Humor als Lebenskunst

Mit viel Witz führt uns Yves Bossart in seinem neuen Buch «Trotzdem lachen» in das ambivalente Phänomen Humor ein. Eine Unterhaltung über den Existenzialismus im Lachen.

An der Haltestelle «Fernsehstudio» in Zürich Oerlikon steige ich aus dem 11er-Tram. Obwohl es schon Herbst ist, sehe ich keine Wolke am Himmel; der Asphalt blendet, es ist heiss. Der kanalisierte Leutschenbach plätschert brav am grossen Gebäude vorbei. Vor dem Empfang kommt mir Yves Bossart entgegen, der Moderator von «Sternstunde Philosophie» aus Luzern. «Sorry, ich komme gerade von einer Aufnahme», entschuldigt er sich und zeigt auf seine adrette Aufmachung. Wir setzen uns in ein nahegelegenes Bistro, bestellen Espressi und beginnen über sein neues Buch «Trotzdem lachen. Eine kurze Philosophie des Humors» zu reden. Es wird entsprechend viel gelacht, weshalb es sich erübrigt, überall in Klammern ein «lacht» zu setzen.

Philosoph:innen stellt man sich gemeinhin als ernste, streng logisch denkende Menschen vor. Ist ein Philosoph, der anderen den Humor erklärt, nicht selbst ein Witz?

Nächste Frage, bitte.

Okay, dann halt so: Ist ein Witz, den man erklärt, nicht schon hinüber?

Das glaube ich nicht. Wie in der Musik wird beim Humor das Verständnis umso reichhaltiger und genauer, je länger man über das Phänomen nachdenkt. Wir lachen gern und viel, aber die meisten denken nie darüber nach, warum man etwas lustig findet. Das war ein Anreiz, dieses Buch zu schreiben.

Bei welcher philosophischen Lektüre mussten Sie laut lachen?

Die Texte von Odo Marquard sind sehr lustig. Und sehr philosophisch.

Wie seine Antwort auf die Frage «Was ist Philosophie?» Inkompetenzkompensationskompetenz.

Genau! Der Philosoph als grosser Blender. Zu allem etwas sagen, aber keine Ahnung haben. Der ist gut. Aber sonst gibt es kaum Texte, bei denen ich schmunzeln oder lachen musste.

Dabei beginnt die Philosophiegeschichte mit einem Slapstick: Der Naturphilosoph Thales von Milet schaut gehend zum Himmel und fällt vor den Augen einer thrakischen Magd in den Brunnen, die ihn auslacht. Mit Rayk Sprecher stehen Sie regelmässig auf der Bühne des Kleintheaters Luzern mit «Standup Philosophy!»: eine Flucht nach vorne à la «Wenn schon gelacht wird, dann durch uns»?

Und auch über uns! Wir scheitern permanent. Wir sind noch immer Anfänger und befinden uns ständig ausserhalb unserer Komfortzone. Aber wir lernen. Und das ist etwas sehr Schönes. Wir erkennen auch, wie schwierig das Handwerk des Humors ist: Spannung aufbauen, Pointen richtig setzen, der Rhythmus, das Rollenspiel.

 

Wir lachen gern und viel, aber die meisten denken nie darüber nach, warum man etwas lustig findet.

 

Das Stereotyp der weltfremden Philosoph:innen blieb jedoch seit jeher hängen. Besteht in Karikaturen nicht auch die Gefahr, dass dadurch falsche Vorurteile zu festen Allgemeinplätzen zementiert werden?

Viele Witze funktionieren nur, indem man Klischees bedient oder mit ihnen bricht. Auf der einen Seite gibt es diese konservative Gefahr des Humors, auf der anderen Seite ist Humor auch subversiv und progressiv. Es ist daher sehr schwierig, über den Humor als solchen zu reden.

Sie sagen, Humor sei eine Geschmacksfrage, und darüber lässt sich ja bekanntlich streiten. Aber wie?

Wie bei jedem Gespräch ist die Voraussetzung, dass du zuhören kannst, die andere Person verstehen willst und offen bist für die Möglichkeit, dass sie recht haben könnte. Dann hört man sich die Gründe an: Warum findet man etwas lustig oder nicht? Und dann zeigt sich: In unserem Lachen spiegelt sich eine ganze Weltanschauung. Ein Gespräch über Humor sollte Anlass sein, über das Leben zu reden, über Ideale und Werte – darüber, wie man die Welt und den Menschen sieht.

Einerseits bestätigt Humor falsche Vorurteile und verletzt Menschen. Andererseits kritisiert er Macht und ermächtigt Menschen. Die einen fordern die Einschränkung der Redefreiheit nach moralischen Massstäben, die anderen absolute Redefreiheit, weil es diese grenzüberschreitenden Tabubrüche brauche oder weil Humor ein freies Spiel jenseits von Gut und Böse sei. Wo sehen Sie sich innerhalb dieser Debatte?

