«Literatur muss geil sein wie das Leben!»

Lesungen sind ja nun wirklich nicht so mein Ding, um einiges vorweg zu nehmen. Doch gestern begab ich mich mit etwa 27 anderen Leuten in die Zwischenbühne nach Horw (mit einem weichen B). Oliver Maria Schmitt las einem auserwählten Publikum sein neustes Werk vor, das er treffend «Der Beste Roman Aller Zeiten» nennt. Schmitt, einer der Titanic-Boygroup, ein gelernter Rhetoriker und schliesslich auch eine kleine Stil-Ikone.

(Von Nina Laky / Foto: Britta Frenz)

«Rumms! Ein dumpfer Schlag, ein Beben. Die Erde zitterte leise nach. Da lag er vor mir, in stabiler Rückenlage, schrie und ruderte mit Armen und Beinen in der Luft herum wie ein verunglücktes Insekt.» Genau so fängt der «Braz», Oliver Maria Schmitts sechstes Buch nach Vorgängern mit klangvollen Namen wie: «Anarchoschnitzel schrieen sie» oder »Gute Güte Göthe», an. Wo andere Literaten-Schwachköpfe jahrelang drumrumstudieren, machts sich Oliver Maria Schmitt sympathisch einfach und schreibt als ersten Satz, DER erste Satz, eine Interjektion. Fünf Buchstaben und ein Ausrufezeichen zu Anfang – das Buch muss Humor haben. Nicht nur der «Braz» wird uns an diesem Abend das eine oder andere Lächeln entlocken, sondern auch sein Schreiber. Der 43-jährige Schmitt – ehemaliger Titanic-Chefredaktor und Schriftsteller – kreuzte gegen 20.45 Uhr auf der Bühne auf und begab sich an sein Tischlein, auf dem sein Lämpchen und Blümchen (Margareten) standen. Dank seinem dunkelblau-rot-gestreiften Merc-Jacket und seinen schwarzen Dr.Martens, wusste man sofort; das ist wohl ein intellektueller Trinker. Aber Schmitt ist nicht nur das, er ist ein Sprecher wie es im Buche steht, ein hemmungsloser Realist, ein Mensch mit gesunder Arroganz und ein bekennender Antiheld. Die nächsten zwei Stunden hängt das Publikum an Schmitts Pointen, wie ein Betrunkener an einer Bar. Erster Teil. Das verunglückte Insekt, das am Anfang des Buches unserem Ich-Erzähler vor die Füsse knallt, ist der Bestseller-Autor Jo Hallenbach. Es ist Nachts, irgendwo in Frankfurt zwischen Bankenviertel und Rotlichtmilleu. Mick Rademann, die Hauptfigur im «Braz», nimmt sich nichtsahnend seinem neuen Freund an. Rademann indes schreibt keine Bücher, nein, er hat gerade sein 20-semestriges Studium abgeschlossen und ist nun sowas wie ein Life-Coach, also ein Psychiater für Arme. Oliver Maria Schmitt weiss mit diesem Buch auch zu belehren. So erfährt man näheres über die Lifetime-Lehre: 1.) das Leben ist wandelbar. 2.) das Leben ist Timing. Was man damit anfangen soll, weiss wohl weder Herr Schmitt noch sein Publikum, trifft aber damit vollkommen den Nerv der Zeit. Rademann und Hollenbach werden Freunde, so gute sogar, dass Mama Hollenbach ein Besuch abgestattet wird. Mama Hollenbach ist latent «untermedikamentös», die beiden Besucher bringen ihr darum zwei Säcke Medikamente mit. «Du solltest wirklich rauchen und Tabletten essen, mein Junge», so der Rat der sympathischen alten Dame im Buch. Oliver Maria Schmitt kann nach so viel Aufzählungen von verschiedenen Medikamenten nichts abstreiten. Pause. Zweiter Teil. Nachdem das unterhopfte Publikum tanken ging, begrüsste der Zwischenbühne-Ehrengast uns mit folgendem Satz: «Soooo, ich