Kein See in Sicht / Bis das Eis nicht bricht (Volksmund)

«Die Eisvögel» von Tine Rahel Völcker im UG des Luzerner Theaters: Es inszenierte Annina Witschi. Es spielten Samia von Arx, Daniela Britt und Samuel Zumbühl.

Karl ist ein stilles Wasser. Mit Eva lebt er in einem Haus, das Haus liegt abgeschieden an einem See, der See ist verborgen unter einer Eisschicht, und die Eisschicht ist auch schon die zentrale Metapher dieses Stücks. Sie wissen schon: Dünne Decke! Aber gewiss auch: Erstarrte Verhältnisse!! Karl friert in diesen Verhältnissen, Eva nicht, das sieht man an den Kostümen. Und voilà, schon trifft sie ein, die das Eis – dieses wie jenes – auf seine Festigkeit prüfen wird: Josi, deutlich jünger als Karl und Eva. Schöner auch. Aber auch irgendwie verletzt (abgegangen von zwei Männern, die sie quälten, mehr ist nicht zu erfahren). Schon steht sie da, zwischen Karl und Eva, zunächst, um im Gästebett eine Mütze Schlaf zu bekommen, dann praktischerweise für die Dauer eines ganzen Theaterstücks. Irgendwann geht Eva weg, kommt Eva wieder, geht Josi weg, kommt Josi wieder. Karl bleibt ein stilles Wasser. Das Stück dümpelt.

Dreiecksgeschichten können so einfach kompliziert sein, aber hier ist alles so ausgedacht. Die Metaphern waren gross, bis sie die Autorin auf Poesiealbumformat zurechtrückte («Der Schnee fällt aufs Eis und deckt alles zu»). Die Sprache macht mal auf Psychodrama, mal auf ironisch gebrochenes Post-Psychodrama («Schwupp ist sie weg»), und macht die Geschichte beidesmal wichtiger, als sie ist. Viele Hände werden durch viele Haare gestrichen, viele bedeutungsschwere Blicke, viele gewichtige Sätze werden gewechselt («Ich komme immer wieder an den Punkt, wo ich bereit bin, Grenzen zu akzeptieren, aber das hält nie lange»).  Das ist oft schön angelegt, nur läuft es auf nichts hinaus. Was bleibt, ist das Ungefähre, oder, um bei der Metapher der «Landschaft als Seelenspiegel» zu bleiben, das Nebulöse. Denn: «Wichtiger als die Antworten sind die vielen Fragen.» (Klammer 1: Das könnte aus dem Stück sein, ist aber aus dem Programmheft). (Klammer 2: Stimmt das überhaupt, oder ist das nur ein weiteres Klischee?) Und so betrachtet man während 90 Minuten die Fingerübung einer Autorin, die vieles kann. Zum Beispiel kann sie virtuos mit Erzählperspektiven umgehen, sie kann dialogische und monologische Passagen ineinander montieren, sie kann die Figuren sich selbst beobachten lassen.  Aber die Sprache und die Personen zum Leben bringen, das kann sie nicht (und das blasse Schauspiel hilft ihr bei dieser Schweizer Erstaufführung auch nicht gerade). Die Figuren haben keine Tiefe, da kann sie die Autorin noch so andeutungsvoll mit suizidalem Schwurbel beraunen. Das Bühnenbild von Sabine Pfisterer mit den vielen Glühbirnen ist schön. Der Soundtrack von Jacob Suske ist etwas, ähem, eisig zerknirscht. Der Schluss ist offen (darauf läuft es also hinaus). Fast wie die gefrorene Fläche des Sees. Bald werden die Spuren verweht sein, die dieses Stück darauf hinterlassen hat. PS: «Als Wasser bin ich laut» (Gert Jonke, RIP).

Weitere Aufführungen am 12., 14., 26., 28.2., 4., 5., 6.3., 20 Uhr, Luzerner Theater / UG, www.luzernertheater.ch