Grünes Blatt: Die Vielfalt der rumänischen Volksmusik

PlattenWechsler: Musikalische Genre-Experimente beinhalten stets die Gefahr von unglücklichen Hochzeiten. Das Quintett Grünes Blatt macht auf ihrer neuen Platte «Bradule» diese Sorgen vergessen.

Titelbild: zVg

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Huch! Was ist denn das? Gleich zu Beginn fordert das Ensemble Grünes Blatt auf seiner neuen Platte «Bradule» heraus. Der gleichnamige Prolog lässt nämlich ordentlich am Kopfe kratzen, derart quer schneiden sich Slidegitarre, Trompete und Stimme in die Melodien rein. Ist das so gewollt? Hat das einen tieferen Sinn?

Bei Grünes Blatt definitiv: Die Mitglieder des 2009 gegründeten Quintetts um die rumänische Sängerin Irina Ungureanu und den Kontrabassisten Dominique Girod, in dem weiter Vera Kappeler (keys), Urs Vögeli (g) sowie Mats Spillmann (tp) mitwirken, können hierzulande durchaus als Expertinnen und Experten für rumänische Volksmusik bezeichnet werden.

Diese interpretiert die Gruppe nach Ausflügen ins Genre der Oper oder Neuen Musik auch auf dem aktuellen Werk wieder, erneut angereichert mit ungewohnten und improvisatorischen Ansätzen. «Experimente» jener Art beinhalten zwar immer die Gefahr von unglücklichen Hochzeiten.

Was ungewöhnlich klingt, ist also wohlüberlegt.

Hier gelingt’s jedoch wunderbar. So beispielsweise auf «Fir de iarbă» mit seinem Siebner-Pattern oder «Doina din Maramureş», wo der Improgestus, einer der grossen Trümpfe von Grünes Blatt, herrlich zum Zuge kommt. Auch das berührende, alpenländisch klingende «Codrule, bătrânule» oder der bluesige Stampfer «Ciuleandra» zeugen von einem bravourös ausgeloteten Spektrum, welches wiederum auf die grosse Klasse der Musikerinnen und Musiker verweist.

Nun aber doch noch einmal zum Prolog: «Bradule I» entstammt einer Feldaufnahme von Ungureanu, auf der drei rumänische Frauen diesen Teil einer Totenzeremonie singen – das klingt einerseits berührend schön, andererseits kreuzfalsch. Jene Atmosphäre wollten Grünes Blatt einfangen, aber ohne den Anspruch der Authentizität, sondern als herausforderndes Experiment. Was ungewöhnlich klingt, ist also wohlüberlegt – und wird im Epilog, «Bradule II», noch einmal aufgegriffen inklusive eines ungemein versöhnlichen Schlussteils. Welch ein Paradestück, diese Platte im Zeichen der virtuosen Vielfalt der rumänischen Volksmusik.