Kunstschnee und Kunsthandwerk

Luzerner Theater, 27.02.2015: Das Luzerner Theater zeigt den Reisser «La Bohème» von Giacomo Puccini. Gedankenleer kann man sich immer wieder in den Wohlklang von Puccinis Musik fallen lassen. Das Luzerner Ensemble zeigt sich von seiner besten Seite. Die Inszenierung hat keinen Wert.

Das feste Sängerinnen- und Sängerensemble des Luzerner Theaters hat in den letzten Jahren ein sehr beachtliches Niveau erreicht und ist in der Lage, auch ohne Gäste ein breites und schwieriges Repertoire zu bewältigen. Dabei ragen einzelne seiner Mitglieder aus der insgesamt stabilen und schönen Ensembleleistrung heraus, wie etwa die Sopranistin Jutta Maria Böhnert, welche auch in dieser «Bohème» nach ihrem phänomenalen Auftritt als Alcina wiederum einen Opernabend ganz wesentlich mitprägt. Feste Ensembles schaffen für Akteure wie Publikum vielfältige Möglichkeiten der Identifikation und Solidarität. So hat man sich denn in Luzern im Verlauf der letzten paar Spielzeiten an die Stimmen, Gesichter, Figuren gewöhnt, die da in wechselnden Rollen auftreten, an die sängerischen Glanzlichter, auf die man sich freut, ebenso wie an die bei Einzelnen leider penetrant hervortretenden schauspielerischen Defizite, die sich ganz offenbar nicht beheben lassen. Eine rührende und berührende Mimi singt und spielt Frau Böhnert, einen schmelzenden und schmalzenden Rodolfo Herr Jung-Heyk Cho. Die übrigen Herren des Ensembles gefallen in den kleineren Rollen der malenden, dichtenden und philosophierenden Bohèmiens. Puccinis süffige, zu Herzen gehende Musik tönt farbig, transparent, flüssig und elastisch aus dem Orchestergraben, den man sich wieder einmal grösser und üppiger besetzt wünschte. Dirigent Boris Schäfer hat ein tolles Gespür für Tempo und Tempoübergänge, und das Ensemble macht den beständigen Wechsel zwischen schnellem, beiläufigem Parlando und ausschwingendem Pathos freudig mit. Da wird es denn nicht nur bei den bekannten Ohrwürmern des Stückes einfach wunderschön. Wenn noch die paar Wackler in den Chorszenen im Verlaufe der Aufführungsserie ausgebügelt werden, kann diese Produktion musikalisch zum Gelungeneren gezählt werden.

La Bohème

Händeringen Aus den Weihnachtspostkartenbildchen der Inszenierung allerdings lassen sich wohl Sinn, Betroffenheit, feu sacré und Nachdenken eher nicht herausschlagen. Achim Thorwald und sein mit ihm angereister Bühnenbildner stellen genau den schmucken und doofen Paris-Kitsch auf die Bühne, den man schon tausendmal gesehen hat. Die ganze Inszenierung ist denn auch trotz des hochtragischen Endes insgesamt so harmlos munter, wie sich der Spiesser die Bohème nun mal vorstellt, die halt schon ein lockeres Völkchen ist. Da wird grimassiert und gefuchtelt, da werden Hände gerungen, bis es weh tut, da werden plakative Gesten zelebriert, die genau um die anderthalb Sekunden gegenüber dem Gesungenen nachhinken, welche im Bauerntheater Pflicht sind. Nichts stimmt, weder die Requisiten noch die Möbel (ein Bett für fünf Leute; ein Ofen, dessen Rohr sofort in der Wand verschwindet; eine Malerpalette, von der keine Farbe tropft), noch die Gänge (jemand, der am Ofen steht, wird aufgefordert, näher an den Ofen zu kommen) noch die Gesten (zuerst tut man so, als ob man friere, nach ein paar Sekunden hat man es vergessen). Regisseur Thorwald wird allernächstens in Turkmenistan inszenieren. Er dürfte dort viel Applaus einheimsen.

La Bohème

Sinnfrage Nach der furchtbaren «Lustigen Witwe» wurde jetzt in dieser sogenannten «Jubiläumsspielzeit» (175 Jahre? Oder waren es 715? Oder 157?) schon zum zweiten mal ein populäres Stück, das am gleichen Haus vor nicht allzu langer Zeit auf originelle Weise in Szene gesetzt worden war, von der Regie gedankenlos verschenkt. Das nennt man wohl Regression, wenn nicht Degeneration. Jedenfalls wirft es die Frage nach dem Sinn der Institution Stadttheater schmerzlich auf. Das tun auch die seit Jahren unerträglich publikumsfeindlichen Programmhefttexte des Dramaturgen Christian Kipper, die hiermit auch einmal erwähnt seien. Und wer wischt jetzt den ganzen schönen Kunstschnee weg?

La Bohème, noch bis FR 5. Juni, Luzerner Theater.