Ich sitze, also bin ich

Südpol, Kriens, 14.01.2020: Zum ersten Mal performt das Kollektiv Compagnie Trottvoir in einem Innenraum. Im Zentrum steht der Stuhl als Gegenstand und Symbol, der Stück für Stück kreativ umgedacht wird.

 

Bilder: Kezia Zurbrügg

Es ist ein ungewohnter Anblick, wenn man die grosse Halle des Südpols betritt. Keine Bühne, die Orientierung bietet. Bloss Stühle, im ganzen Raum verteilt, ohne erkennbare Logik, mal in diese, mal in jene Richtung blickend. Stimmen zählen im Sekundentakt einen Countdown hinunter. Die Spielenden sitzen bereits. Kurz überlegt man, wo man sich selbst hinsetzen will. Vielleicht auf den kleinen Holzstuhl oder den Schemel, vielleicht auf den grauen Plastikstuhl ganz am Rand, oder doch auf den aus Metall dort hinten? So oder so nimmt man irgendwo Platz.

«Und wenn du aufstehen würdest?» ist der Titel des neuen Stücks der Compagnie Trottvoir. Das Kollektiv hat sich in seiner Vergangenheit für seine Produktionen auf die Strasse und in den öffentlichen Raum begeben, um dort von Menschen umgeben zu performen. Mit «Und wenn du aufstehen würdest?» begibt sich das Ensemble nun zum ersten Mal in einen Innenraum, ohne aber auf die Darbietung inmitten von Menschen verzichten zu müssen.

Trottvoir

Im Zentrum des neuen Stücks steht der Stuhl. Als konkreter Gegenstand, aber auch als abstrakte Idee mit weitreichenden Implikationen. Der Stuhl als Symbol von Ordnung und Sicherheit auf der einen, als Fessel der Isolation und Passivität auf der anderen Seite. Die Compagnie Trottvoir konfrontiert das Publikum mit diesen gemischten Gefühlen zum Sitzen. Sie erweitern so die Erfahrung des Stücks um eine weitere Ebene: Plötzlich ist es eben nicht mehr nur die Performance, der man folgt, sondern auch der eigenen Introspektion. Man wird sich seines Gewichtes auf dem Stuhl richtig bewusst, man spürt die Starrheit und Verwurzelung des Sitzens.

Dieses Gefühl wird durch die Dynamik des Stücks verstärkt. Die sieben Darstellenden sind in ständiger Bewegung. Sie rennen den freien Stühlen nach, schlängeln sich durch die Zuschauenden, bauen Stuhlbrücken und verändern Stück für Stück (oder Stuhl um Stuhl?) die Raumsituation. Sie ordnen neu an und zwingen das Publikum in neue Ausgangslagen, richten neu aus, schaffen Fronten, Reihen, unterminieren Sicherheiten, setzen neue Stuhlnachbarn zusammen. Mit einem Spiel, das Klang, Körper, Stimme, Sprache, Stühle und Licht miteinbezieht, zeigt das Kollektiv wirkungsvoll, was möglich ist, wenn man einfach aufsteht.

Trottvoir

Die einzelnen Segmente sind zwar immer kreativ, aber oftmals auch leicht unfokussiert. Vielleicht gerade weil die grosse Halle des Mehrspartenhauses bespielt wird, bewegen sich einige Teile des Stücks an der Grenze zur Überlänge. So stellt sich der Eindruck ein, dass man hin und wieder warten muss, bis es weitergeht. Manchmal, weil es rein physisch, zum Beispiel wegen einer Neuanordnung der Stühle, nicht schneller geht, manchmal ohne nachvollziehbaren Grund. Aber trotzdem fällt das Interesse des Publikums nie ab, man bleibt von der Darbietung gefesselt und will doch unbedingt wissen, was als nächstes kommt.

Am Ende blickt man auf eine Ansammlung bizarr angeordneter Stühle und die – mitunter nervösen – Gesichter der Mitzuschauenden. Der Raum ist ein ganz anderer, als er zu Beginn war. Das Publikum scheint ein anderes zu sein, als es zu Beginn war. Und wenn sich das nächste Mal eine Sitzgelegenheit ergibt, setzt man sich vielleicht nicht gleich hin, sondern bleibt noch ein wenig stehen.

Und wenn du aufstehen würdest?
DO 16., FR 17., SA 18. Februar
Südpol, Kriens

Erarbeitung und Performance: Valeria Stocker, Clara Gil, Julian Vogel, Josef Stiller, Savino Caruso, Laurence Felber, Jannick Lüthi

Künstlerisches Coaching & Endregie: Caroline Schenk

Organisatorische Mitarbeit: Annette von Goumoëns

Sie haben die Veranstaltung verpasst? Abonnieren Sie 041 – Das Kulturmagazin und bleiben Sie auf dem Laufenden über das kulturelle Geschehen in der Zentralschweiz!