Gestörte Einsamkeiten des Winters

Kleintheater Luzern, 20.01.2016: Winter-, Schnee- und Kälteeinbruch — was schickt sich da besser auf dem Spielplan als «eine nordische Komödie»? «Findlinge» nennt sich dieses Stück und stammt aus der Feder des Schweizer Schriftstellers Daniel Mezger. Inszeniert wurde es durch die Berner Theatergruppe «Weltalm». Das Ergebnis ist mehr «nordisch» als «Komödie».

(Fotos weltalm.ch)

Es herrscht Aufruhr zwischen den fünf Personen, die sich gemeinsam im Tankstellenladen eines kleinen nordischen Örtchens versammelt haben. Die Gespräche gehen aneinander vorbei. Ein Eindringling hat die winterliche Dynamik der heilen Einsamkeit gestört.

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Der unbekannte Hüne ist der Einzige, der schweigt. Dies tut er beinahe durchgehend. Dennoch gibt der Unbekannte dadurch nicht unbedingt weniger preis als die restlichen vier Charaktere. Jeder und jede von ihnen scheint in einer eigenen Welt gefangen zu sein. Da ist der von einem familiären Trauma betroffene Lukas, die herzliche und leicht neurotische Josephine, der kleinkarierte Markus und die weltverlorene Joana. Gehört wird nur, was gehört werden will. Und dies scheint bis anhin gut zu funktionieren so.

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Dieses Gerüst beginnt zu bröckeln, als sich die junge Joana, die über den Sommer in der lokalen Tankstelle aushilft, dazu entscheidet, während dem Winter nicht in die Stadt zurückzukehren. Der plötzlich aufgetauchte junge Mann gibt diesem losen sozialen Geflecht dann noch den Rest. «Wer ist er?», «Weg soll er!», «Eine Fremde ist genug!», lauten die Parolen. Dass der Winter einen behüteten Sonderzustand für die Bewohner darstellt, wird rasch deutlich. Doch was genau steht auf dem Spiel, wenn zwei Fremdlinge diesem beiwohnen? Diese Frage bleibt lange im Raum hängen und wird nur bruchstückhaft geklärt. Dies liegt an den etwas oberflächlichen Dialogen, die in der Ichbefangenheit der Charaktere gründen, gelegentlich jedoch durchaus amüsierend wirken. Zeitweilig wird die Handlung dadurch aber etwas langatmig. Die schweigsamen Sequenzen gehören so häufig zu den spannungsgeladensten. An dieser Stelle seien auch die kurzen, musikalisch untermalten Videoabfolgen gelobt, die immer wieder eine winterlich-kühle Tristesse zu vermitteln vermögen.

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Ferner wird das Potenzial der nicht minder aktuellen Thematik von «Findlinge» nur teilweise ausgeschöpft. Ein soziales Geflecht, das auf einen kleinen Raum runtergebrochen wird, hätte durchaus einer etwas tiefgründigeren dramaturgischen Analyse unterzogen werden können. Wer bestimmt, was das Fremde am Fremden ist? Worin gründet die Angst davor? Etwa in der Furcht vor dem Verlust der behüteten Einsamkeit? Raum zum Nachdenken lassen die vielen unbeantworteten Fragen jedenfalls zur Genüge. Dies geschieht jedoch vermehrt in der realen Winterwelt.  

Das Stück läuft noch einmal am 22.1.2016 im Kleintheater Luzern. Joana: Doro Müggler Unbekannter: Lukas Kubik Lukas: Jaap Achterberg Markus: Paul Riniker Josephine: Ruth Oswald