Die Liebe macht alles anders
Die Figur der Olivia Öl ist nicht wirklich eine Heldin. Viel mehr ist sie der Tragik und Dynamik des Stücks unterworfen. An der Generalprobe zum Stück sagt Antje Schupp deshalb: «Für die Spielenden war es nicht immer leicht, manche der Textpassagen auf der Bühne zu vertreten. Die Figur der Olivia Öl durchlebt teilweise nicht die Entwicklungen, die wir von ihr erwarten und ihr zumindest wünschen würden.»
Die Spielenden, das sind Tini Prüfert, Anja Signitzer und Helene Krüger. Sie erzählen die Geschichte, gemeinsam und im Spiel mit- und voneinander. Sie zeichnen diese Olivia Öl als erfolgreiche, preisgekrönte Autorin, die sich selbst als emanzipiert, progressiv und feministisch bezeichnet und klare Regeln aufstellt für ihre Beziehungen: keine Kinder, keine gemeinsame Wohnung und kein gemeinsames Bankkonto. Doch die aufkeimende Liebe zum gescheiterten Theaterregisseur Popeye ändert alles, sämtliche Regeln werden gebrochen. Olivia Öl unterdrückt ihre immer stärker werdenden Emotionen: Wut, Trauer oder Selbstzweifel äussert sie nicht, um den Haussegen gerade zu halten. Um sich zu beruhigen, sagt sie: «Geht es ihm gut, geht es uns gut. Und geht es uns gut, geht es mir gut.»
Keine «neutralen» Körper
Es geht um falschen Feminismus in liberal-urbanen Kreisen, um alte Muster, in denen sich unsere Beziehungen bewegen, und schlussendlich um ein Selbst, das glaubt, sich gefunden zu haben, nur um sich wieder in der Liebe zu verlieren. Denn auch in einer emanzipierten Welt ist eine Olivia Öl nicht gefeit vor den Bewertungen einer Gesellschaft, vor Haltungen, die ihre Mutter, Grossmutter oder Freundinnen ihr eintrichterten. Olivia ist vierzig, Single, lebt alleine. Und das Stück fragt: Darf man das überhaupt noch, in dem Alter?
Sivan Ben Yishais Text lässt auch uns – das Publikum – nicht einfach davonkommen: Mehrfach wird die Grenze zwischen Bühne und Bühnenraum aufgebrochen, werden Zuschauer:innen angesprochen oder gar beschuldigt. Die Blicke aus dem Publikum lassen einen Körper, insbesondere einen weiblichen Körper, «nie neutral» sein, wie die Schauspielerinnen den Zuschauenden vorwerfen. Selbst ein aufgeklärtes, intellektuelles Theaterpublikum bewertet und vergleicht die Frauenkörper auf der Bühne: Wer von ihnen ist schöner, wer älter, wer dünner?
Selbstzweifel als Mantra
Mit geschicktem Timing, Kleiderwahl und Bühnenbild unterstreicht Antje Schupp die Botschaft dieses Stücks: Die gezeigten Körper auf dieser Bühne existieren nie ohne Wertung. Die Regisseurin stellt die Schauspielerinnen bewusst den Blicken aus, lässt sie in Unterwäsche auftreten, plötzlich die Achsel- und Beinhaare zeigen. Dazu zeigt das Bühnenbild mit antiken Büsten unsere althergebrachten Vorstellungen davon, wie sich Frau und Mann zu präsentieren haben. Und man merkt: So antik sind diese Bilder nicht. So hält «LIEBE / eine argumentative Übung» dem Publikum seine eigenen, gesellschaftlich eingeübten Muster vor, so lange, bis sich Selbstkritik einstellen muss.
Die neue Intendanz wird mit der Stückwahl ihrem Leitspruch «Bin ins Innerste» ein erstes Mal gerecht. Schupps Inszenierung sucht nach dieser Innerlichkeit mit einem simplen, kurzweiligen Stück. Interessant werden indes die Reaktionen sein. Denn, so ist Antje Schupp überzeugt, das Stück habe auf die eine oder andere Art und Weise mit den meisten von uns zu tun. Dabei sei sie «zuversichtlich» in Bezug auf die Rückmeldungen. Dies ist jedoch nicht nur am Applaus zu messen – das Zentralschweizer Publikum muss auch offen sein für längst überfällige Selbstkritik.
«LIEBE / eine argumentative Übung»
FR 01.10., FR 08.10., FR 15.10. und SO 24.10.
im UG, Luzern