Grau in grau in kaputter Gesellschaft

«I Feel Like God and I Wish I Was», Christoph Fellmanns verdientermassen mit dem Zentralschweizer Theatertextpreis ausgezeichnetes, in der Inszenierung von Livio Andreina vom Theater Rostfrei aufgeführtes Stück von, mit und über die School Shooter Eric Harris, Dylan Klebold, Kip Kinkel und Seung Hui Cho, feierte am Mittwoch eine gelungene Premiere im Südpol.

Die Bühne sieht aus wie eine Umkleidekabine. Eine lange Bank, darunter Schuhe. Die hintere Abgrenzung bildet eine heruntergezogene Jalousie. 10 in graue Sweatshirts und graue Trainerhosen gekleidete Gestalten setzen sich und ziehen ihre Schuhe an. Es sind E, D, K, S und X. Eric Harris und Dylan Klebold, Kip Kinkel, Seung Hui Cho. Jeder von ihnen zeitgleich von einem männlichen und einem weiblichen Part verkörpert. X, das sind zwei Mädchen, die über den Abschlussball reden und kichern. Die Normalen, irgendwie. Hier: die Anderen. Welchen Ansatz kann das Theater zu einem Thema, über das so viel geschrieben, gesagt und behauptet wurde und das man trotzdem so wenig versteht, beitragen? Liegt es jetzt an Mobbing, Killerspielen, böser Rockmusik, allem zusammen, wahlweise zweien von drei oder an etwas völlig anderem, wenn sich jemand entschliesst, in seiner Schule ein Blutbad anzurichten? Schlüssige Antworten nicht in Sicht. «I Feel Like God and I Wish I Was» versucht sich auch nicht an Antworten. Hier kommen die Täter zu Wort. Das Stück ist eine Aneinanderreihung von Szenen, in denen in Mono- oder Dialog oder auch mal im Chatroom, überlieferte Aussagen von E, D, K oder S vermittelt werden. Und das ist der deutlich unbequemere Weg, als einfach mit dem Finger zu zeigen. Diese jungen Leute waren nun mal keine Monster, sondern Menschen mit Gefühlen und Gedanken. Gefühle und Gedanken, die – bis zu dieser entscheidenden Schwelle – jeder schon hatte. Und da sind nun also diese vier verdoppelten Charaktere, diskutieren dieses und jenes, was sie hassen, was sie lieben, was sie von allen anderen unterscheidet. Lernen Shakespeare, lernen den Erlkönig, lernen Bomben bauen. «Es ist ein ziemlich abgefahrenes Gefühl zu wissen, in zweieinhalb Wochen bist du tot.» Und steuern unaufhaltsam auf den letzten Tag zu, den Showdown, die endgültige Entscheidung. Die leider in der Aufführung etwas unterging. Auch optisch wurde in der Inszenierung von Livio Andreina etwas geboten. Standen zwar die beiden kurzen Kampfsport-Choreographien etwas schief in der Landschaft, boten der Einsatz der beiden Hellraumprojektoren und einer Handkamera, deren Bild direkt auf die Jalousie projiziert wurde, grossartige und teils wunderschöne Momente. Die Hellraumprojektoren als Reminiszenz an den Schulalltag, die Handkamera als Echo der Bilder des Columbine-Massakers. Einen grossen Teil zur Atmosphäre trugen ebenfalls die gut gewählten Musikstücke (von Nine Inch Nails über die Flaming Lips bis hin zu Bob Dylan) in Arrangements von Laura Livers und Daniel Stocker bei. An die beiden ein sehr grosses Kompliment. Und vergessen wir natürlich nicht die Schauspieler. Das junge Laienensemble vom Theater Rostfrei machte seine Sache grösstenteils sehr gut. Bei der kurzen Sequenz aus dem von Seung Hui Cho hinterlassenen, grotesken Theaterstück «Richard McBeef»  konnte ein Teil des Ensembles als menschliche Marionetten und deren Meister richtig glänzen. Und, natürlich, sass das Hochdeutsch nicht immer perfekt, und, sicher, hätte man aus gewissen Textpassagen mehr machen können. Aber es passte zum Ansatz eines Stückes, das aus Monstern Menschen zu machen versucht. Da wäre es doch schade, wenn ein überambitionierter Schauspieler den Menschen wieder als Monster porträtieren würde. Zur anschliessenden Übergabe des Zentralschweizer Theatertextpreises nur dies: Es gibt wohl passendere Gelegenheiten, um Politik zu betreiben.

Aufführungen noch bis und mit SO 25. September, jeweils 20 Uhr, Südpol Luzern Zum Rahmenprogramm siehe hier.