Leuchttürme, die den Weg weisen

Als neu gegründete Interessengemeinschaft wollen die Akteur:innen rund um das KKL zusammen mit Luzern Tourismus die Leuchtenstadt weltweit als Musikstadt bekannt machen. Doch ist man hier überhaupt bereit dafür? Der Knatsch rund um das neue Label lässt das Gegenteil vermuten.

Städte wie Salzburg haben Musik erfolgreich als Marke etabliert. Geht es nach der neu gegründeten «IG Musikstadt», soll nun auch Luzern als weltbekannte Musikstadt positioniert werden. Ein Blick auf die Website der Interessengemeinschaft zeigt jedoch, dass es sich in erster Linie um Akteur:innen aus dem Bereich der klassischen Musik handelt. Und: Sie alle sind im KKL zu Hause.

Kultur als Label

Neben Marcel Perren, Geschäftsleiter von Luzern Tourismus, zeichnen Philipp Keller (KKL Luzern), Michael Haefliger (Lucerne Festival) und Numa Bischof Ullmann (Luzerner Sinfonieorchester) für die Initiative verantwortlich. «Unserer Ansicht nach sticht die klassische Musik aus dem kulturellen Angebot der Region und Stadt Luzern heraus», sagt Marcel Perren. Bei dieser Argumentation stellt sich jedoch die Frage, weshalb etwa die Festival Strings Lucerne in der Interessengemeinschaft fehlen, wo doch genau diese eine grosse internationale Präsenz haben. 

Hans-Christoph Mauruschat, Orchesterdirektor der Festival Strings Lucerne, wusste bis zur öffentlichen Kommunikation nicht, dass das Projekt bereits im Juli starten sollte und das Kammerorchester nicht miteinbezogen werden würde, obwohl man sich zunächst, so die «IG Musikstadt», auf die Klassik-Aushängeschilder konzentrieren wolle. «Ein klärendes Gespräch mit den Tourismusvertretern hat inzwischen stattgefunden», sagt Mauruschat. Dennoch wisse er nach wie vor nur wenig Konkretes über das weitere Vorgehen der Initiant:innen. 

Die Leitung des Orchesters übernahm er im Jahr 2009, als die regionale und städtische Kulturstrategie des nächsten Jahrzehnts (Kulturagenda 2020) gerade neu festgelegt werden sollte. Schon damals habe er kritisiert, dass die Festival Strings Lucerne – eine mittelgrosse Institution mit internationaler Bekanntheit und vielen Tourneen auch nach Übersee – in Anbetracht der Aufteilung der Kulturförderung in «Leuchttürme», die über den «Zweckverband Grosse Kulturbetriebe» finanziert würden, und mittelgrosse Kulturinstitutionen mit regionaler Ausrichtung nirgendwo richtig berücksichtigt würde. 

Im Gegenteil, sie wurden vergessen: In der Kulturagenda seien sie ausgelassen, da sie für die öffentliche Hand aufgrund der Tatsache, dass sie nicht über den Zweckverband finanziert sind, nicht als «Leuchtturm» gegolten hätten. In der städtischen Kulturagenda wurde ebenfalls die Beziehung zwischen Kultur und Tourismus als strategischer Schwerpunkt festgelegt. Unter diesem Aspekt findet Mauruschat das Vorhaben der Initiant:innen durchaus sinnvoll. «Gerade weil es zwischen Kultur und Tourismus Überschneidungen gibt, ist es an der Zeit, dass auch aus der Wirtschaftsförderung Geld in die Kultur fliesst», fügt er an.

Dass es sich bei der «IG Musikstadt» um den Aufbau einer Marke handelt und nicht um ein kulturpolitisches Projekt, betonen die Vertreter:innen der Interessengemeinschaft. Dass so die Kultur, oder in diesem Fall die Musik, zum Label verkommt, sehen sie als unproblematisch. «Interessiertes Publikum, gut besuchte Veranstaltungen und volle Säle stärken das kulturelle Schaffen über die verschiedenen Sparten hinweg.» Davon profitiere auch die Kultur, die unter anderem über die Billettsteuer gefördert werde, die zehn Prozent der Eintrittseinnahmen beträgt.

