über Referenzen innerhalb der Ausstellung legt Kurator Michael Sutter nah und sie wurden nebst einigen harten Kennzahlen auch von Susanne Holz in der Luzerner Zeitung wiederholt. Eine dritte Lesart bezieht sich auf externe Referenzen in der Kunstgeschichte und drängt sich Besucher*innen auf, die sich die Zeit mit zeitgenössischer Kunst vertreiben oder auch mal das Kunstmuseum Luzern besuchen.

1. Interne Referenzen: Formal

Das erste Verweisungsnetz innerhalb der Ausstellung stellt sich durch ähnliche Formen her. Insbesondere der gute alte Kreis findet sich nicht nur im Titelbild der Ausstellung, sondern auch in Neonröhren, Zirkusszenen, Objekten oder Reifenspuren. Formalistische und kulturwissenschaftliche Methoden der Kunstgeschichte gehen solchen korrespondierenden und kongruenten Mustern über verschiedene Werke, Künstler*innen, kulturelle Kontexte und Jahrhundert hinweg nach (exemplarisch Aby Warburgs «Bilderatlas Mnemosyne», siehe die Ausstellung im Berliner HKW im Herbst und die spektakuläre Publikation bei Hatje Cantz). Auch Algorithmen sollen so etwas immer mehr machen.

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Bei Hängers Werk spielen sich diese Ähnlichkeiten nun innerhalb eines räumlichen Settings ab. Ob hinter dem Verwenden etwa des symbolträchtigen Kreises nur ein Spielen mit der Form oder auch eine inhaltliche Klammer steht, bleibt dabei relativ offen und leitet schon zur zweiten Lesart.

2. Interne Referenzen: Inhaltlich

Die Ausstellung soll laut Ankündigung auch ein «narratives Potpourri» sein und neben den formalen eben auch «inhaltliche Querbezüge» darstellen. Der Kreis wird hier so zum Kreislauf, denn Hänger zeigt mehrfach Objekte, die chemische und physikalische Stoffwechselprozesse darstellen. Es geht um Verfall und Wiederaufbau von Stoffen, Oxidation von Metallen, den Wechsel von Aggregatzuständen oder den biochemischen Metabolismus von Pflanzen, Bakterien und Pilzen.

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Auch die Videos, Sounds und Installationen wiederholen sich, wenn sie per Sensor ausgelöst werden. Diese Verweise unter der Adressierung des titelgebenden Optimisten sind klar: Komme, was wolle, es geht immer weiter und sei es auf physikalischer Ebene oder per Made im Leichnam. Ein hängender Stein bricht hier die materielle Grenze der Ausstellung, wenn die Thematisierung endloser Wiederholung doch spätestens seit Albert Camus Arbeit zur Absurdität bei aller Sinnlosigkeit auch immer optimistisch gelesen wurde: «Wir müssen uns Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen.»

3. Externe Referenzen: Kunstgeschichte

Verweise auf andere Kunstwerke und Kulturprodukte sind der dritte Ordnungszugang in Hängers Chaos. Schon beim Eintritt mögen manche an ähnliche Ausstellungskonzepte oder künstlerische Stile erinnert werden. Während über manchen Objekten und dem Arrangement von abgegriffenen Alltagsgegenständen immer schon der Geist von Joseph Beuys wehen muss, werden sich treue Besucher*innen des Kunstmuseums Luzern ganz konkret an Laure Prouvost erinnern.

Während Prouvost 2016/17 über eher vorgegebene Pfade strukturierte, eher persönliche Narrative aufspannte, will Hänger anscheinend nur Themen (siehe oben) anreissen und keinen Anfang, Spannungsbogen und Schluss produzieren. Die kunsthistorischen Verweise bleiben dabei aber eklektisch und keine grosse These zur Geschichte der Kunst will oder kann hier gemacht werden.

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Lustig ist der Kaktus aus Plastikrohr, der doch arg an Claudia Comtes Holzskulpturen im Kunstmuseum erinnern. Es gibt aber auch ein klares Zitat von Marcel Duchamp, Neonarbeiten wie bei Dan Flavin, Poolbilder wie bei David Hockney, Videoinstallationen wie bei fluxus, Massenkonsumartikel wie bei Andy Warhol oder Jeff Koons. Und einiges mehr. Im Erkennen solcher Referenzen beweist sich Ihr Bildungsstand, liebes Publikum und Sie sehen an meiner Aufzählung, dass ich hauptsächlich sehr bekannte, männliche, weisse Künstler identifizieren konnte.

So what?

Alle drei Ordnungsversuche machen in sich Sinn und Hänger ist es anzurechnen, dass sein Ensemble so eine Offenheit hat. Gleichzeitig wirken auch alle drei Ordnungen in sich stellenweise beliebig, weil sich bei keiner eine wirkliche Konsistenz und Stringenz erkennen lässt. Es gibt immer auch Teile, die sich einer Ordnung nicht fügen.

Ist das beabsichtigt und die Vielfalt legitimer Ordnungsweisen soll als These hinter dem Schaffen Hängers und der kuratorischen Arbeit von Sutter sein, bleibt dennoch eine Frage, die gerade heute unendlich relevant ist: Wenn verschiedene Weltsichten möglich sind, sind dann alle gleich richtig und falsch, gleich legitim? Oder gilt es sich nicht vielmehr auch zu entscheiden zwischen Links und Rechts, zwischen Wissenschaft und Verschwörungstheorie, zwischen Aufklärung und Religion, zwischen relevanter Kunst und halbgarem Rauschen?

Dear Optimist
Bis SO 2. August
Kunsthalle, Luzern