Guggen, Gugen & Kafi Trash

Luzern, 08.02.2018: Ist Fasnacht Kultur? Gibt es die Fasnacht im Singular überhaupt? Wo hört Fasnacht auf und wo fängt Kultur an? Und noch viel wichtiger: Weshalb heisst die Fasnacht Fasnacht? Im folgenden Artikel beantworten wir diese Fragen nicht. Vom Weinmarkt über die Münzgasse bis an die Baselstrasse: Null41.ch am Schmudo 2018.

Katharina Thalmann = Yoda (Katharina hat eine Yoda-Pappmaske dabei, die sie an diesem Abend nicht aufsetzt)

Heinrich Weingartner = Struwwelpeter (Haare)

 

Wir treffen uns vor dem «NiX’S IN DER LATERNE». Weil, WhatsApp-Nachricht von Yoda: «ich hatte noch eine idee: ein freund von mir (marc-andré wermelinger alias exist) hat mit dem labor luzern eine fasnachtsgruppe. ist dieses jahr glaub ziemlich gut, und sie sind heute von 20.30-21.30 vor dem nix (in der laterne).» Sie sind natürlich noch nicht dort. Fasnacht heisst: Verspätung. Weiter zum Weinmarkt.

Weinmarkt, 20.30 Uhr

Fasnacht heisst: Dinge kommen zusammen, die sonst nicht zusammenkommen. Der Weinmarkt gleicht der wahrgewordenen Fantasie eines geistig verwirrten Popkulturnerds: «Whatever you Want», Status Quo. «Kiss», Prince. «Billie Jean», Michael Jackson. Der Soundtrack. Die Ghostbusters tanzen mit Bauarbeiterinnen, während eine Horde Jack Sparrows beim Refrain von «Kiss» Kussmünder ziehen. Das Setting. Schade, dass ein Grossteil der Kostüme vom Nähladen- und Coop-City-Schlussverkauf vorgegeben wird. Sie sind die Strassenkleider des 21. Jahrhunderts: «Ich bin faul, wollte aber auch an die Fasnacht.» Yoda möchte die Konservenmusik abstellen, damit die Guggen tönen. Struwwelpeter möchte die Guggen abstellen. Er mag Guggen, wenn sie nicht guggen. Also wenn es nur räbbelt und kesselt. BUMM BUMM TSCHAK DA BUMM BUMM TSCHAK RABADADUBEDÄGE undsoweiterundsofort. Beim Weinmarkt ist die Fasnacht irgendwie langweilig: Aufwendige Wagen, Kakophonie, aber keine Auffälligkeiten. Wo sind die Schnapsideen, Schnapsleichen, Schlägereien, das Aushängeschild der Fasnacht: die Anarchie?

Münzgasse, 22.30 Uhr

Fasnacht heisst: Kultur. Das Labor Luzern (inklusive Kulturkopf Felix Bänteli) ist in der Münzgasse. Sie sind die Familie Meier: Aliens, die als Marienkäfer verkleidet durch’s Luzerner Fasnachtsgetümmel wandeln. Weil die Augen häufig anlaufen, tragen sie gerade ihre Masken nicht. Steff Chiovelli, der ehemalige Gewerbehalle-Betreiber, ist auch dabei: «Ich baue mir für die nächsten Tage noch einen Ventilator in die Maske.» Für uns setzen sie ihre Masken auf und posieren. Mit den Händen steuern sie eingebaute Soundmodule. Eine Roboterstimme: «Wenn / wir / den / gol / di / gen / Grind / ha / ben, fah / ren / wir / zu / rück nach Hau / se.» Wir diskutieren mit den Marienkäferaliens über Sinn und Unsinn der Fasnacht. Sie finden es schade, dass sich viele Leute aus dem Kulturkuchen über die Fasnacht aufregen, aber nicht dazu bereit sind, das einwöchige Treiben im Februar selber mitzugestalten. Vielleicht ist Fasnacht, was wir daraus machen.

labor luzern familie meier

Übrigens: Wer Lust hat, die creepy Käfer kennenzulernen, sie sind morgen Montag, 12. Februar, ab 14 Uhr beim Umzug und ab 17 Uhr beim Helvetiaplatz.