 

Rückendeckung von Stadt und Kanton

Unterstützung findet die Initiative von Stefan Sägesser, Leiter Kulturförderung des Kantons, sowie von der Leiterin Kultur und Sport der Stadt, Letizia Ineichen. «Wir erachten die Initiative dann als interessant, wenn sie auf andere Institutionen und Sparten ausgeweitet wird», sagt Ineichen. So würde die «IG Musikstadt» ihren Teil zur städtischen Vielfalt beitragen. Die Rolle der Stadt innerhalb der Initiative bestehe darin, die Diskussionen mitzugestalten. Obwohl sich die Interessengemeinschaft für andere Institutionen öffnen wird, wie an der Pressekonferenz von Ende Juli verlautet wurde, stellt sich dennoch die Frage, warum etwa das Kunstmuseum Luzern – das sich ebenfalls im KKL befindet – oder das Luzerner Theater nicht von Anfang an berücksichtigt wurden. Das liege daran, so die Vertreter:innen der Initiative, dass die Gründung der Interessengemeinschaft eng mit der Historie rund um das heutige KKL verknüpft sei. Damit meinen sie die «legacy» der klassischen Musik, über die Luzern verfüge, mit den damaligen Internationalen Musikfestwochen und dem heutigen Lucerne Festival, der Gründung des Luzerner Sinfonieorchesters und den berühmten Komponisten, die den Ruhm der Musikstadt mitbegründet hätten. «Durch die Mitwirkung des KKL werden auch andere Veranstalter:innen indirekt abgebildet», so das Fazit der Initiant:innen. Gespräche mit dem Luzerner Theater würden demnächst geführt werden. Laut Ineichen bedauert die Stadt zwar, dass das Theater nicht mitgedacht wurde, setzt sich aber zugleich für ein generisches Verständnis der Initiative ein. «Für das Luzerner Theater mit seinen vielfältigen Produktionen kann der Fokus Musikstadt eine Chance sein.»

 

«National und international wird Luzern aufgrund von KKL, Lucerne Festival und Luzerner Sinfonieorchester als Musikstadt wahrgenommen», sagt Stefan Sägesser. Betrachte man die Eintrittszahlen, die diese Institutionen generieren, mache es wirtschaftlich Sinn, diese stärker zu promoten.

 

Bei den Theaterschaffenden kommen diese Erklärungen aber weniger gut an. Gabriela Christen, Stiftungsratspräsidentin des Luzerner Theaters, ist erstaunt, dass die Initiant:innen die Institution nicht als Teil der «IG Musikstadt» sehen. Dies, obwohl das Luzerner Sinfonieorchester das Hausorchester am Theater ist und die Spielzeit jeweils mit einer Co-produktion mit dem Lucerne Festival starte. «Luzern war schon immer stolz auf seine breit ausgerichtete Kultur und auf die wichtige Mischung zwischen Hochkultur, freier Szene und Volkskultur», sagt Christen. Philipp Zingg, Präsident des Theaterclubs Luzern, ergänzt: «Die Leute vom Luzerner Theater waren brüskiert über das unabgesprochene Vorgehen der Initiant:innen. Momentan läuft der Architekturwettbewerb für das ‹Neue Luzerner Theater›, von dem ausgerechnet das Luzerner Sinfonieorchester und das Lucerne Festival enorm profitieren werden. Deshalb ist es wichtig, alle Veranstalter:innen in das Label ‹Musikstadt› miteinzubeziehen. Aber wer das Luzerner Theater nicht einmal erwähnt, ist auf dem einen Auge blind und auf dem andern kurzsichtig.» 

Auch Veranstalter:innen ausserhalb der Musikszene kritisieren das Vorgehen der Initiant:innen. Andi Scheitlin, Präsident der Kunstgesellschaft, fragt sich: «Weshalb pusht man diesen Begriff?» In einer solchen Initiative müsse doch alles Platz haben. «Das Kunstmuseum spielt mittlerweile in einer ähnlichen Liga wie das Lucerne Festival und das Luzerner Sinfonieorchester», sagt er. Ein Beispiel dafür sind die Ausstellungen von William Turner und David Hockney. «Diese strahlen international aus und davon profitiert die Stadt.» Auch er hätte sich gewünscht, in eine solche Initiative miteinbezogen zu werden.

 

«Die Initiative ist ein verschenktes Potenzial, die Vielfalt der Stadt zu präsentieren», so Fanni Fetzer.

 

Die Initiative wurde auch mit dem Kanton abgesprochen. Dass nun drei starke Akteur:innen im Bereich der klassischen Musik einen ersten Schritt wagen, erachtet Stefan Sägesser als unterstützungswürdig. «National und international wird Luzern aufgrund von KKL, Lucerne Festival und Luzerner Sinfonieorchester als Musikstadt wahrgenommen», sagt er. Betrachte man die Eintrittszahlen, die diese Institutionen generieren, mache es wirtschaftlich Sinn, diese stärker zu promoten. «Natürlich könnte man das Argument bringen, dass das Verkehrshaus jährlich mehr als eine halbe Million Eintritte generiert», fährt er fort. Doch für eine Neupositionierung sei Musik eine starke und bereits bekannte Marke. 

