Keine Cervelat ohne Handorgel

Leuchtende Kinderaugen erhellen den Saal Was dann folgt, ist phänomenal Da ist sogar die Lästerzunge, mein eigen Dazu geneigt sich zu verneigen

Der Wille zur Illusion. Nicht erst seit Oscar Wildes sauvagen Pamphleten für die Lüge und das Geheimnis, welches die Welt vor der Entzauberung bewahrt, lechzt die Menschenseele – egal welchen Alters – danach, verblüfft, verführt, verzaubert zu werden.

Ort: Kleintheater Luzern. Zeit: 15 Uhr. Wetter: Ohne Holz keine Bretter, ohne Regen kein Wetter. Stimmung: Verzaubert. Leute: 0-99. Flirtfaktor: Beschränkt durch das StGB. Zustand der Kritiker/innen: Subtil Angehaidert.

Wörter die für uns heute eine absolut neue Bedeutung entfaltet haben: Manipulation, Tuchfühlung, Chasiemir (Kasimir?), Pfupf die Maus, Der Herr der Ringe, Rosenkavalier, 6y.girl, indernet, Quetschkommode.

Dieses diffuse Verlangen drängt auch uns in die Logen des magischen (klein)Theaters, um der zur Tradition gewordenen Show des Clubs der Luzerner Zauberkünstler, dem Spektakel «Abrakadabra – Hokuspokus – Simsalabim», beizuwohnen. Da sechs Augen weniger entgehen als zweien, sind wir diesmal zu dritt unterwegs. Pablo, Andrea und ihr kleiner Bruder Fabian (12). Gemeinsam werden wir die Ticks, Tricks und Tracks durchschauen. Oder?

Der Zauberzirkel wartet mit grossen Namen auf. Darunter zum Beispiel Lionel Zauberlocke (siehe Bild oben), der Gewinner des Talentwettbewerbs in Biel, Stefan Diamond, der im zu katholischer Berühmtheit erlangten österreichischen St. Pölten den dritten Platz in der Sparte Manipulationen errungen hat, sowie die ultrastarken «Feldini and Family» denen es im oben genannten Ort gar zum Gesamtsieg gereicht hat. Keine leichte Aufgabe für uns also.

Die Lichter gehen aus, der Vorhang fällt. Lüpfige Musik. Priska und ihre Kids entführen uns ins Zauberland. Anschliessend begrüsst Moderator Werner Amport, im moderaten Zweiteiler, Gross und Klein, Dick und Dünn, Alt und Jung, bis er vom Hauswart Cordini – mit warholesker Perücke – unterbrochen wird, zwecks humorvoller Erörterung der Sicherheitsvorschriften. Zu chinesischer Meditationsmusik verneigt sich ein Botschafter aus dem roten Reich der Mitte, bevor er (olypmische?) Ringe zum tanzen bringt. Währschafter wird es dann mit dem Anwärter Lionel Zauberlocke, dem Adonis unter den Magiern (zit. Andrea «schmaaacht»), der uns sehr galant von seinem ersten Tag als Wir(r)tschaftsstudent berichtet und dazu unglaubliches vollbringt. Aus einem schäbigen weissen Tuch und einem Kompostästchen erzaubert er mit seinem Charme eine wunderhübsche Rose. Wie es wohl in seinem Garten ausschaut?

Während der locker-flockigen Moderation zwischen den Beiträgen werden auch Kinder auf die Bühne geholt, sozusagen als Hogwarts-Anwärter. Auf des Moderators interaktive Frage, welches gefährliche Tier sich in seinem Beutel befindet, antwortet Fabian: «Eine Handorgel!» Die erste Halbzeit endet mit einem witzigen Reimratenspiel. Keine Cervelat ohne Haut, keine Hochzeit ohne ... Keine Dusche ohne Brause, kein Theater ohne.....?

Der zweite Akt beginnt sehr romanTisch, parasphärisch. Zauberer Diamond geleitet eine mittelaltrige Dame aus dem Publikum auf die Bühne. Er bittet sie, ihm zu helfen einen Tisch zum schweben zu bringen, was in trauter Zweisamkeit zu ergreifender Musik («Time to say goodbye») auch fulminant gelingt. Was er wohl sonst noch alles zum schweben bringen kann?

Auf diese beinahe metaphysische Erfahrung hinab rapportiert ein Feuerwehrmann mit interessanter Zahnstellung ganz materialistisch die Schweizerischen Normen für Feuerwehrseile. Er bringt die Anschauungsexemplare gerade mit, die er je nach Lust und Laune kürzt und verlängert. So treibt er jeden Sicherheitsinspektor zur Weissglut.

Das verblüffende Finale: das schwarze Theater von Feldini und Family. Blitzlicht verboten! Streng verboten! Dies provoziert selbstverständlich ein gewisses Kribbeln in den Fingern von Personen, die von Berufs wegen eine Kamera auf sich tragen. So beginnt und endet die delikate Illusion im Schwarzlicht mit grell kreischenden Neonfarben und unsichtbaren Schauspielern, in einem tosenden Meer aus Applaus.

Zum Abschluss des Nachmittags erhalten alle Mitwirkenden ein Lebkuchenherz. Fabian verlässt den Saal verzaubert mit einem Sirup in der Hand und einem Ballonpudel fest ans Herz gedrückt. Rate mal, was er werden will, wenn er gross ist?