Münzgasse, 23 Uhr

Marijuana: Ein unverwechselbarer Geruch. Streng und doch wohlig. Wir folgen dem Geruch, hinter irgendeinen Wagen. Dort stehen drei zwielichtige Typen, einer davon uriniert gerade an ein Garagentor. Wir hören uns sagen: «Dürfen wir auch einen Zug?» Zehn Sekunden später stehen wir im Kreis, der zwielichtigste der drei Typen dreht einen Joint. Zuerst schüttet er den ganzen Inhalt eines 90x110-mm-Druckverschlussbeutels in gefalteten Karton. Wir fragen ihn, ob er uns umbringen will. Einige Minuten später hebt sich ein Schleier, der zuvor noch das Wichtige vom Unwichtigen filterte. Alles ist neu, alles ist lustig. Der zwielichtigste der drei Typen setzt Struwwelpeter eine blonde Perücke auf und beginnt, ihm Dinge zu erzählen. Assoziation hoch 100, Gedankenkohärenz gleich 0. «Ich bin Bademeister, wo ist Jerry, will die da noch einen Zug, ich habe meinem Bruder die Nase gebrochen.» Geniesst er die Konversation? Oder haut er Struwwelpeter gleich eine rein? Struwwelpeter will ihm in die Haare fassen. Der unzwielichtigste, ein Mittfünfziger in Zimmermädchenkluft, verschwindet mitsamt Teppichklopfer. Irgendwann wird die Situation zu weird, wir müssen weg. Zu viele Dinge, die nicht zusammengehören, sind zusammengekommen.

zwielichtige typen

Molo-Bar, irgendwann nach Mitternacht

Das elektronische Impro-Kollektiv Meinrad improelektrisiert: Lea Mathis, Amadeus Fries, Elio Amberg, Christian Zemp, Niklaus Mäder. Es gefällt sehr. Profimusiker halt, tönt’s von hinten. Mal tight-pumpig, mal zerfahrener, die Stimme von Lea Mathis hält das Ganze zusammen, oder ist das ein ausgecheckter Saxophonloop? Durchdachte Improvisation und durchaus tanzbar, dieses Elektro-Getüftel. In der Molo-Bar tummeln sich einige Rüüdige, ein Miniatur-Who’s-Who der Luzerner Kulturszene und Menschen, die wir noch nie gesehen haben. Struwwelpeter spielt mit Elias Bieri der Luzerner Band Film 2 ein Fingerspiel, das er heute noch nicht versteht. Dann so Konversationen: «Das tönt wie drop it like it's hot» – «jo voll, eine sengts det vore!» – «haha, das ben ech gsi». Fasnacht ist alles, alles ist Fasnacht. Yoda geht. Stoph Ruckli und Stefan Zihlmann tauchen auf. Stoph, Stefan und Struwwelpeter eröffnen einen Null41-Tab, weil niemand Bargeld hat. Sie bestellen Carajillos. Lights out.

molo-bar, meinrad

heiri, elias, daumen

Übrigens: Meinrad improvisiert weiter. Ab jetzt meistens Donnerstags in der Molo-Bar – einfach Facebook checken: https://www.facebook.com/molobarluzern/)

Der Morgen danach, Bodu

Wir sitzen im Bodu und fragen uns, wie und was wir über den gestrigen Abend schreiben. Gar nicht so einfach. Die Fasnachtsgruppe Wörkophoniker spielt im Bistro. Wir beide mit unseren Macbooks sehen aus, als wollten wir ein Start-Up gründen. Ein Wörkophoniker kommt an unseren Tisch. Er empfiehlt, in Kryptowährung zu investieren. Er geht weg, dann, ganz laut: «S'Guggisberg-Lied», «Wenn dis letschte Stündli schlaht (Äsche zu Äsche)», «Happy Birthday», «Campari Soda». Gar nicht schlecht, macht Stimmung. Wir geben unser Vorhaben, hier zu schreiben, auf. Einer der Wörkophoniker, der nicht ganz so betrunken ist, setzt sich zu uns. Er ist Immobilienmakler, liebt die Fasnacht und verzieht sich in einigen Tagen «weder zo Chend ond Chegel». Und: «Ich mag den katholischen Grundgedanken der Fasnacht, dass man im Diesseits die Sau rauslassen darf. Zum Glück sind wir kein protestantischer Kanton.» Sympathisch. Dann sollte man aber 365 Tage im Jahr die Sau rauslassen dürfen. Und schon gar nicht auf einem Kultur-Blog darüber schreiben müssen. Oder?

Die Fasnacht kann noch Montag, 12. Februar, sowie Dienstag, 13. Februar, fast in der ganzen Stadt besichtigt werden. Tipps: Gruppe Labor Luzern besuchen, mit wildfremden Menschen quatschen und in der Molo-Bar einen Carajillo bestellen.