Le roi est mort, vive le roi! – Oder: können Zombies sterben?

Die Nites der Zwischenbühne sind legendär – und auch immer wieder ein höchst liebevoll zusammengestelltes Päckli aus Musik, Talk, Show und Kulisse. Nachdem die letzten Ausgaben Tom Waits (2009) und Elvis Presley (2010) gewidmet waren, kam heuer Michael Jackson an die Reihe. Bands wie Laharson, die Monotales, Henrik Belden und Flink gaben sich die Ehre, nebst dem Imitator Oliver Flury, zwei Talkgästen und dem Splätterlitheater. Highlight waren klar die Filme von Phil «Philm» Küng.

Um einen Albumtitel von HIM zu bemühen: Er existierte in den Extremen zwischen «Deep Shadows and Brilliant Highlights». Zwischen King of Pop und Wacko-Jacko. Bevor er starb, waren die wenigen Kontakte, die ich zu seiner Musik und Person hatte, eine Kuschelrock-CD, die ich mir mit zehn Jahren kaufte («Earth Song»), Medienberichte und South Park («The Jeffersons») gewesen. Nach seinem Ableben durfte man seine Musik zwar durchaus wieder hören. Zugang jedoch fand ich auch dann nicht. Es hagelte betroffene Nachrufe und der verdammte Sünder fuhr auf einmal wieder als Heiliger in den Pop-Olymp hoch. Am besten fing diese Heuchelei der kanadische, gesellschaftskritische Komiker Jon Lajoie a.k.a. MC Vagina mit «Michael Jackson is Dead» ein. In South Park wurde Jacko posthum auch noch mal geehrt. Zur Nite: Es hatten sich erstaunlich wenige Leute in der Zwischenbühne eingefunden, um Jackos künstlerisches Wirken zu zelebrieren. Ob alle bei Ado und Field Studies oder den Bishops oder nicht interessiert waren, wird sich heute Abend herausstellen. Beginnen tat es mit nem zusammengeschnittenen Jacko-Film. Unterlegt mit «Oh Fortuna» aus Carmina Burana. Beim Anblick dieser Massen, die Jacko fanatisch verehrten, intensivierte die Musik die Bilder und es wurde schlagartig klar, weshalb Pasolini Orffs Vertonung der Vagantendichtung als faschistisch bezeichnete. Item. Als erste Band spielten die Exil-Urner von Laharson mit DRS3-Zezzi. Versiert durchaus, leider aber sehr steril. Vor allem gegenüber den darauf auftretenden Monotales, die den Songs das Jacko-Gewand vom Leib rissen und sie in ihren Americana geprägten Mantel einwickelten. Wow! Well done, Boys! Bass spielte hier für einmal nicht Andi Schnellmann, sondern der Dada-Ante-Portas-Gitarrero Luc «le Bo» Bachmann. Der Talk (Gespräch: Jonas Wydler) mit dem Schönheitschirurgen Dr. med. Bösch hätte, wenn überhaupt, durchaus kritischer daher kommen dürfen. Der Herr Doktor hatte leider nicht viel Interessantes zu sagen und war sehr affektiert angezogen. (Gut, daran soll's nicht liegen, aber es muss gesagt sein.) Überhaupt: Die Showteile mit dem 17-jährigen Jackson-Imitator Oliver Flury und seiner Crew wie auch der des DJ Mitch Cuts waren zwar sehr professionell und nice to see, aber verlängerten vor allem und waren auch nicht wirklich essentiell. Denn als Imitator war sowieso Phil Küng topp, der im Vorfeld zu zwei Jackson-Song Videos («Billy Jean» & «Bad» – Irrtum vorbehalten!) gedreht hatte und dabei die Rollen allesamt selber tanzte – in «Bad» bis fünf gleichzeitig. Wie erwähnt das Highlight des Abends, die Leute im Publikum waren baff. Beim Auftritt vom aus London eingeflogenen Jacko-Biografen Hanspeter Künzler (Die Stimme aus London, eine sehr eindrückliche Figur mit langem Bart) bemerkte jemand aus der Zuhörerschar: «Das ist ein Beispiel, weshalb Autoren nicht aus ihren eigenen Büchern vorlesen sollten.» (Der Mann mit dem schwarzen Hut bemerkte beim Katerfrühstück am Nachmittag im Meridiani, er habe beobachtet, dass Künzler im «Drei Könige» abgestiegen sei.) Das anschliessende Gespräch mit dem Autoren, wiederum geführt von Jonas Wydler, war jedoch sehr spannend und aufschlussreich. Künzler wurde vom Verlag aufgrund eines Blogeintrags für die Bio angefragt. In diesem Eintrag enervierte er sich über die Behandlung der Journalisten und Fotografen an der Pressekonferenz, wo Jacko die Londoner-Konzerte ankündigte. Zum Schreiben hatte er bloss zweieinhalb Monate Zeit und von Jackos Tod erfuhr er auf einem T-Shirt in Zürich. Vor Kurzem erschien ein zweites Buch von Künzler, in dem er sich mit der Jacko-Fankultur und dessen Umgang mit ihnen, beschäftigt. Wie Künzler in der Zwischenbühne in einigen Anekdoten darlegte, muss Jacksons Beziehung zu seinen Fans  tatsächlich besonders, vor allem auch sehr herzlich und grosszügig, gewesen sein. Darauf hinterliess das Splätterlitheater mit häutbarer Maske einen eher nassen Eindruck, vor allem in den ersten Reihen. Letztes Jahr wurde in der Kommentarfunktion dieses Blogs über die Singer-Songwriter-Dichte gemäkelt. Diesmal war's nur einer, der ohne Band, einzig mit Gitarre aufspielte. Henrik Belden legte eine sehr sympathische und intime Performance, u.a. vom «Earth Song» hin. Die darauf folgenden Flink spielten leider bloss – technisch jedoch völlig einwandfreie – 08-15-Pop-Rock-Versionen der ausgewählten Songs. All in all just another brick in the wall? Irgendwie schon, aber ein mit sehr viel Leidenschaft aller Beteiligten rein gepflasterter. Es hätte von einigem gerne auch weniger, respektive mehr sein dürfen. War man aber da, bereute man es nicht. Und wann kommt jetzt endlich die Falco-Nite? Oder die Velvet-Underground-Nite, in der sich Endo Anaconda mit wechselnden Bands auf berndeutsch durch das «The Velvet Underground & Nico»-Album singt? Anyway: Könige können sterben – Zombies kommen immer wieder ...