Komme, was wolle

Seit letztem Herbst geht’s für viele Anhänger:innen des FC Luzerns ums Ganze. Der Unternehmer Bernhard Alpstaeg besitzt die Mehrheit der Aktien und will den Verwaltungsrat entlassen. Mit der Aktion «Zäme meh als 52 %» setzen sich die Fans gegen Mehrheitsaktionär:innen und für mehr Mitentscheidungsrechte der Fans ein.

«Was, du bist Fussballfan?» Kaum eine Frage habe ich in meinem Leben häufiger beantwortet. Zugegeben, wer mich ausserhalb eines Fussballstadions kennenlernt, kommt wohl erst einmal nicht drauf, dass mein Herz dem Fussball gehört. Eine junge Sozialarbeiterin, politisch interessiert, eine Frau – wer würde da erwarten, dass ich jedes Wochenende quer durch die Schweiz fahre, um den FC Luzern anzufeuern?

Meine Geschichte mit dem Fussball beginnt wie so viele Fussballgeschichten. Mein Vater ist Fussballfan und hat meine Schwestern und mich schon als Kinder mit ins Stadion genommen. Mein erstes Spiel erlebte ich auswärts in Lugano noch im Kinderwagen, zum Geburtstag wünschte ich mir jeweils Saisonkarte und Trikot. Ich kannte die alte Allmend bald in- und auswendig, die Menschen, die da waren. Ich kannte die Gepflogenheiten, die derbe Sprache und das Wertesystem der Kurve. Und doch ist meine Geschichte eine besondere – denn die deutliche Mehrheit der Fussballfans in Luzern sind, wie praktisch überall auf der Welt, Männer.

Werte wandeln sich

Es ist kein Geheimnis, dass eine Fankurve ein männlich dominierter Ort ist. Ein Ort, an dem es starre und nur schwer zu durchbrechende Hierarchien gibt, wo körperliche Gewalt stattfindet, wo Rassismus, Sexismus und Queerfeindlichkeit noch immer ihren Platz haben. Eine grosse Gruppe von Menschen, die geltende Regeln übertritt und selbst definiert, wo ihre Grenzen liegen. Eine Gruppe von Menschen auch, die gegen aussen geschlossen agiert und ihre Probleme selbst regelt. Wie ist das mit einem modernen Menschenbild vereinbar?

In einem Fussballstadion treffen sich mehrere tausend Fans mit den unterschiedlichsten Hintergründen und Meinungen. Gemeinsam legen sie ihren Fokus für neunzig Minuten auf das Spiel und alles, was dazugehört. Es ist unmöglich, all ihre Ideen und politischen Ansichten zu vereinen; die Herausforderung von Fankurven ist es deshalb immer auch, mehrheitsfähige Positionen zu definieren. Dabei stehen weniger aktuelle Diskurse in Gesellschaft und Medien im Zentrum, es geht vor allem darum, das eigene Team bestmöglich zu unterstützen. Das bedeutet für alle Beteiligten, Kompromisse zu akzeptieren. In mancherlei Hinsicht gibt es unterdessen klare Grenzen, zum Beispiel werden rassistische Beleidigungen heute nicht mehr toleriert, es drohen klare Konsequenzen. Auch in Bezug auf das Thema Sexismus sind deutliche Fortschritte ersichtlich. Wie eigentlich überall in der Gesellschaft zeigt sich auch hier, dass Repräsentation enorm wichtig ist: Seitdem etwa Menschen mit Migrationsgeschichte und Frauen vermehrt Teil der Fankurve sind und dort auch wichtige Rollen übernehmen, verändert sich der Diskurs. Die Werte wandeln sich.

 

In einem Fussballstadion treffen sich mehrere tausend Fans mit den unterschiedlichsten Hintergründen und Meinungen. Gemeinsam legen sie ihren Fokus für neunzig Minuten auf das Spiel und alles, was dazugehört.

 

Schon seit langer Zeit aber dreht sich der Wertediskurs der Fans auch um das Fussballbusiness selbst: Die zunehmende Kommerzialisierung des Sports wird grundsätzlich abgelehnt, teils aktiv bekämpft. Was alles falsch läuft, wurde zuletzt beispielhaft verkörpert von der WM in Katar, die von vielen Fans ignoriert, von manchen boykottiert wurde. Es geht im Fussball um viel Geld, das lockt Menschen an, die in diesem Spiel einzig ein Geschäft sehen. Davon sind die Fans des FC Luzerns derzeit direkt betroffen.

