Im Kreise des Quadrats

Weinmarkt Luzern, 18.08.2017: Compagnie Trottvoir – ein Konglomerat von Kleinzirkus, Musiktheater und Kunstperformance. Seit 2012 belebt die mit Luzern verbundene Truppe Strassen und Plätze der Schweiz. «Ihr werdet schon Sehen» heisst ihre Produktion heuer – und sei hier gewürdigt.

Man kann es nicht nicht sehen, dass man da vor einer Wand sitzt, die unmissverständlich dem Stile einer modernen Grenzmauer folgt. Die Erwartungshaltung ist klar: Da werden Menschen auf diese Mauer treffen. Was aber werden sie damit tun? Ohne es sagen zu müssen; die Macher*innen wollen den aktuell-politischen Subtext ganz bestimmt. Das ist nicht bloss ein Turngerät, nicht bloss eine Blickschranke für optische Spielereien. Hier steht Migrationskontrolle, Landesschutz, Apartheid.

Das wird umso deutlicher beim ersten Spiel. Wir und die Anderen. Gewinner und Verlierer. Seite gegen Seite. Der Inhalt des Spiels indes ist harmlos: «Auf unserer Seite hat es ein Geburtstagskind. Auf unserer Seite hat es jemanden mit einem Regenschirm.» Das zieht sich durch das ganze Stück: Das kindlich Verspielte, das Lustige und Niedliche, es tänzelt stetig auf den erzählträchtigen Andeutungen humaner Krisen. Das erquickt das Kleinkind ebenso wie es dem intellektuellen Gast ein verstehendes Schmunzeln ins Gesicht zieht.

Ein quadratischer Rasenteppich bildet die Grundlage. Auf seiner Mittellinie die vier Stahlsäulen der Mauer. Dazwischengesteckt sind Holzbretter dreier Grössen. Ein Bühnensetting für geometrische Feuchtträume. Die Compagnie tut beides: Sie schwingt den Zirkel, misst ab, setzt (Schwer-)Punkte, bildet Reihen, zieht hoch, legt aus und folgt damit einem ausgefeilten Konstruktionsplan, während sie die Mauer dekonstruiert – nicht einreisst! Andererseits durchtränkt sie diese Automatik immer wieder mit organischen Ausschweifungen. Das alles kompakt, verdichtet, flüssig auf diesen paar Quadrat-Metern, in sich ruhend, bis die Mauer als Steg vor einem liegt, den Weg auf die andere Seite bahnend.

Ob mit Live-Band oder Monoton-Beat per Knopfdruck, ob gesungen auf Deutsch, Spanisch oder Bestialisch, ob mit Loopgerät oder konkreter Poesie, das Ohr ist während der akrobatischen Gross-Choreographie vielfältig bedient. Wenn die Artisten vom schaukelnden grossen Brett runterpurzeln, als würden sie im Mittelmeer mit den Wellen kämpfen. Wenn sie ein Katz-und-Maus-Spiel mit den kleinen Brettern treiben, als würde eine Demonstrantin sich durch die Schilder des Staates manövrieren. Wenn der Bretterkäfig gleich einer Knospe auseinanderfällt.

Neben aller Brachialität kommt das Sanfte nicht zu kurz und es wird mit dem Publikum geteilt. Geschickt verleiten Redespiele zum Hinüberblicken auf die andere Tribüne, veranlassen sie das Mustern des Gegenübers, laden ein zur Empathie mit dem fremden Spektakelbesucher, der unbekannten Zuschauerin, und zu peinlichem Berührtsein. Und am Schluss wird sauber aufgeräumt. Mit einem liebevollen Chlapf.

Aufführungsplan: http://www.trottvoir.ch/