Long Tall Jefferson: Wolkig mit Aussicht auf Zuckerguss

Das dritte Album des Luzerner Musikers Long Tall Jefferson geht andere Wege. Mit «Cloud Folk» bewegt er sich weg von der ihm zugeschriebenen Authentizität und erschafft ein neues Genre, ohne sich selbst zu verlieren.

Foto: Ella Mettler

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Wie will man sich als Künstler weiterentwickeln? Hat man mehrere Alben erfolgreich veröffentlicht, unzählige Konzerte auf ausgedehnten Touren gespielt, gilt es Antworten zu finden. Der Luzerner Musiker Long Tall Jefferson alias Simon Borer stand genau an diesem Punkt. Nach seinen Alben «I Want My Honey Back» und «Lucky Guy» stellte er sich die Frage, was als Nächstes kommen soll. «Ich wollte nicht noch mal dasselbe machen», sagt Borer. Mit seinen ersten beiden Werken sei er vor allem als authentischer Singer-Songwriter wahrgenommen worden, als nahbarer Folk-Musiker. Auch wenn daran eigentlich nichts Schlechtes sei, entschloss sich Borer, mit dieser ihm zugeschriebenen Authentizität zu spielen und dieses Prädikat ein wenig herauszufordern: «Ich wollte in einen anderen Sandkasten springen.»

Das dritte Studioalbum trägt den Namen «Cloud Folk», was gleichzeitig auch ein neues Genre umschreiben soll, das Borer selbst entwickelt hat. «Ich wollte nichts Nostalgisches, sondern etwas, das ins 21. Jahrhundert gehört.» So finden sich auf dem Album Elemente aus Cloud Rap, Trap, Synthie-Spielereien, Autotune und mehr Elektronischem als Akustischem. Was Cloud Folk genau ist, kann Borer auch nicht sagen. Es bezeichne eher eine Idee, eine Behauptung und einen Fixpunkt, nach dem er sich gerichtet habe. «Ich habe mit den verschiedenen Elementen gespielt, bis ich etwas gefunden habe, das mir das Gefühl gab: Ja, das ist Cloud Folk!»

«Ich möchte überhaupt nicht auf die Tränendrüse drücken.»

Angefangen hat es im Frühling 2019, als sich Borer in einem zeitlichen und auch existenziellen Loch wiederfand. Mit der ersten Fassung des Albums war er allerdings noch nicht zufrieden, etwas fehlte. Darum entstand ein grosser Teil von «Cloud Folk» während des Lockdowns.

Obwohl Long Tall Jefferson viel mit Unterwegssein und Reisen in Verbindung gebracht wird, war diese isolierte Arbeit am Album für den sich selber als eher scheu und zurückhaltend beschreibenden Musiker sehr erfüllend. Im Gespräch merkt man ihm die Freude an, die ihm diese neue Richtung gegeben hat.

Noch existiert das Album nur in digitaler Form, aber das soll nicht so bleiben. Über ein Crowdfunding wurden fast 13 000 Franken für CDs und Vinyl gesammelt. Ein wenig Nostalgie gehört für Borer vielleicht also doch auch dazu. Es sei ihm wichtig, das Album physisch rausbringen zu können. In diesen unsicheren Zeiten sei diese Finanzierung auch eine pragmatische Entscheidung gewesen, meint Borer und betont: «Ich möchte damit aber überhaupt nicht auf die Tränendrüse drücken. Es ist mehr auch eine Möglichkeit, die Platte vorzubestellen.» Erscheinen wird sie im November ganz sicher.

«Cloud Folk» ist kein haarsträubender, bahnbrechender Richtungs- wechsel. Das, was man als Long Tall Jefferson kennt, ist noch immer deut- lich zu hören. Die Sehnsucht dringt noch immer durch die Klänge hindurch, der Folk ist noch immer da. Aber halt – wie der Cupcake, der auf dem Cover verzehrt wird – mit einem Zuckerguss überzogen. Aufgefrischt, süsser, pop- piger, frecher. Cloud Folk halt.