Ich versuche eine Mittelposition einzunehmen. Allerdings gibt es für mich klare Grenzen. Bei bestimmten Witzen bleibt mir das Lachen im Halse stecken. Weil sie nach unten treten, weil sie eindeutig rassistisch oder sexistisch sind. Wo aber die Grenze genau verläuft, ist eine komplexe Frage, die nur von Fall zu Fall beantwortet werden kann.

Es gibt also Grenzen des Humors, womit Sie, wie Sie schreiben, die «moralistische Position» vertreten. Wie kann man Grenzen ziehen, ohne das subversive Potenzial zu entschärfen?

Ein für alle Mal kann man sie nicht ziehen, sie verschieben sich. Viele sagen, man könne über gar nichts mehr Witze machen und lachen, und geisseln die politische Korrektheit und Empfindlichkeit. Ich würde weder sagen, Sensibilitäten seien überhaupt nichts wert, noch, dass jene, die sich verletzt fühlen, deswegen schon recht haben. Letztlich findet gerade ein gesellschaftlicher Prozess statt, der zwar viele Menschen aufregt und polarisiert, aber notwendig ist. Früher hatte man viele Lebensrealitäten gar nicht wirklich im Blick, so dass man einfach Witze darüber machen konnte.

Diese Stimmen melden sich nun.

Genau. Aber es gibt schon Leute, die über das Ziel hinausschiessen, die jede Erwähnung eines Vorurteils schon schlimm finden. Hier geht es für mich persönlich zu weit. Da geht es um Formen der Darstellung und nicht der Behauptung und Bejahung. Zu dieser Differenzierung sollten wir fähig sein. Und dann gibt es auch Kabarettist:innen mit einem Humor, der mir nicht passt. Und das ist völlig okay. Die können Botschaften transportieren, die nicht in meinem politischen Spektrum sind, das soll es doch auch geben dürfen. Diese Ambivalenz und Pluralität muss man aushalten können. Natürlich gibt es ethische und rechtliche Grenzen. Aber die sind nicht so eng, wie manche Leute denken.

 

Am Ende ist Humor die Kunst, das Scheitern zu lernen. Und das grosse Scheitern ist unsere Endlichkeit.

 

Ein Philosoph, der gerne politisch unkorrekte Witze erzählt, ist Slavoj Žižek, den Sie kürzlich bei sich in der «Sternstunde» hatten. Kritiker:innen sagen, er sei ein «intellektueller Clown». Žižek nutzt die politische Macht des Humors, will er doch nichts weniger als die Revolution und die Überwindung des Kapitalismus.

Worauf ich in meinem Buch nicht eingehe, ist die Instrumentalisierung des Lachens für Konsum und Ideologien, die Allgegenwart des Lächelns und Lachens in unserer Gesellschaft, etwa in der Werbung und in den Medien, dieser regelrechte «Terror des Positiven». Man könnte sich fragen: Wird in unserer Gesellschaft nicht zu viel gelacht?

Das bringt uns zu Adorno, der sagte: «Gelacht wird darüber, dass es nichts zu lachen gibt», und: «Fun ist ein Stahlbad.» In der Kulturindustrie verkomme alles zu Unterhaltung – selbst die Philosophie. Statt Information gebe es nur noch «Infotainment».

Das halte ich für elitär. Durch Humor schafft man als Lehrperson oder als Moderator in der Philosophievermittlung viel Nähe. So gelingt es, komplexe oder auch kritische Gedanken einem breiten Publikum zu vermitteln, selbst den Adorno. Klar, gibt es die Gefahr der Verflachung. Aber das andere gibt es ja immer auch noch.

«Humor ist, wenn man trotzdem lacht», lautet ein bekannter Spruch. Auch Sie haben das «Trotzdem» im Titel Ihres Buches. Welcher Humor ist in diesen düsteren Zeiten der passendste?

Letztlich wohl der Galgenhumor, wie er im Witz über den zum Tode Verurteilten zum Ausdruck kommt, der am Montagmorgen, als er zum Galgen geführt wird, sagt: «Die Woche fängt ja schon mal gut an.» Am Ende ist Humor die Kunst, das Scheitern zu lernen. Und das grosse Scheitern ist unsere Endlichkeit. Diese Themen schwingen in vielen Formen des Humors latent mit. Als Philosoph finde ich es schön, wie viel Existenzialismus im Lachen steckt. Der Trotz über die tragischen Seiten des Lebens. Das ist auch der Vorschlag der Philosophin Lydia Amir: Humor als Schlüssel zur Lebenskunst, mit dem aus tragischen Widersprüchen komische Inkongruenzen werden. Der Humor hilft uns, mit der Ambivalenz und dem Wirrwarr des Lebens zurande zu kommen.

 

Yves Bossart, Jahrgang 1983, hat Philosophie studiert und promovierte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2017 moderiert er die Sendung «Sternstunde Philosophie».

Yves Bossart: Trotzdem lachen. Eine kurze Philosophie des Humors
Blessing, 2022
128 Seiten, Fr. 28.90

Lesung
DO 10. November, 20 Uhr
Neubad Luzern


041 – Das Kulturmagazin
November 11/2022

Text: Michel Rebosura
Bild: Livio Baumgartner

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