könnt schon wieder, sie auch?». Natürlich, die Pause war eine kleine Folter. «Wisst ihr, die Schweiz ist ein kleiner Balkan, bergig, man versteht euch schlecht und garantiert Kleinwagenfrei.» Eine gekonnte Überleitung zum zweiten Teil der Lesung, in der wir uns nach Albanien begeben werden. Hollenbach hat mit seiner Autofirma – die er von seinem Bestseller-Lohn einkaufte – ein paar Euro Schulden angehäuft. Die Hauptfigur Mick Redemann ist mittlerweile sein persönlicher Coach geworden. Die beiden werden vom Herrn Filip Cakuli nach Albanien gekidnappt. Dort soll Hollenbach an einem weiterem Bestseller-Roman schreiben, um so die Schulden bei den Albanern abzubezahlen. Hier setzt du, Oliver Maria – ich duze dich jetzt mal – lesetechnisch den bekannten Balkan-Slang ein. Leider tönte es bei dir, lieber Oliver Maria, eher wie Italienisch. Die beiden landen also irgendwo in Albanien in einem der zahlreichen Bunker. Mick meint: «Schön, aber ne totale Scheissgegend.», welche nicht schlecht auch mit Horw in Verbindung gebracht werden könnte. Aber weiter im Text; Riedmann verliebt sich in die schöne Tirana (getauft nach der Hauptstadt, dann Kurzaufenthalt in Deutschland um zu sozialisieren, darum heisst ihr Bruder auch Sarbrücken). Nebenbei müssen die Entführten auch noch für ein schlechtestes 90-Sekunden-Handy-Erpresser-Video hinhalten. Was aus den Verliebten wird, erfährt das Zwischenbühne-Publikum an diesem Abend nicht mehr. Hollenbach meinte zu dem Ganzen noch: «Du bist krank, du bist verliebt, das ist nicht gut!». Auch ob die beiden in ihrem Bunker je einen zweiten Hit-Roman geschrieben haben und ob sie Hollenbach in Deutschland wegen akuter Medikamentensucht verhaften werden, bleibt offen. Dazu muss man den «Braz» doch schon noch selber lesen. Ende Oliver Maria Schmitt kommt zurück auf die Bühne und verabschiedet sich so: «Ich danke Ihnen, dass ich da war!», dann steht er noch ne Weile rum und signiert ein paar Bücher. Herr Schmitt ist ein Künstler sondergleichen, ein geborener Sprecher und Literat, ein bitterböser Mensch, der indes doch was Gutes tut. Argumetierend, fuchtelnd, singend, flüsternd oder schreiend. Der albanische Akzent gehört aber bitte weggelassen. Unbedingt zuhören gehen und sich dann einige Begriffe des Meisters merken. Immer wieder einsetzbar:

  • Noch so'n Spruch, Kieferbruch!
  • Am Arsch die Räuber!
  • untermedikamentiert
  • Irgendwas muss man ja nehmen, glaub mir, ich weiss das, ich bin Arzt!
  • Ficksprudel (das Deutsche Pendant zum Schweizer Nuttendiesel)
  • Dampfmaschine (für einen alten Computer)
  • Siegerland (für die DDR)

Wer sich «Der Beste Roman Aller Zeiten» von Oliver Maria Schmitt zutut, erfährt noch viel mehr Lehrreiches. Was zum Beispiel ist ein «Bausatz»? Was ist die «Pik-Dame»? Wie viele Bunker gibt es tatsächlich in Albanien? Und das Beste wisst ihr ja noch gar nicht, nämlich wie Jo «Jogi» Hollenbach seinen Roman schrieb. Ich sag nur: 5 Zimmer, Schere und Klebstoff. [youtube]http://www.youtube.com/watch?v=sm6aCSdAATY[/youtube] Nächste Termine Oliver Maria Schmitts: DO 26. März, Rote Fabrik, Zürich Mit der Titanic-Boygroup unterwegs bei uns: MO 18. Januar 2010, Kaufleuten Zürich DI 19. Januar 2010, Mariaberg Rorschach