Liebe zum Ungehorsam

29.1.2021, überall: Patrick Müller und Remo Helfenstein haben eine Klang-Collage aus Sprachnachrichten kreiert. Während dem Hören soll man spazieren gehen. So entstehen individuelle Performances – und ganz viel Sehnsucht.

Wie präsentiert man Kunst in Zeiten von geschlossenen Bühnen und Versammlungsverboten? Dieser Frage gehen Patrick Müller und Remo Helfenstein im Rahmen ihres neuen Projekts «Quando sei solo ci sono milioni con te» nach. Unter dem Namen Monovale haben sie einen Audiowalk produziert, einen musikalischen Spaziergang, den man allein absolvieren kann.

Die beiden Luzerner haben sich von 17 Menschen aus ihrem Umfeld Sprachnachrichten schicken lassen. Bekommen haben sie gesungene Lieder oder Erläuterungen zu Musik, zum persönlichen Bezug dazu, teilweise auch nur Gedankenfetzen. Aus dem Material haben die beiden Künstler ein 30-minütiges Werk zusammengefügt, das sie auf Soundcloud geladen haben, damit es unterwegs gehört werden kann – und das soll es auch. 

Kunst im Regen

Man könne den Audiowalk irgendwann und überall machen, heisst es in den Anweisungen, dann wird präzisiert, die Strecke soll «in der Natur» angesiedelt sein. Am besten wähle man seine Route im Voraus. Bei der momentanen Witterung braucht man gute Kleider und Schuhwerk – wer Schnee, Wind und Regen ausharrt, hat bis am 26. März Zeit sich auf den Weg zu machen – dannach wird der Audiowalk wieder von Soundcloud gelöscht.

Quando sei solo ci sono millioni con te
Die Beteiligten zeigen sich als Emojis. (Bild: zVg)

Schnell findet man sich in der Performance zurecht. Eine Männerstimme säuselt einen Song, ohne Begleitung, unbearbeitet und alleingelassen. Der Sound ist von magerer Qualität, das Hörerlebnis ist eher komisch als ansprechend. Plötzlich merkt man: Viel mehr noch als bei Bühnenproduktionen ist man bei dieser Kulturveranstaltung selbst in der Verantwortung. Niemand nimmt einem das Kreieren von Bildern ab, keine Regie, keine Darsteller*innen – nur der Soundtrack wird geliefert, alles andere passiert im eigenen Kopf.

Nach rund 90 Sekunden beginnen die Effekte, die Musik und sprechende Stimmen vereinen sich mit den Synthesizern, und so steigt man hinein in das Sounderlebnis, versinkt in den Erzählungen, den Bildern.

Audiowalk Impression

Die ausgewählten Songs drehen sich um das Alleinsein, um menschliche Grenzen und die Empfindung des Tief-Berührt-Seins, so die Künstler im Veranstaltungstext. Und man hört diesen Stimmen zu, wie sie von berührenden Momenten erzählen, von der ausbleibenden Ekstase oder ganz einfach vom Vermissen eines Restaurantmitarbeiters des Lokals in der Nachbarschaft, den man vorher wöchentlich traf und seit dem Lockdown nicht mehr gesehen hat.

«Wenn du allein bist, sind Millionen bei dir», heisst der Titel der Performance übersetzt. Eine Anwesenheit, die immer spürbarer wird, je länger man geht – vor allem, wenn man allein durch die Natur stapft oder durch die Bäume des Waldes starrt. Und man merkt, wie man es vermisst, dieses Stimmengewirr aus fremden Menschen, die man nicht versteht, und um deren Anwesenheit man doch weiss.

Walk the City

Den Anordnungen blind zu folgen ist übrigens nicht nötig. Der Audiowalk funktioniert auch in der Stadt, dort entstehen jedoch ganz andere Bilder. Die Stimmen im Ohr werden plötzlich zu Gedanken der Leute, die man auf dem Spaziergang trifft. Durch die Abkapselung mit den Kopfhörern entsteht ein Witz, der weder planbar noch völlig zufällig ist – etwa, wenn man eine Polizistin beim Austeilen von Parkbussen beobachtet, während die Stimme im Ohr sagt: «Ich liebe einfach diese Unverschämtheit.» Die Zitate werden zu Sehnsüchten, zu Tagträumen. Die Realität wird Fiktion, fungiert als Film, zu dem der Audiowalk den Soundtrack liefert.

Audiowalk Impression2

So läuft man und träumt man, bis die Tonspur ausläuft. Und man sich wiederfindet in der Stille und den eigenen Gedanken, bis man schliesslich merkt, dass man sich bereits im Bahnhof befindet, dass hier Maskenpflicht wäre und dass die globale Pandemie noch immer herrscht. Zurückgeworfen in das triste, kalte, leere Jetzt.

Zum Projekt

Das Projekt «Quando sei solo ci sono milioni con te» entstand in Koproduktion mit dem Südpol Luzern und dem B-Sides Festival. Der Link zum Audiowalk auf Soundcloud befindet sich auch auf der Homepage des Südpols. Er ist bis am 26. März erhältlich und wird danach gelöscht. Für den Audiowalk benötigt man ein Smartphone mit mobilem Internet. Wer kein solches zur Verfügung hat, kann sich unter uneconomists@monavale.ch die Datei als mp3 bestellen. Die Künstler freuen sich über Feedback nach absolviertem Audiowalk auf die gleiche Mailadresse.

Quando sei solo ci sono milioni con te
FR 29. Januar bis FR 26. März
Online verfügbar: www.sudpol.ch