Katzensilberne Operette

Das Luzerner Theater hat sich für seine Jahreswechsel-Operette für die kaum vernachlässigte «Lustige Witwe» von Franz Lehár entschieden, das Paradestück der Epoche der sogenannten «Silbernen Operette». Man war der Meinung, dass sich das Stück auch ohne grosse Inszenierungsarbeit stemmen lässt.

Alle Darsteller tragen Operettenuniformen, Operettenfräcke oder Operettenballkleider, machen Operettengrimmassen, wedeln mit Operettenfächern und bewegen sich ganz an der Rampe vorne und zum Publikum gewendet genauso wie in einer provinziellen Operetteninszenierung. Das macht aber gar nichts, denn mit den Kollegen der Tänzerinnen aus der Berufsschule der «Musical Factory Luzern» hat man sich eine starke Claque ins Premierenpublikum organisiert, die dankbar noch den abgestandensten Witz bekichert und die plumpsten Publikumsanbiederungen beklatscht. Darüber hinaus sind Fernsehballettchoreografien zu sehen, sind die ollen holprigen Texte in einem Deutsch zu hören, das kein Mensch mehr spricht, und das auch niemals irgendeinen künstlerischen Wert besass. «So viele Arme [Körperteile!], nur weil ich reich bin!» ist noch einer der besten Sprüche. Das ansonsten schwer ergründbare Gefühl für Timing der Regie sieht dann aber anschliessend auch eine Pause vor, damit jeder den Witz nachwirken lassen kann. Es stehen Darsteller herum, die sichtbar schmerzhaft von der Regie alleingelassen wurden und in der Not nur mehr darauf verfallen können, sich neben ihre flachen, albernen Figuren zu stellen und diese damit zu denunzieren. Bei Massenszenen wird gar nicht erst der Versuch unternommen, sie regiemässig zu bewältigen. Ueberhaupt ist da keine Geste, die man nicht schon tausendmal gesehen hätte. Von zwei Knallchargen wird behauptet, dass sie der running gag und das komisch verkrachte Clownspaar seien. Sie sind himmelweit von jeder Witzigkeit entfernt. Von Deutung insgesamt keine Spur. Noch nicht einmal eine kohärente und glaubwürdige Story wird erzählt, geschweige denn dass die Charaktere ausgeleuchtet würden. Keiner und keine hat eine Geschichte, wo doch der Witz und allenfalls Zauber des Werkes gerade darin bestünde, dass die Hauptpersonen eben eine gemeinsame unbewältigte Vergangenheit mit sich tragen, eine Verletzlichkeit, die das dümmliche Geschehen verständlich und erträglich machen würde, und die hie und da aus der Musik spricht. Von Subtilität, von Verletzlichkeit ist aber diesmal keine Spur. Nichts hat einen doppelten Boden. Eigentlich gibt es gar keinen Boden, und das ganze kalauernde, grimassierende, chargierende, zähe Gewusel segelt einfach in die Bodenlosigkeit maximalster Gedankenferne ab. Nie kommt Atmosphäre auf, nicht einmal bei den wunderbar-kitschigsten Schnulzen. Irgendwann, wenn nach vielen Walzertakten endlich einmal ein grober Chor in geradem Takt unmissverständlich herausgehämmert wird, wird dann mitgeklatscht als wär's das Musikentenstadel. Das geschieht nicht spontan, beileibe! Das ist auf tiefstem Niveau raninszeniert, indem einfach die Chose ein zweites mal gespielt wird, und die Mimen dazu mit plakativem Klatschen das Publikum animieren. Und weil er so gut geklappt hat, wird der Trick am Ende gleich wiederholt, in den Schlussapplaus des Publikums hinein. Sicher, ein sentimentaler Ohrwurm jagt den anderen und des öfteren auch denselben. Schmalz, Schmelz und Erotik der Musik dringen aber nicht aus dem Orchestergraben. In der einzigen neu dazuerfundenen Szene des Abends erzählt der Dirigent einen Witz, ob dem er sich kringelt, der aber bei den zuhörenden «Grisetten» gar nicht ankommt. Wir haben verstanden, was uns hier gesagt werden soll. Und wir haben die Szene als den heissen Kern des ganzen Abends verstanden. Wieso Operettenpublikum aber immer für blöd verkauft werden muss, bleibt unverständlich.  

Franz Lehár: Die lustige Witwe, Luzerner Theater, Vorstellungen bis 05.04.2015 (Silvestervorstellung am 31.12.2014).