From Hero to Hobo and Back Again

Ad de Bonts «Eine Odyssee» feierte gestern Freitag (13. Januar) im Theater Pavillon Premiere. Regie bei diesem sehr gelungenem ersten Auftritt des neuen Theaterensembles Nawal führte Reto Ambauen.

«Dass man so einen altehrwürdigen Stoff so verschwanken kann ...», bemerkt jemand beim Rausgehen. Natürlich ist das ironisch gemeint. Denn schwankhaft ist an diesem Abend nichts und schon gar nicht das Stück. Alltagssprache prallt hier hier auf (ok, spärliche) Hexameter. In Szenen, die so auch in einer US-Soap stattfinden könnten, schlägt der altgriechische Schicksalshammer zu. Viele der Figuren rücken in ein etwas anderes Licht als man sie (vielleicht) noch vom Gymnasium in Erinnerung hat: Odysseus' Sohn Telemachos (Philip Schönholzer) ist ein zauderndes Muttersöhnchen. Zeus, der Göttervater (Jonas Meier) eine – mit Ausnahmen – eher apathische, dem Willen seiner Tochter Pallas Athene (Zora Schelbert) nachgebende Gestalt. Kalypso und Kirke (beide Anna Stammler) überdrehte Verführerinnen, die selber nicht ganz klar im Kopf sind. Weder die Menschen noch die Götter noch die dazwischen haben sich wirklich im Griff.

So irrt Odysseus (Florian Fischer) von Insel zu Insel, von  Frau zu Frau, während er sich nach der einen sehnt, zu der zu gelangen es ihm verwehrt ist. Wehrt sich listig gegen den Zyklopen, den einzigen Sohn des Meergottes Poseidon, der darob natürlich ranzig wird, was der baldigen Heimkehr des Irrenden abträglich ist. Widersteht dem ohrenbetäubenden Gesang der Sirenen. Flüchtet vor pubertierenden Prinzessinnen (Andrea Kammermann und Anna Stammler). Dazwischen immer wieder Szenen aus dem Olymp, wo Pallas Athene, die offensichtlich in Odysseus verliebt ist, die Geschicke des Helden von Troja zu seinen Gunsten zu lenken versucht. Szenen auch vom Ithaka'schen Hof, wo der reiche Bürger Antinoos (Philipp Arnet) Odysseus' Frau Penelope (Alma Pfeifer) drängend umfreit. Es gibt ein traurigschönes Happy-End, eigentlich eine Unmöglichkeit, aber es funktioniert. Was vermisst wird, ist ein Schlusslied des göttlichen Barden Christov Rolla, der die Aufführung musikalisch begleitet.

Rolla als Theatermusiker einzusetzen, ist immer eine fabelhafte Idee. Seine Songs tragen viel dazu bei, dass man sich nach  zwei Akten und einer Pause (ca. 125 Minuten) tatsächlich fragt: Das war schon alles? – gerne noch länger zuschauen würde. Aber auch das Laienensemble glänzt. Natürlich ist das Hochdeutsche nicht immer perfekt, aber sonst fragt man sich schon, was da der Unterschied zu einer professionellen Truppe ist. Das an eine doppelstöckige Badeanstalt gemahnende Bühnenbild von Eric Ambauen und Beni Egli löst das Problem mit  den beiden Ebenen Olymp und Erde trefflich. Als da gegen Schluss auf einmal noch ein Jüngling im Badeanzug rausschreitet, wähnt man sich kurz in einem Visconti-Film. Die Kostüme von Werner Duss und Nur Taha verdichten das kaleidoskopische Episodenstück zu einem bunten Reigen. So funktioniert jedes Element für sich und alles zusammen. Viel mehr kann man von einem Stück gar nicht erwarten. Logisch hätte man «Eine Odyssee» in die heutige Zeit transportieren können, wie etwa das Schauspielhaus Hamburg, die de Bonts «Odyssee» 2007 auf eine argentinische und eine marokkanische Migrantenfamilie adaptierte. Hätte man. Aber in diesem Rahmen scheint diese gesellschaftliche Auseinandersetzung gar nicht so wichtig. Es bleibt Unterhaltung auf sehr hohem Niveau. Und ist unbedingt zu empfehlen!