Aus touristischer Sicht seien alle Kulturveranstaltungen sehr willkommen, sagt Marcel Perren von Luzern Tourismus. «Wir stellen allen Veranstalter:innen unseren digitalen Marktplatz für den Ticketverkauf zur Verfügung.» Ausserdem sei es schade, dass das Projekt eine so breite Kritik hervorgerufen habe, denn es habe grosses Potenzial. «Wir freuen uns auf weitere Institutionen, die ebenfalls bereit sind, mitzuhelfen und einen Beitrag zu leisten», so die Vertreter:innen der Interessengemeinschaft. Bereits im Herbst solle ein Austausch mit weiteren Institutionen aus dem Bereich der klassischen Musik stattfinden. Ab 2023 sei zudem eine kantonale und regionale Ausweitung im Bereich Musik geplant. Dies bedeutet für Veranstalter:innen ausserhalb der Musik, dass sie hinten anstehen müssen.

 

Ausgrenzung von Institutionen

«Die Initiative ist ein verschenktes Potenzial, die Vielfalt der Stadt zu präsentieren», sagt Fanni Fetzer, Direktorin des Kunstmuseums Luzern. Beispielsweise werde die «IG Musikstadt» einer wichtigen Institution wie dem Verkehrshaus nicht gerecht. Es gehe also nicht nur um das Ausgrenzen kleinerer Off-spaces, sondern auch um Institutionen, die «schweizweit durch ihre Einzigartigkeit bestechen», so Fetzer. Sie finde zudem, dass die Stadt mehr zu bieten habe als klassische Musik, Berge und den See.

«Wird die Musikstadt grösser gedacht, ist auch das Kunstmuseum automatisch ein Bestandteil davon», entgegnet Stefan Sägesser auf diese Kritik. «Die Weiterentwicklung der Plattform ist in Planung. Sie wurde so angedacht, dass sie mit vier Partner:innen startet und laufend neue dazukommen.» Das Ziel sei es nun, Synergien zwischen den verschiedenen Akteur:innen zu nutzen, inhaltlich wie auch räumlich. Das KKL sei das beste Beispiel. «Gerade Besucher:innen des Lucerne Festivals bleiben eine Woche und besuchen tagsüber Museen oder machen einen Ausflug in die Natur.» Somit sei diese Promotion durchaus sinnvoll, sagt Sägesser. Diese Zahlen liessen sich zwar nicht direkt belegen, aber: «Während des Lucerne Festival steigen die Eintritte im Kunstmuseum wie auch in der Sammlung Rosengart deutlich, auch ausserhalb von Ausstellungen wie Turner oder Hockney.»

 

«Eine Musikstadt, die sich auf einzelne Genres beschränkt, ist schlicht und einfach keine Musikstadt», sagt Marco Liembd.

 

Klassische Musik als Alleinstellungsmerkmal der Stadt: Dies stösst auch Akteur:innen vor den Kopf, die mit ihrem Angebot einen grossen Teil des Luzerner Freizeit- und Kulturlebens ausmachen. So auch Marco Liembd, Geschäftsführer der Schüür. «Eine Musikstadt, die sich auf einzelne Genres beschränkt, ist schlicht und einfach keine Musikstadt», sagt er. Die Interpretation von Musik, wie sie die Interessengemeinschaft präsentiere, vergesse, dass auch ein Sedel oder ein Radio 3FACH Luzern zu einer Musikstadt mache, vor allem für das jüngere Publikum. An rund 260 Tagen im Jahr veranstaltet die Schüür Konzerte und generiert etwa 100 000 Eintritte pro Jahr. Deshalb würde es Liembd auch begrüssen, als Vertreter der populären Musik ein solches Label von Anfang an mitzugestalten. Der Kanton gehe fälschlicherweise davon aus, dass nur die «Leuchttürme» einen Beitrag zur kulturellen Vielfalt der Stadt beitrügen. «Der Kulturbegriff des Kantons ist elitär geprägt», fügt er an. 

Wann also das Label «Musikstadt» auf andere Institutionen und Sparten ausgeweitet wird, bleibt noch abzuwarten. Momentan deutet die Stimmung eher auf Konkurrenz als auf Kooperation hin. Dies hat aber in erster Linie mit der verpatzten Kommunikation der Interessengemeinschaft zu tun. Alle Akteur:innen hätten unbedingt vorab und mit genügend Vorlauf orientiert werden müssen. Keine Institution erfährt so Entwicklungen, die sie direkt betreffen, gerne erst aus der Presse. Hier liegt nämlich der primäre Grund für die harschen Reaktionen. Das können alle Beteiligten besser – wenn sie wollen.

 


041 – Das Kulturmagazin im Oktober 10/2022

Text: Samina Stämpfli
Bild: Jadwiga Kowalska

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