Hey ech ghör dech, aber ech gseh dech ned!

Stattkino, 29.05.2015: Luzern ist ein gutes Pflaster für jungen Filmemachernachwuchs. Jüngstes Beispiel: Der Dokumentarfilm «Beyond» von Antonia Meile, der im Rahmen der Kurzfilmnacht im Stattkino und Bourbaki Premiere feierte. Fazit: 18 Minuten sind nicht zu kurz, um einen Dokumentarfilm zu drehen.

18 Minuten sind ziemlich kurz für einen Dokumentarfilm. Denkt man zumindest. Dass die Zeitspanne überhaupt keine Rolle spielt, beweist die junge Luzernerin Antonia Meile in ihrem neusten Film «Beyond». Gezeigt wurde dieser als Eröffnungsfilm der diesjährigen Ausgabe der Luzerner Kurzfilmnacht. Standesgemäss erschienen die Regisseurin und die zwei Protagonisten zur Premiere im stattkino. Einem gut gefüllten Kinosaal gewährt Antonia Meile einen intimen Einblick in ihre freundschaftliche Beziehung zu Samuel und Sonja, zweier ehemaligen Schulkollegen von früher. Nach der schulischen Ausbildung hat sich das Trio aufgespalten und jeder hat seinen persönlichen Weg eingeschlagen: Samuel verfolgte eine militärische Karriere und wurde als UN-Kriegsbeobachter im Grenzgebiet zwischen Syrien und Israel eingesetzt. Sonja reiste und lebte während zwei Jahren in Irland und widmete sich der schönen Künste in Musik und Malerei. Antonia absolvierte ihre Ausbildung zur Filmemacherin und ist seither in zahlreiche Projekte involviert. Immer im dümmsten Moment «Beyond» beginnt mit zwei malerischen Landschaftseinstellungen, die bestimmt nicht aus der Schweiz stammen. Eine rotbraune, canyonartige Felsenschlucht erscheint und Samuels Stimme ertönt aus dem Off. Er spricht über sein frühes Interesse an kämpferischen und kriegerischen Handlungen. Schnitt. Wir sitzen auf einer grünen Wiese und blicken von der Küste auf das Meer hinaus. Sonja spricht über die Sehnsucht nach Leben und Frieden. Und Antonia? Sie sitzt zu Hause in Luzern am Computer. Und was macht man, wenn man mit seinen weltenbummelnden Freunden kommunizieren möchte, aber ohne die Telefonrechnung überzustrapazieren? Man nutzt Skype! Im Film ertönt das allseits bekannte Blubbergeräusch beim Verbindungsaufbau.

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Das obligate «Hey ech ghör dech, aber ech gseh dech ned» eröffnet die Szenerie zwischen Antonia und Sonja, abwechselnd mit Gesprächsfragmenten mit Samuel. Verzerrter und stockender Bildaufbau gehören ebenso zur Norm, wie das Aussetzen der Verbindung im dümmsten Moment, genau dann, wenn ein wichtiger Satz beendet werden möchte. Sichtlich genervt entschliesst Antonia nach rund neun Filmminuten, die Skyperei abzubrechen und ihrerseits die nomadisierende Künstlerin in Irland und den Hauptmann Heer in der militärischen Pufferzone zwischen Syrien und Israel mit ihrer Filmkamera zu besuchen. Unterschiedliche Welten Der Film wechselt gekonnt zwischen beiden Schauplätzen und basiert auf einem narrativen Herleiten der unterschiedlichen Lebenssituationen. Beide erzählen aus ihrem Alltag, ihren Erfahrungen und Erlebnissen und dem Drang, das Leben nach dem eigenen Gutdünken zu gestalten. Für Sonja war es eine Reise ins Ungewisse, keine Flucht, aber eine Suche nach der eigenen Identität. Durchaus ein Ausprobieren, vor allem durch einen Zustand des Seins und auf sich wirken lassen, mit dem Ziel, eine gehörige Portion Selbsterkennung zu erreichen. Dieses Faktum ist sehr schön anzusehen während Gesprächen mit Einheimischen, Autofahrten durch die verlassenen Küstenabschnitte und dem Singen und Malen in freier Natur. Im Gegenzug Samuel, der sich für eine auf anderthalb Jahre befristete UN-Mission als unbewaffneter Kriegsbeobachter verpflichtet hat. Auch er spricht nicht von Flucht, sondern einer bewussten Entscheidung, dem Leben einen Inhalt zu geben, sei es bei der Erkundung eines Beobachtungspostens oder – als Kontrast dargestellt – während des Ausspannens am israelischen Strand.

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Inhaltlich sind die 18 Minuten des Kurzdokumentarfilms der Frage gewidmet, wie weit man gehen muss, um zu sich selbst zu finden, um quasi den inneren Frieden zu finden. In unspektakulären, aber überaus authentischen Bildern portraitiert Antonia Meile ihre beiden Freunde mit den unkonventionellen Lebensentwürfen. Sie zeigt, dass nicht 90 Minuten notwendig sind, um einen dokumentarischen Einblick mit angemessener Vertiefung in die Thematik der Identitätssuche zu realisieren. Resultiert ist ein kurzes, kompaktes und fast schon unangenehm intimes (zumindest für die Protagonisten) Kurzportrait einer freundschaftlichen Verbundenheit. Wir freuen uns auf mehr dokumentarische Kurzfilme, die einem experimentierfreudigen Regisseurinnengeist entweichen.

Dokumentarfilm, 19 Minuten, CH 2015 Sprache: Schweizerdeutsch / Englisch Untertitel: Englisch
mit Sonja Roth Samuel Heer Antonia Meile Crew Regie und Kamera: Antonia Meile Schnitt: Corina Schwingruber Ilic Grafik: Andrea Schneider Mischung: Beni Mosele Farbkorrekturen: Hannes Rüttimann Produktion: Antonia Meile Filmproduktion