Hotdogs und Sprungbrett in Winti

Halle 53, Winterthur, 12. Jungkunst-Festival, 25.-28.10.2018: Ein Windhund mit fescher Föhnfrisur hat es angekündigt, «das lange Wochenende mit Kunst und Musik»: Junge, vielversprechende Kunst zeigt und erprobt sich in wohligem Ambiente. Ein Testgelände, auf dem auch die Zentralschweiz vertreten ist.

Titelbild: Daniel Thalmann

Mit Blick auf die Gleise der SBB und dem Geruch von frisch gekochtem Kaffee in der Nase, spricht die junge Luzerner Künstlerin Johanna Gschwend über ihre Arbeit und ihre Teilnahme am Jungkunst-Festival. Sie steht als Künstlerin an der Schnittstelle zwischen Dokumentation, Film, Kunst und Inszenierung. Zwischen Kunst und nicht-Kunst. Für sie ist das Festival auch eine solche Schnittstelle. Und ein Ort, an dem sie ihre Arbeit «Para Paradies» so zeigen kann, wie sie es sich schon lange vorgestellt hat.

Johanna Gschwend
Johanna Gschwends Atelier. Foto: Gianna Rovere

Die zweikanalige Videoinstallation ist 2017 entstanden, als das Haus ihres Grossvaters als letztes seiner Art abgerissen wurde. Ein letzter alter Fremdkörper in einer neuen Umgebung voller neuen Überbauungen. Mit der Kamera hat die Künstlerin das Haus und dessen dekonstruktive Veränderung innerhalb von sieben Tagen umkreist und so das Verschwinden des letzten Überbleibsels des Dorfkerns dokumentiert. So zeigt sie nüchtern diese Tatsache auf, die gerade schweizweit im Trend zu liegen scheint. Und kommentiert mit inszenierten Handlungen, die sie in das dokumentarische Setting einarbeitet. Zwischen Spiegelungen des Realen flechten sich surreale Handlungen und Szenen ein, an denen man beim Betrachten aneckt und den eigenen Verstand hinterfragt. Sehe ich doppelt? Diese Mehrstrangigkeit wirkt gleichzeitig konstruiert und zufällig, narrativ und sinnlich.

Daniel Thalmann
Abriss der Dorfidylle in Gschwends Videoinstallation. Foto: Daniel Thalmann

Generalprobe

Mit der Teilnahme an der Jungkunst stellt Gschwend ihre Arbeit einem Härtetest mit etwas anderen Betrachter*innen. Denn an der Jungkunst versammeln sich neben Kunstkenner*innen auch Kunstneulinge, weniger Interessierte und Kinder, die laut der Künstlerin die direkteren Kritiker*innen sind. Sie möchte herausfinden, wie ihre Arbeit verstanden wird. Und es ist eine Probe für die Jahresausstellung Zentralschweizer Kunstschaffen im Kunstmuseum Luzern, wo Geschwend vertreten sein wird.

Aus 250 Bewerbungen aus der ganzen Schweiz haben die Kurator*innen 35 in ihren Ateliers besucht und Gespräche mit den Anwärter*innen geführt. Wichtig ist ihnen neben dem persönlichen Kontakt, dass die Künstler*innen den Ansporn haben, sich professionell ihrem Schaffen zu widmen und sich in der Kunstwelt zu beweisen. Trotz der Vielfalt der eingereichten Arbeiten besuchten sie auf eigene Faust die Werkschauen verschiedener Kunsthochschulen. Dort blieben sie bei den grossformatigen Malereien der Luzerner Künstlerin Dorothea Schill hängen.

Jungkunst Dorothea Schill
Dorothea Schills Steinenstrasse. Foto: Gianna Rovere

Startschuss

Sie zeigt in Winterthur ihre Bachelor-Abschlussarbeit, die sich um die Frage dreht, wie Verbindung zwischen Menschen gestaltet werden kann. Zusammen mit ihrem Mitstudent Benjamin Heller hat sie Menschen, die einen Bezug zur Lindenstrasse in Luzern haben, an einen Tisch geholt und zum Gespräch aufgefordert. An der Jungkunst kann man mit Kopfhörern zwischen den bunten Malereien umherschlendern und den Stimmen am Tisch lauschen. Zum Beispiel dem Dialog zwischen einer Frau, die Anfangs Hemmungen hatte, bei der Nachbarin nach Aromat zu fragen und dem Investor Ueli Breitschmid, der sich über die je 30'000 Franken pro Wohnung amüsiert, die er damals bezahlt hat. Die Stimmen der Menschen färben die gemalten Formen und geben ihnen veränderbare Gesichter. Schill ist oft in der Nähe und geht auf Besucher*innen zu, um einerseits Rückmeldungen zu ihrer Arbeit zu bekommen, und andererseits, um Begegnungen innerhalb des Werks zu fördern; so will sie ihr Thema präsent machen. Die Einladung an die Jungkunst hat der jungen Künstlerin den nötigen Schub und die Motivation gegeben, sich als freischaffende Künstlerin beweisen zu wollen, eine Website zu erstellen und sich ein Jahr lang nur ihrem Schaffen zu widmen. Einfach mal anfangen – und dafür ist die Jungkunst der perfekte Startschuss. Und wenn sie noch etwas verkaufen würde, käme ihr das gerade recht. Denn bei allen Werken gibt es auch Labels mit Preis und Auflage. Sie verraten, wer schon wie viel und zu welchem Preis verkauft. Das ist auch gut so. 

Denn neben dem Ausprobieren, Zeigen und Vernetzen gehört das Verkaufen unbedingt zum Beruf der Kunstschaffenden. Laut Samuel Rauber, einem der vier Kurator*innen, sie dies an den Kunsthochschulen zu unrecht verpönt und die Jungkunst ist stolz darauf, die jungen Künstler*innen mit einer Plattform und einem Publikum zum Verkauf ermutigen zu können.

Weitere Infos unter www.jungkunst.ch