Gnadenlos und quotengeil

«Willkommen in den TCM-Studios»: «Reality Show» hatte gestern im Chäslager Stans Premiere. In Form einer inszenierten Studioführung wird die leider heute alltägliche Fernsehblödelei gehörig auf den Arm genommen. Eine äusserst sarkastische und kurzweilige Inszenierung – im Zentrum des Geschehens: das Splätterlitheater.

Der Zug nach Stans ist gut gefüllt, viele Luzerner auch. Und ich sehe jedem an, der das Ziel Chäslager hat. Und tatsächlich: Die Meisten der Luzerner erkannte man wieder versammelt vor dem Chäslager. Hineingehen war noch nicht erlaubt – was mich wohl erwartet? «Eine bitterböse Parodie auf die Hochkultur des Fernsehens», heisst es auf dem Flyer. Dann pünktlich 20 Uhr öffnet sich die hölzerne Pforte – geordnet und ohne Umschweifungen werden wir von drei steifen aber freundlichen Personen empfangen, mit einer Nummer versehen und bestimmt nach Namen und Beruf gefragt. Derweil klingt durch die Lautsprecher eine kalte Frauenstimme, die immerzu repetiert, dass es untersagt ist, die aufgeklebte Nummer zu tauschen oder zu entfernen. Und natürlich heisst sie uns willkommen in den TCM-Studios. Weiter geht's: Ein henkermässig Maskierter weist mit einem Stock den Weg in die erste Etage, wo wiederum so ein Henker wartet und uns unfreundlich – je nach Nummer – weiter in den zweiten Stock weist, oder befielt hier Platz zu nehmen. Pärchen und Gruppen werden auseinandergerissen, und ich finde mich wieder inmitten mir mehr oder weniger fremden Leuten. Die Stühle sind um eine Bühne herum angeordnet, die ausschliesslich aus Styropor besteht – übergrosse Schuhe, Herzen und mehr. Es erwartet uns eine Aufzeichnung von «Verliebt, Verloren, Vergessen» – einer Datingshow. Währenddessen das restliche Publikum oben die Talkshow «Richter und seine Henker» geniesst (was man aber nur von der Geräuschkulisse erahnen kann).

Die Show beginnt: Drei Kandidaten treten gegeneinander an und ihre Gefühlswelten werden gnadenlos und  quotengeil gequetscht – ein Emotionenmesser bestimmt die Siegerin. Doch die Show läuft alles andere als reibungslos, bei TCM ist irgendetwas nicht in Ordnung und ordentlich Zoff im Haus – immer wieder wieder geraten sich die drei TCM-Geschwister (Dominic Deville, Nina Steinemann und Patric Gehrig vom Splätterlitheater) in die Haare. Hauptsächlich wegen ihres kürzlich durch einen Scheinwerfer schwer verletzten Vaters (und Gründer von TCM). Nach einer Pause der Höhepunkt: Die Sieger aus den beiden vorgängigen Shows treten in der Talentshow «Scheisse zu Gold» gegen einen Dritten (aus dem, jawohl, Publikum) an. Es geht immerhin um viel Geld, dafür wird den KandidatInnen auch Menschenunwürdiges abverlangt wird – zu viel der Qual sei an dieser Stelle nicht verraten. «Reality Show» ist ein Erlebnis, bei dem man nie weiss, was einen erwartet – ein falsches Wort an falscher Stelle und der maskierte Saalschutz ist gnadenlos zur Stelle. Es lief zwar sichtlich noch nicht alles reibungslos an der gestrigen Premiere: Die Abläufe noch nicht ganz sauber und die Dialoge noch etwas unsicher und hölzern. Aber wer will das bei diesem gigantischen Aufwand, der wirklich gelungenen Umsetzung und den vielen geistreichen Einfällen schon ankreiden? Die Bühnen (Paul Lipp, Reto Leuthold, Corinne Odermatt), Kostüme und Videos (Anita Zumbühl) und die Geräusche (Javier Turino) waren durchwegs ein Augen-, beziehungsweise Ohrenschmaus. Und wer will, kann den erlebten Abend sogleich im TV-Shop als DVD vorbestellen – nein, Aufwand wurde keiner gescheut.

Weitere Aufführung von «Reality Show»: 7. und 13. Februar, 20 Uhr, Chäslager Stans. Und während des Fumetto Comix-Festivals (28. März bis 5. April) in der Jazzkantine