Ob der FC Luzern und seine Fankurve in der gewohnten Form noch bestehen, wenn dieses Heft erscheint, ist ungewiss. Es ist bereits im Druck, wenn am 21. Dezember die GV der FCL-Holding über die Bühne geht: Bernhard Alpstaeg, millionenschwerer Unternehmer und laut eigenen Aussagen völlig ahnungslos in Sachen Fussball, besitzt mit einem Anteil von 52 Prozent die Aktienmehrheit der AG. Und weil ihm die aktuelle operative Führung nicht genehm ist, möchte er sie entlassen.

Seit Alpstaegs Pläne im Herbst bekannt wurden, hat sich unter dem Slogan «Zäme meh als 52 %» Widerstand gegen sein Vorhaben gebildet. Es ist die grösste Fanbewegung, die der FC Luzern je gesehen hat: 19 000 Menschen unterschrieben eine Petition, in der nicht nur der Abgang von Alpstaeg gefordert wird, sondern auch eine grundlegende Änderung der Besitzverhältnisse: Der Verein soll nicht einigen wenigen, sondern möglichst vielen Aktionär:innen gehören. Als AGs müssen die Clubs in den höchsten Ligen seit Mitte der Nullerjahre gemäss Reglement organisiert sein. Unterschrieben haben die Petition auch bekannte Personen aus Kultur, Politik und Wirtschaft. Es gab kreative Aktionen im Stadion, aber auch mitten in der Stadt und in der ganzen Region. Und im Dezember veröffentlichten Fans im Rahmen eines Adventskalenders jeden Tag neue Informationen und Hintergründe zu den undurchsichtigen Machenschaften, die den FCL ins jüngste Chaos gebracht haben.

FCL-Fan, nicht mehr und nicht weniger

«Zäme meh als 52 %» zeigt einmal mehr die grossen Stärken der Fussballfans. Es besteht ein enormer Zusammenhalt, die Ressourcen aller werden bestmöglich eingesetzt. Die Mitglieder der organisierten Fanszene sind schnell und effizient, sie investieren viel Zeit und auch Geld in ihre Projekte. Das zeigt sich nicht zuletzt bei den Choreos in den Stadien, die in stundenlanger Handarbeit vorbereitet und dann zu Spielbeginn für nur wenige Augenblicke präsentiert werden. Es ist dieses starke Miteinander, an dem sich unzählige Menschen unabhängig von Geschlecht und Herkunft beteiligen; eine Gruppe von Menschen, die sich stetig weiterentwickelt, die sich selbst immer wieder kritisch reflektiert und Schritte nach vorne, manchmal nach hinten macht.

Dieses Miteinander steht im starken Kontrast zu den zähen Hierarchien und veralteten Wertekonstrukten, die gleichzeitig existieren. Vermutlich ist es der Grund, weshalb so viele Menschen Fans bleiben, auch wenn sie innerhalb der Kurve Rückschläge erleben. Und auch wenn sie im entscheidenden Moment machtlos zuschauen müssen, wie Investor:innen über ihren Verein verfügen. Das Gefühl, gemeinsam Grosses schaffen zu können, überwiegt.

Letztlich hat es aber auch ganz einfach etwas Unerklärbares, dieses Fan-Sein. Da ist die Möglichkeit zum Ausbruch und zum Erleben von Momenten, die es so nirgends sonst gibt. Da war zum Beispiel der Cupsieg, den Luzern im Mai 2021 endlich wieder feiern konnte. In diesem Moment war es egal, wer du bist, wo du herkommst, wen du liebst und wie viel Geld im Monat auf dein Konto fliesst. Du warst FCL-Fan, nicht mehr und nicht weniger.

 

Es ist die grösste Fanbewegung, die der FC Luzern je gesehen hat: 19 000 Menschen unterschrieben eine Petition, in der nicht nur der Abgang von Bernhard Alpstaeg gefordert wird, sondern auch eine grundlegende Änderung der Besitzverhältnisse.

 

Die wenigsten Fussballfans auf der Welt suchen sich dieses Fan-Sein selbst aus. Und diese Liebe zum Fussball und zu einem Verein: Das lässt sich rational vielleicht auch gar nicht erklären. Oft hat sie keinen klaren Anfang und meistens schon gar kein Ende. Auch dann nicht, wenn ein schwerreicher Investor deinen Verein zu stehlen versucht. Die Fans des FCL haben sich in den letzten Jahren einiges an Mitbestimmung und Teilhabe in diesem Verein erkämpft, und mit «Zäme meh als 52 %» ist eine Bewegung entstanden, die diesen Weg weitergehen will. Komme, was wolle.

 


041 – Das Kulturmagazin
Januar/Februar 01+02/2023

Text: Sheryl Lustenberger

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